Jakarta: Die sinkende Stadt Die indonesische Hauptstadt auf der Insel Java versucht, sich mit Betonmauern vor Hochwassern und dem steigenden Meeresspiegel zu retten. Ist das eine gute Strategie?
«Wenn die Flut kommt, toben die Kinder fröhlich im Dreckwasser – fast wie Kinder in Europa, wenn es schneit», erzählt Irwan Ahmett am Telefon. «Für sie ist es ein Naturereignis, das sich wie selbstverständlich immer wiederholt – sie kennen es nicht anders.» Zusammen mit seiner Partnerin Tita Salina ist der indonesische Künstler seit 2015 immer wieder im Norden Jakartas unterwegs. «Ziarah Utara», Pilgerfahrt in den Norden, heisst ihr Langzeitprojekt, das in Auszügen auch an der Biennale in Venedig zu sehen ist.
Wer die beiden durch die verwinkelten Stadtteile begleitet, kann den Alltag der Menschen hautnah miterleben. Viele Strassenzüge liegen bereits deutlich unter dem Meeresspiegel und stehen regelmässig unter Wasser – je nach Wetter nur einige Zentimeter, manchmal reicht es bis zum Oberschenkel. Jedes Haus hat eine Pumpe und eine zusätzliche Betonschwelle installiert. Auch die einfachsten Häuschen besitzen ein Obergeschoss, häufig selbst zusammengezimmert, damit zumindest die wichtigsten Gegenstände in Sicherheit gebracht werden können, sobald die nächste Flut kommt. Hausfrauen stehen in der dreckigen Brühe, während sie wenige Zentimeter darüber kochen und ihre Kinder zwischen vorbeischwimmendem Plastikmüll Fische fangen. «In den besseren Vierteln lassen die Bewohner:innen jedes Jahr ihren Boden erhöhen. Das können sich die Menschen hier nicht leisten», erklärt Ahmett. «Viele leiden unter Hautkrankheiten.»
Ständige Überschwemmungen
Jakarta mit seinen rund elf Millionen Einwohner:innen ist zugleich Mittelpunkt eines Städtekonglomerats mit mehr als dreissig Millionen Menschen. Der tägliche Verkehrskollaps gehört hier genauso dazu wie ständige Überschwemmungen und Müllberge in den dreizehn Flüssen, die durch die Stadt fliessen. Um das steigende Javanische Meer im Norden abzuhalten, hat die Stadtregierung 2014 begonnen, entlang der Küste eine riesige Betonmauer zu errichten, 46 Kilometer sollen es bis 2027 werden. Bis 2050 soll davor ein Schutzwall aus künstlichen Inseln entstehen, aufgeschüttet in Form des indonesischen Wappenvogels Garuda.
Kürzlich hat die Regierung angekündigt, das Projekt mit einer 120 Kilometer langen Mauer entlang der Nordküste auszuweiten. Doch das Vertrauen in die von niederländischen Expert:innen entworfene «Giant Sea Wall» scheint nicht allzu gross zu sein: 2019 kündigte Staatspräsident Joko Widodo den Umzug der Hauptstadt auf die Urwaldinsel Kalimantan (Borneo) an. Sein frisch gewählter Nachfolger Prabowo Subianto hat die Pläne für die am Reissbrett geplante «Smart City» Nusantara bekräftigt, erste Regierungsbauten sollen noch dieses Jahr eingeweiht werden. Die Finanzierung ist jedoch weder für den Hauptstadtneubau (rund 33 Milliarden Franken) noch für das Mauerprojekt (rund 56 Milliarden Franken) gesichert. Zudem erodiert der Betonwall im Norden Jakartas an manchen Stellen schon wieder. Teilweise gar von innen – wenn die ebenfalls einbetonierten Flüsse mit Hochwasser aus den Bergen durch die Stadt tosen, können sie sich nicht mehr direkt ins Meer ergiessen.
Durchschnittlich 3 Zentimeter pro Jahr sackt die Megacity ab, mancherorts bis zu 25 Zentimeter. Vierzig Prozent des Stadtgebiets liegen bereits unter dem Meeresspiegel. Das liegt nicht allein am Klimawandel, sondern vor allem daran, dass sich die Menschen selbst den Boden unter den Füssen abgraben. Nur etwa die Hälfte von ihnen sind an das staatliche Wassersystem angeschlossen, alle anderen versorgen sich mit selbstgebohrten Brunnen. Doch sobald sich Hohlräume bilden, gibt der Boden nach – die niederländischen Kolonialherren haben das frühere Batavia einst auf Sumpfland gegründet. Viele Haushalte sind auch nicht ans Abwassersystem angeschlossen und nutzen eigene Klärgruben – die kaum je geleert werden und somit das Grundwasser verseuchen.
Überflutete Autobahnen
Die Regierung will nun bis 2030 alle Haushalte in Jakarta an das staatliche Wassersystem anschliessen. Doch auch das wird die Probleme nicht lösen. Umweltschützerinnen und Städteplaner weisen seit langem darauf hin, dass es nicht ausreiche, alles zuzubetonieren, ohne natürliche Bedingungen und traditionelle Lebensweisen miteinzubeziehen. «Projekte wie die Küstenmauer oder die sogenannte Normalisierung der Flüsse zeigen, wie ohne Berücksichtigung des Land-Wasser-Ökosystems geplant wurde», kritisiert die Stadtplanerin Prathiwi Widyatmi Putri. Anstatt hohe Stützmauern zu bauen, müssten vielmehr zubetonierte Flächen entsiegelt werden, damit das Wasser überhaupt versickern könne.
Das zeigt sich bei jedem Starkregen, der aufgrund des Klimawandels zunehmend auch ausserhalb der Regenzeit auftreten kann: Innert weniger Minuten verwandeln sich die Stadtautobahnen in reissende Ströme. Mangels anderer Abflussmöglichkeiten suchen sich die Wassermassen von dort ihren Weg durch Gassen und Hauskomplexe, inklusive Brunnen und Klärgruben. «Die Fokussierung auf den massiven Ausbau der Infrastruktur», so Putri, «vernachlässigt oft den Schutz der öffentlichen Gesundheit und geht an den Bedürfnissen der Gemeinschaft vorbei.»
Auch Irwan Ahmett und Tita Salina hinterfragen die gigantischen Bauvorhaben – insbesondere angesichts der neuen Hauptstadt auf Kalimantan: «Jakarta wird anscheinend nicht mehr als Priorität angesehen. Es fühlt sich an wie ein Kind, das seinem Schicksal überlassen werden soll», so Ahmett.