Ohne Zweifel: Benjamin von Stuckrad-Barre versteht die Gesetze der Aufmerksamkeitsökonomie wie kaum ein zweiter deutschsprachiger Autor. Seit Tagen gibt es kaum ein Entrinnen vor dem Popliteraten («Soloalbum», «Panikherz») und dessen neustem Werk «Noch wach?». Das Buch wird allerorten als Schlüsselroman über die Hintergründe der Skandale verhandelt, die den Springer-Konzern seit geraumer Zeit schon erschüttern.
An dessen Spitze steht Mathias Döpfner, der nicht nur lange mit Stuckrad-Barre befreundet war, sondern auch den Ex-«Bild»-Chefredaktor Julian Reichelt protegierte – selbst dann noch, als es bereits viele Hinweise gab, dass dieser seine Machtposition ausgenutzt hatte, um jüngere Mitarbeiterinnen sexuell auszubeuten.
Döpfner schasste Reichelt erst, als auch die «New York Times» über die Unternehmenskultur bei Springer berichtete, was die transatlantischen Expansionsbestrebungen des Konzerns in Gefahr brachte. Das US-Blatt zitierte dabei auch ein SMS Döpfners an Stuckrad-Barre, in dem er Reichelt als «letzten und einzigen Journalisten in Deutschland» titulierte, der sich noch dem «neuen, autoritären DDR-Staat» widersetze.
Wenn nun also ausgerechnet Stuckrad-Barre einen in der Medienbranche spielenden #MeToo-Roman veröffentlicht, liegt es nahe, darin eine verklausulierte Verarbeitung der Erlebnisse des Schriftstellers im Springer-Umfeld zu vermuten – was das Buch auch ist, obgleich der Autor immerzu betont, dass es sich um eine Fiktion handle.
Die Kritiken zu dieser Fiktion sind allerdings eher durchwachsen: Während es die «Zeit» «ziemlich eindrucksvoll» findet, «wie es Stuckrad-Barre gelingt, die Mechanismen von Machtmissbrauch und Mitmachen» darzustellen, krankt der Roman der «Süddeutschen Zeitung» zufolge an fehlender «Tragik» und unterkomplexen Figuren. Für die Springer ideologisch nahestehende NZZ wiederum ist «Noch wach?» wenig überraschend vor allem eine «mediale Hinrichtung» Döpfners ohne literarische Qualität im engeren Sinn: «Auch ein gut geschriebenes Pamphlet bleibt ein Pamphlet.»
Allerdings bekommen darin vor allem Leute ihr Fett weg, die ihr Geld mit rechter Stimmungsmache verdienen, was ja erst einmal grundsympathisch ist. Trotzdem hat der Hype einen schalen Beigeschmack: Immerhin war Stuckrad-Barre von 2008 an rund zehn Jahre als Autor für Springer tätig, wofür er ein fürstliches Monatssalär eingestrichen haben soll. 2012 schrieb er anlässlich des 100. Geburtstags von Axel Springer gar ein Theaterstück über den Verlagsgründer. Dass «Bild» und Co. eine nicht gerade menschenfreundliche Agenda verfolgen, war da bereits seit ungefähr einigen Jahrzehnten bekannt.
Oder wie es der Satiriker Dax Werner treffend auf Twitter formulierte: «Danke an Benjamin von Stuckrad-Barre, dass er jahrelang undercover mit Döpfner befreundet war! Dass mit der Bild-Zeitung etwas nicht stimmt, konnte man frühestens – wie die Hauptfigur im Roman – in der Causa Reichelt erkennen.»
Fakten, Fakten, Fakten: Der Oberleguan rückt die Dinge zurecht.