Ein bisschen Gleichgewicht

Bin diese Woche etwas durch den Deutschschweizer Blätterwald gestreift. Kräftig geraschelt hat es dort, ja geradezu orkanartig waren die Böen, nachdem am Mittwoch in Bern zwei Neue in den Bundesrat gewählt worden waren. Da habe ich wieder mal einiges über dieses Land und seine Eigenheiten gelernt.

So habe ich etwa gesehen, in welche Sphären sich liberale Kränkung zu schrauben vermag, wenn die Bundesversammlung entgegen dem eingeübten Drehbuch keine wirtschaftsnahe, sondern eine prononciert linke Sozialdemokratin wählt. Angetrieben von aufrichtiger Entrüstung, wurden quer durch die politische Geografie des Landes Gräben ausgehoben: Die ländliche dominiere jetzt die urbane Schweiz, die lateinische die deutschsprachige, die unproduktive die produktive. Ich habe Auflistungen gesehen mit den mickrigen Einwohner:innenzahlen aller sieben Bundesratswohnorte. Und eine Landkarte zum Nationalen Finanzausgleich, auf der sämtliche «Geberkantone» (darunter Steueroasen wie Zug oder Obwalden) grün und die «Nehmerkantone», in solchen wohnen die sieben Magistrat:innen, rot eingefärbt waren. Ein unsägliches Ungleichgewicht sei dies, so der einhellige Grundtenor.

Es ist verblüffend: Offenbar hätte Eva Herzog, die sozialliberale Stände- und einstige Regierungsrätin aus Basel, all das in Eigenregie korrigieren können – deutschsprachig, aus einem finanzstarken Stadtkanton. Dass unmittelbar vor ihrer Nichtwahl die SVP mit Albert Rösti erneut einen vormaligen Parteipräsidenten ins Amt hieven konnte, der notabene aus dem grössten «Nehmerkanton» des Landes kommt: geschenkt. Schlicht zu qualifiziert soll der Berner Oberländer gegenüber dem Stadtzürcher Hans-Ueli Vogt sein, den die SVP alibimässig ebenfalls nominiert hatte. Nein, fürs Gleichgewicht ist in diesem Land allem Anschein nach einzig die SP verantwortlich.

Dabei muss man gar kein:e Sozialdemokrat:in sein, um anzuerkennen, dass diese Partei bei dieser Wahl tatsächlich etwas fürs bundesrätliche Gleichgewicht getan hat: Verdankenswerterweise hat sie Daniel Jositsch intern von einer wilden Kandidatur abbringen können – und damit verhindert, dass in der Regierung wieder fünf Männer sitzen. Wie weit ihn nämlich der maskuline Trotz im Parlament hätte tragen können, zeigten die 58 Stimmen auf, die er im ersten Wahlgang erhielt. Und ein weiteres Ungleichgewicht hat die SP mit Elisabeth Baume-Schneider gelindert: dass linke Politik im Bundesrat seit jeher sträflich unter- oder gar nicht repräsentiert ist. Mit ihrem Profil kann sie idealerweise dazu beitragen, dass sich auch marginalisierte, präkarisierte und überhaupt vom Abstimmungs- und Wahlrecht ausgeschlossene Landesbewohner:innen vertreten fühlen dürfen.
Präziser beobachtet keiner: Der Wolf Lonely Lurker schleicht im «Zoo» auf woz.ch jeder Fährte nach.