Wissenschaftsstandorte (1): Basel buhlt um Zürich

Biovalley nennt sich die Region am Rheinknie, in Anlehnung an das kalifornische Silicon Valley. Vorteile bietet Basel der lebenswissenschaftlichen Forschung viele – doch werden sie genutzt?

Es ist ein starkes Signal, wenn die ehrwürdige ETH plant, ein neues Departement zu gründen – aber nicht zu Hause in Zürich. Departement Nummer sechzehn für Systembiologie soll seinen Sitz in Basel haben.

Systembiologie erforscht nicht die Bestandteile des Lebens, sondern deren Zusammenspiel, und zusammenspielen sollen in Basel auch verschiedene Disziplinen. Synergien verspricht sich die ETH unter anderem davon, dass hier der Nationale Forschungsschwerpunkt Nanowissenschaften seinen Sitz hat. Ein internationales Expertengremium hat das neue Departement im vergangenen Oktober als «visionäres Projekt» bezeichnet: «Es kommt im richtigen Zeitpunkt und eröffnet hervorragende Möglichkeiten. Es trägt entscheidend dazu bei, dass die Schweiz im Zukunftsgebiet Systembiologie zu den weltweit führenden Forschungsstandorten zählt.» Die Pharmakonzerne Novartis und Roche sind an den Vorberatungen beteiligt. Aber man sollte bei starken Signalen etwas genauer hinschauen.

Das Herzblut vergiessen die ETH-Planer derzeit nämlich nicht am Rheinknie, sondern auf dem Zürcher Hönggerberg, wo bis 2007 die ambitiöse «Science-City» entstehen soll. Es klingt etwas jovial, wenn ETH-Sprecher Rolf Probala sagt: «Wir sind ja auch eine gesamtschweizerische Institution.» Tatsächlich will nicht die ETH nach Basel: Basel will die ETH. Diese ist nach anfänglichem Zögern bereit mitzumachen, aber mit klaren Bedingungen: Die neue Institution wird ein ETH-Departement, geführt von der ETH – und kein Jointventure mit der Uni Basel, wie die Basler gehofft hatten. Und: Das Geld kommt nicht aus dem bestehenden ETH-Budget. Die Regierungen beider Basel haben erklärt, je zehn der rund vierzig Millionen Franken, die das Departement in der Aufbauphase (2004 bis 2006) kosten wird, beizusteuern. Die verbleibenden zwanzig Millionen soll der Bund übernehmen. Dort aber stehen die Zeichen bekanntlich nicht auf Geldausgeben.

Mehr Hindernis als Chance

Dabei scheint Basel für eine neue Spitzenforschungsinstitution im Bereich der Life-Sciences (Biologie, Medizin, Pharmakologie und die Teildisziplinen weiterer Naturwissenschaften, die sich mit dem Lebendigen befassen) prädestiniert. Nicht nur haben drei weltweit führende Konzerne – Novartis, Roche und der Agromulti Syngenta – ihren Sitz in Fussgängerdistanz: Rund 120 kleinere und mittlere Firmen sind Mitglieder der Biovalley Platform Basel. Diesen KMUs wird im Allgemeinen mehr Innovationskraft zugestanden als der «Big Pharma» – das 1997 als Roche-Spin-off gegründete Pharmaunternehmen Actelion in Allschwil wird oft als Erfolgsgeschichte genannt. Zweitausend lebenswissenschaftliche ForscherInnen arbeiten in der Privatwirtschaft. Und mit dem Biozentrum der Universität besitzt Basel eine der renommiertesten Institutionen der Biologie. Basel ist klein, und die Stadt liegt in einer trinationalen Region im Herzen Westeuropas. Lauter Faktoren, die Standortvorteile sein könnten.

Könnten. Beispielsweise Basels übersichtliche Grösse: Sie müsste Kontakte einfach machen. Doch ausgerechnet «mangelhafte Vernetzung der Akteurinnen und Akteure» nennt der Wirtschaftsbericht 2003 des Kantons Baselland an erster Stelle, wenn er die Schwächen der Region als Biotechnologiestandort auflistet. Biovalley nennt sich, in Anlehnung an das kalifornische Silicon Valley, eine 1996 gegründete trinationale Plattform. Sie will genau diese Vernetzung fördern. Ernst Hungerbühler, Fachhochschulprofessor und Präsident von Biovalley Schweiz, weist darauf hin, dass selbst «Nature» und «Science» über das Biovalley berichtet haben. Doch zeitweise hatte die trinationale Plattform nicht einmal genug Geld, um die eigene Website auf aktuellem Stand zu halten – Gelder der EU haben den Geldmangel vorerst behoben.

Oder die Trinationalität: Verschiedene Formen internationaler Zusammenarbeit existieren, die Unis von Strasbourg, Freiburg und Basel bieten gemeinsam einen Studiengang in Biotechnologie. Natürlich sei Basel ein Wirtschaftsmotor auch für Südbaden und das Elsass, sagt der Wirtschaftsredaktor der «Badischen Zeitung», Albrecht Beck. Doch die Landesgrenzen seien insgesamt mehr Hindernis als Chance – wobei die Kontakte über die EU-Grenze in die Schweiz noch leichter geknüpft würden als über die Sprach- und Mentalitätsgrenze nach Frankreich. Wenn man vom Norden nach Basel blicke, nehme man derzeit aber vor allem die Abwanderung der Wirtschaft aus Basel wahr.

Hier liegt denn auch der wahre Auslöser der Versuche, die ETH nach Basel zu locken: Angst vor Bedeutungsverlust. Roche hat 2000 das angesehene Basler Institut für Immunologie geschlossen. Novartis hat 2002 bekannt gegeben, ein 400 Millionen Franken teures Forschungszentrum in Boston anzusiedeln. Zwar will Novartis dies nicht als einen Entscheid gegen den Standort Basel ausgelegt wissen – doch genau so wurde es verstanden. In dieser Situation hatte Gian-Reto Plattner, Vizerektor der Uni Basel und SP-Ständerat, Ende 2002 die Idee mit der ETH.

Institut ohne Schlösser

Das Gelände dafür ist bereits ausgewählt: die heutige Strafanstalt Schällemätteli. Gleich daneben liegt das Biozentrum. Hier haben die Life-Science-Ambitionen Basels 1971 ihren Anfang genommen, als Basel noch Chemie- und nicht Pharmastadt war. Es war eine Zeit für neue Ideen, eine Zeit des Aufbruchs. Ein besonderes Merkmal des Biozentrums ist das Fehlen von Schlössern: Nur die Tür zur Verwaltung lässt sich zusperren, zu allen anderen Räumen, auch zum Büro des Obmanns Joachim Seelig, hat jede und jeder im Hause Zutritt. Die Leute in den Gängen kennen sich, viele duzen sich über die Hierarchiegrenzen hinweg. Am Biozentrum studieren heute 160 StudentInnen Molekularbiologie, insgesamt hat es 460 Angehörige.

Was macht die Qualität des Biozentrums aus? In erster Linie, sagt Seelig, das ausgezeichnete Betreuungsverhältnis. Zum guten Ruf, den das Zentrum weltweit geniesst, und zum Erhalt von Forschungsgeldern jedoch trage das nichts bei: «In der wissenschaftlichen Welt wird nur die Qualität der Forschung wahrgenommen, die Qualität der Lehre nicht.»

Zur absoluten Weltspitze, wie LokalpolitikerInnen und Lokalmedien das gelegentlich darstellen, gehört Basel nicht. Mit der Region Boston mitzuhalten, mit dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) und Harvard, ist allein schon wegen der Grösse nicht möglich. Was die Qualität angeht, ist die Kluft weniger gross. Mit der Ivy-League – der Spitzenliga US-amerikanischer Universitäten – könne man sich messen, sagt Seelig. Der ETH gesteht Seelig aber noch «ein Sternchen mehr» zu als dem eigenen Biozentrum.

Eine deutsche Doktorandin sagt der WOZ, ihr sei Basel für ihre Promotion empfohlen worden, als sie in Kalifornien studierte. Eine Studentin und ein Doktorand aus der Region Basel sagen, sie hätten das Biozentrum unabhängig davon gewählt, dass es sich nahe ihres Wohnorts befinde. Beide haben sich nach der Matura verschiedene Hochschulen angeschaut, aber eigentlich sei nur Basel oder die ETH infrage gekommen. Entscheidend war für beide nicht das wissenschaftliche Renommee – davon wisse man als MaturandIn noch nichts –, sondern das Lehrangebot und die Atmosphäre.

Und die Nähe potenzieller zukünftiger Arbeitgeber? Nein, sagen alle drei: Das habe bei der Hochschulwahl keine Rolle gespielt. Auch Seelig sagt, das sei kein relevanter Faktor: Nach dem Diplom müsse man sowieso zuerst seine Auslandjahre absolvieren. Wichtig ist die Nähe zur Industrie dennoch. Einige Professuren am Biozentrum werden von der Privatwirtschaft finanziert. Vorträge hochkarätiger GastrednerInnen werden gemeinsam organisiert.

Birgt diese Nähe auch Gefahren? Pascale Steck vom Basler Appell gegen Gentechnologie spricht für viele wissenschaftskritische BeobachterInnen, wenn sie sagt, sie glaube nicht an die Unabhängigkeit der Forschung. Wichtige Forschungsbereiche der Lebenswissenschaften, die wirtschaftlich wenig ergiebig seien, würden auch von der universitären Forschung vernachlässigt. Stecks Sorgen betreffen aber nicht spezifisch Basel. Sie nennt ein Beispiel aus Zürich: «Ich habe ein schlechtes Gefühl, wenn die ETH auf einer Medienkonferenz mit Syngenta gemeinsam auftritt.»

Keine Gefahr hingegen sieht Seelig. «Wir setzen die Themen völlig frei. Unsere Forschung ist immer Hochrisikoforschung: Wir wissen zu Beginn nicht, ob am Ende ein brauchbares Resultat herauskommt.» Ein wichtiges Argument der Forschungslobby lässt Seelig übrigens nicht gelten: Immer wieder wird gewarnt, zu strenge Gesetze würden die ForscherInnen und Forschungsinstitutionen ins Ausland vertreiben. Seelig: «Ich habe mich nie durch forschungsfeindliche Gesetze in meiner Arbeit behindert gefühlt.»

Talentverschwendung

Auch Gottfried Schatz, emeritierter Professor am Biozentrum und Präsident des Schweizerischen Wissenschafts- und Technologierats, sieht in der Nähe zur Industrie keine Gefahr: «Es kommt nicht darauf an, woher das Geld kommt, sondern, an welche Bedingungen es geknüpft ist. Die privaten Sponsoren sind manchmal liberaler als die öffentlichen. Die Industrie ist gar nicht daran interessiert, dass die öffentliche Forschung ihre Probleme löst. Sie fordert vor allem gute Grundlagenforschung.»

Für Schatz ist das Biozentrum eine «Ikone der Schweizer Biologie». Eine gefährdete allerdings, die seit rund fünfzehn Jahren mit «fast unglaublicher Mittelknappheit» zu kämpfen habe. Vor dreissig Jahren, als er ans Biozentrum berufen wurde, bot ihm dieses die besten Bedingungen, die weltweit zu finden waren. Heute, vier Jahre nach seiner Emeritierung, sei seine Stelle immer noch vakant – sein Nachfolger oder seine Nachfolgerin müsste mit weniger als einem Drittel der Mittel auskommen, die er damals erhalten habe. Eine Situation, die wenig mit Basel, aber viel mit der Schweiz zu tun habe: Die Forschung werde in der Schweiz zu wenig prioritär behandelt.

Das grösste Handicap für innovative Forschung sieht Schatz allerdings nicht bei den Finanzen, sondern in der «Verschwendung junger Talente»: «Neue Ideen verdanken wir vor allem jungen Menschen. Junge Forscher sind an unseren Hochschulen aber oft in Strukturen von Verfilzung und Abhängigkeiten gefangen, die Innovationen behindern statt fördern.» Dieses Problem belaste fast alle Schweizer Hochschulen – positive Ausnahme sei die ETH.

Und diese kommt ja vielleicht bald nach Basel. Die Signale in Richtung Systembiologie wurden schon einmal gestellt: Die ETH hat Ruedi Aebersold, der das führende Institut für Systembiologie in Seattle mit aufgebaut hat, verpflichtet. Für Basel? Rolf Probala, ETH-Sprecher: «Wir haben ihn berufen, bevor Basel ein Thema war. Für Zürich.»

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