Provenienzforschung: Live dabei
Auuuu!!! Wie weh das getan haben muss! Meine Pfoten hätten da ja reingepasst – aber Frauenfüsse? Schon kleinen Mädchen wurden die Zehen unter die Füsse gebunden, ich erblicke sie auf einem der gläsernen Tablare über mir an einem keilförmigen Klumpfuss (ein Modell) zwischen den bunt bestickten Schühchen, die sich im Vitrinenschrank türmen. Hier im Völkerkundemuseum der Uni Zürich wird das als «Kulturtechnik» bezeichnet, mir kommt es mehr wie Folter vor. Die armen Frauen konnten nicht einmal fliehen, als die Kolonialmächte um 1900 den Boxeraufstand in China brutal niederschlugen.
Gehören auch diese Schuhe zur «Plünderware» von damals? Diese Frage stellt sich das Museum im neu eröffneten dritten Teil seiner Werkstattausstellung. Auf langen gelben Stellwänden wird erklärt, mit welchen Mitteln und Interessen hier aktuell der Provenienz von Sammlungsobjekten nachgegangen wird. Bevor ich eine Nackenstarre vom Entziffern der hoch hängenden Buchstabenreihen bekomme, schnüffle ich lieber im Karteikasten mit Fotos von damals herum, der auf einer Sitzbank steht. Da schauen mir sechs Frauen entgegen – und ich meine das Gewicht ihres Körpers auf den abgebundenen Zehen zu spüren. Auch ein Tablet liegt hier, doch bräuchte ich Finger, um die Zahl des Objekts einzutippen, über das ich mehr erfahren will.
Im zweiten Stock stosse ich auf weitere solche Tablets. Dort geht es um Objekte, die ein Deutscher auf Hochzeitsreise 1909 in Ostafrika sammelte. Sie funktionieren auch ohne Zahlen – doch was seh ich, noch vor den Briefen, die folgen? Eine «Triggerwarnung»: Die Sprache der Kolonialherren war rassistisch. Persönlich hätte ich mir auch einen Hinweis darauf gewünscht, dass dieser hier Grosswildjäger war. So richtig getriggert aber werde ich nebenan, wo ein gewisser Borys Malkin das Sammeln und Verkaufen von Objekten zum Geschäftsmodell erhob – in den siebziger Jahren! – und die kolumbianischen Indigenen auch noch dabei filmte, wie sie im Alltag damit hantierten. Gut, hat jetzt das Museum mit den Noanamà Kontakt aufgenommen, um all das gemeinsam aufzuarbeiten und in ihrem Sinn fortzuführen.
Präziser beobachtet keiner: Der Wolf Lonely Lurker schleicht im «Zoo» auf woz.ch jeder Fährte nach.
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