Angriff auf die Mindestlöhne

Cédric Wermuth, Kopräsident der SP, spricht von einem «regelrechten parlamentarischen Verfassungsputsch». Selbst der Bundesrat, in seinen Stellungnahmen um zurückhaltende Töne bemüht, nennt den Vorgang «einen aus staats- und demokratiepolitischer Sicht bedenklichen Eingriff».

Was bloss ist passiert, dass die SP-Spitze wie der Bundesrat gleichermassen alarmiert sind?

Es geht um einen Vorstoss des Obwaldner Ständerates Erich Ettlin (Die Mitte). Der will dafür sorgen, dass vom Bund für allgemein verbindlich erklärte Gesamtarbeitsverträge (GAV) künftig über kantonalen Regelungen zum Mindestlohn stehen. Im Klartext: Die kantonalen Mindestlöhne, die in Genf, Neuenburg oder Basel erlassen wurden, sollen geschleift werden. Denn es kann vorkommen, dass die kantonalen Mindestlöhne höher sind als die in den GAV vereinbarten. Was selbstverständlich den Beschäftigten zugute kommt.

Nun verwundert der Vorstoss von Ettlin nicht weiter, wenn man sich die Lobbybindungen des eidgenössisch diplomierten Steuerberaters ansieht: Er ist Verwaltungsrat, Stiftungsrat, Beirat und Vorstand bei insgesamt neunzehn Krankenkassen, Banken, Firmen, Stiftungen und Verbänden. Etwas verwundert ist man höchstens, wenn man entdeckt, dass Ettlin auch Beirat bei der Standortpromotion Obwalden tätig ist, die sich gemäss Eigenbeschrieb für einen steuerlich attraktiven Halbkanton stark macht.

Offensichtlich ist Ettlin überzeugter Föderalist, wenn es um den Steuerwettbewerb geht. Mit dem Föderalismus ist es für ihn dann aber schnell vorbei, wenn sich die Bevölkerung in einzelnen Kantonen erfrecht, bessere Löhne einzufordern.

Selbstverständlich wäre es ein massiver Eingriff in die kantonale Verfassungshoheit, wenn den Kantonen die Festlegung von Mindestlöhnen verboten wäre. Wie auch das Argument von Ettlin, er wolle doch bloss die Sozialpartnerschaft schützen, nicht greift. Im kollektiven Arbeitsrecht gilt das sogenannte Günstigkeitsprinzip. Das bedeutet, dass GAV immer nur Mindestnormen regeln. So, wie Einzelarbeitsverträge regelmässig bessere Löhne festlegen als ein GAV, gehen auch kantonale Mindestlöhne diesem in der Rechtsordnung vor.

Mit seinem Vorstoss ist Ettlin weit gekommen. Der Ständerat hat ihm zugestimmt und diese Woche auch die nationalrätliche Wirtschaftskommission. Allerdings äusserst knapp, mit 11 zu 10 Stimmen. Bleibt zu hoffen, dass der Gesamtrat diesen Putsch noch verhindert: für den Föderalismus, das Günstigkeitsprinzip – und bessere Löhne!

Fakten, Fakten, Fakten: Der Oberleguan rückt im «Zoo» auf woz.ch regelmässig die Dinge zurecht.