Abrüsten in Solothurn

Wie gern hätte ich Bundesrat Alain Berset in Solothurn mit ein paar Indiskretionen aufgelauert. Aber der ist an diesem Abend gerade an einem anderen, offenbar wichtigeren Anlass: Noch auf dem Weg zu den Filmtagen erreicht mich die Nachricht, dass ihm aufgrund des Wetters leider kein «Transfer vom Wef in Davos und zurück» möglich sei. «Transfer» heisst das also: ein schönes Deckmäntelchen für einen Bundesrat im Helikopter.

Klar, ich hätte mich stattdessen auch ans Wef schleichen können, aber die Security dort ist mir nicht geheuer. Und die Leute in Solothurn: viel sympathischer. Wie der neue künstlerische Leiter der Filmtage, der Tessiner Niccolò Castelli, der sich in seiner Eröffnungsrede alles andere als akzentfrei, aber ansatzlos durch drei Landessprachen schlängelt und dabei immer wieder mitten im Satz die Sprache wechselt. Kino sei kein Ort der Ablenkung, sagt er, denn abgelenkt seien wir doch sonst schon überall, «sogar auf dem WC». (Ich nicht.)

Vor allem aber hat Berset hier Standing Ovations verpasst für einen Mann, von dem man gerade im notorisch opportunistischen Geschäft namens Diplomatie einiges lernen kann: Andrei Sannikow, Protagonist in «This Kind of Hope», dem Eröffnungsfilm von Pawel Siczek. Sannikow leitete 1992 die belarusische Delegation bei den Abrüstungsverhandlungen der ehemaligen Sowjetrepubliken, 1995 wurde er Vize im Aussenministerium, bald darauf legte er unter Protest sein Amt nieder. 2010 forderte er als Präsidentschaftskandidat den Diktator Lukaschenko heraus, wurde verhaftet, flüchtete ins Exil.

Seit rund zehn Jahren lebt Sannikow in Warschau. Wobei er sich auf der Bühne gleich selber korrigiert: «Ich halte mich in Polen auf, ich lebe nicht in Polen.» Eigentlich lebe er immer noch in Belarus, weil er die ganze Zeit damit beschäftigt sei, für die Freiheit in seinem Land zu kämpfen: «Belarus ist heute ein grosses Gefängnis mit über 5000 politischen Gefangenen.» Weit weg von hier? Sannikow rechnet vor, dass die Schweiz gerade mal eine Flugstunde von Belarus entfernt sei: «Für eine Lenkrakete ist das nichts.» Darauf ging ich in Deckung und das Publikum weiter zum Apéro.

Präziser beobachtet keiner: Der Wolf Lonely Lurker schleicht im «Zoo» auf woz.ch jeder Fährte nach.