Mund halten reicht nicht!
Am Sonntag ist die Fussball-WM der Männer in Katar gestartet. Mit dem Wissen über Menschenrechtsverletzungen, über das Kafala-System, die desolaten Bedingungen für Arbeitsmigrant:innen, die Tausenden Toten oder die hochkorrupten Machenschaften der Fifa rund um die Vergabe ist es weder ethisch, moralisch noch politisch vertretbar, die Spiele zu schauen. Mein Interesse an dieser WM ist aber dennoch gross. Nicht an den Spielen wohlverstanden, sondern an der Kritik an der Fifa und dem Gastgeberland, aber auch an der Entlarvung des kommerziellen Fussballbetriebs und des Systems dahinter.
Angesichts der eskalativen weltpolitischen Lage ertappe ich mich auch immer dabei, dass ich mir Protestaktionen der Mannschaften herbeiwünsche. Zeichen, dass da menschliches Gewissen oder soziale Verantwortung in den kickenden Multimillionären schlummert. Vielleicht sogar so etwas wie Mut.
Das iranische Team beispielsweise stellte am Montag seinen Mut unter Beweis und weigerte sich geschlossen, die Hymne der Islamischen Republik zu singen. Die Spieler haben nach dieser Aktion mit schweren Strafen in ihrem Heimatland zu rechnen. Dass sie das Spiel verloren haben, ist zur Nebensache geworden. Mit ihrer Protestaktion haben sie motivierende Solidaritätsgrüsse an die Demokratiebewegung in der Heimat geschickt. Salām-alajkom!
Gestern Nachmittag kam es dann auch zum Showdown rund um den Eklat um eine umstrittene Kapitänsbinde. Acht europäische Länder hatten vorgehabt, die Spiele mit der «One Love»-Binde zu bestreiten. Die Aktion sollte ein Zeichen gegen Homophobie, Antisemitismus und Rassismus sowie auch für Menschen- und Frauenrechte sein. Die Fifa verbot die Aktion kurzerhand unter der Androhung einer Gelben Karte. Einschüchternd. Deutschland verzichtete deswegen bei seinem Startspiel auf die besagte Kapitänsbinde. Fürs Mannschaftsfoto posierte das Team dann vor seinem ersten Spiel gegen Japan mit vor den Mund gehaltener Hand. Zeitgleich postete der DFB auf Twitter eine Botschaft, in der er schreibt: «Uns die Binde zu verbieten, ist wie den Mund zu verbieten.» Man will fast antworten: «Euch die Binde zu verbieten, ist, euch den Mund zu verbieten, stupid!» Ich sags dem DFB, wie es ist: Gegen diese Organisation und dieses System müssen handfeste Protestaktionen her. Mund halten reicht nicht!
Mona Molotov ist die meinungsstärkste Möwe des Landes. Sie schreibt regelmässig im «Zoo» auf woz.ch.
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