Knapp daneben: In ganzer Länge auf die Breite

Nr. 9 –

Werden die Dinge durch das Fernsehen erst wichtig? Existiert nur, was gezeigt wird? Die Ankündigung des Schweizer Sportfernsehens, fortan auf StarTV jeden Montag ein Fussballspiel der Challenge League zu übertragen, hatte ungeahnte Folgen. Die zweithöchste Spielklasse, die sich über mangelnde Nichtbeachtung nicht beklagen konnte, war plötzlich in aller Munde. Bellinzona gegen Wil hiess die erste live übertragene Partie, und ich könnte ohne zu überlegen eine Handvoll Leute nennen, die sich das Spiel angesehen haben.

Zuhause empfangen wir kein StarTV, weshalb ich mir den vergangenen Montagabend freigeschaufelt hatte, um das zweite Livespiel bei Bekannten zu schauen: Schaffhausen–Winterthur, das Ost-Nordostschweizer Derby. Irgendwann im Verlauf des Tages aber kam mir in den Sinn, dass das Spiel ja auch real stattfindet. Eine so banale wie irritierende Erkenntnis. Ohne die angekündigte Direktübertragung hätte ich im Vorfeld kaum einen Gedanken an die Partie verschwendet; am nächsten Morgen das Matchtelegramm auf der Sportseite, das hätte gereicht. So aber erhielt das Spiel eine Bedeutung, die sein tatsächliches Stattfinden unter Flutlicht und auf Rasen negierte. Am Ende dieser medienphilosophischen Erleuchtung stand die Sehnsucht nach einem kleinen Stadion, und so kaufte ich ein echtes Bier, setzte mich in einen richtigen Zug und verlegte in einer selten wahrgenommenen Körperlichkeit meinen Standort von Zürich-Wiedikon nach Schaffhausen-Breite.

In einer Mischung aus intellektueller Gekränktheit und allergrösster Erleichterung stellte ich am Stadiontor fest, dass ich nicht alleine war: 1559 weitere Menschen hatten der medialen Hypnose widerstanden und sich die Freiheit der unmittelbaren Wahrnehmung geleistet. Darunter auch ein kleines Kontingent besser Daheimgebliebener, die vielleicht dachten, direkt übertragen verlören sie etwas von ihrer Unnötigkeit. In der Schlange vor dem Grill erklärte mir ein Anhänger des FC Winterthur die komplexe Bedeutung televisionärer Aufmerksamkeit aus der Sicht eines Direktbetroffenen. Einerseits sei es gut, findet er, sogar super. «Endlich interessiert sich jemand für dich.» Es sei ein bisschen so, wie wenn die eigene Band zum ersten Mal in der Zeitung erwähnt wird. Andererseits seien solche Montagsspiele für Auswärtsfans eine Katastrophe, gerade wenn Tessiner gegen Deutsch- oder Westschweizer spielen.

In der deutschen Zweiten Bundesliga haben Livespiele am Montag bereits seit Jahren Tradition – und die Fans regen sich seit Jahren auf. Montags schnell von Freiburg nach Jena, von München nach Hamburg und zurück? Begrenzter Spass. Die WinterthurerInnen haben Glück: Schaffhausen ist nah, und nächste Woche kommt am Montag Wil auf die Schützenwiese. Danach ist für den FCW wohl für eine Weile Sendepause. «Aber klar», sagt der Fan, «montags nach Chiasso, sowas braucht hier niemand.»

Montags auf der Breite sieht recht düster aus, zumindest für den erklärten Aufstiegsanwärter. Absteiger Schaffhausen gesteht dem FCW wenig Raum und kein Tor zu, schiesst aber selber eins. Die Fäden im Heimteam zieht Paolo Diogo, der einst für Servette auf der Breite ein Tor geschossen hatte, danach jubelnd vor seinen Fans den Zaun hochgeklettert war, mit dem Ehering am Zaun hängen blieb, den halben Ringfinger verlor und derart zugerichtet vom Schiedsrichter für übertriebenen Torjubel verwarnt wurde. Dass Diogo heute an diesem für seine Karriere und Ehe doch denkwürdigen Ort arbeitet, zeugt von gelungener Verarbeitung.

Einer wie Diogo fehlt dem FCW an diesem Abend. Dafür gewinnen die Rot-Weissen das Duell neben dem Rasen. Das behauptet zumindest ein alter Winterthurer in Neuseeland. Er schaut sich das Spiel live im Internet an und sendet Mitte der zweiten Halbzeit ein SMS in die Kurve: «Man hört nur euch.» Das Schweizer Sportfernsehen spricht unterdessen von einem gelungenen Start in den Montagsfussball: 137400 bei Bellinzona–Wil.