«Wir Erben»: Niemand macht etwas allein
Als die Eltern ihm und seinem Bruder den Hof in Frankreich vererben wollen, sagt Regisseur Simon Baumann: Dann mache ich einen Film darüber. Eine seiner Fragen: Wieso will man etwas zwar nicht erben, aber auch nicht verschenken?

«In der Schweiz zeigen wir nicht so gerne, was wir haben», sagt Regisseur Simon Baumann, der diese Form der Scham auch von sich selbst kennt. In seinem Dokumentarfilm «Wir Erben» sehen wir das Haus, das er geerbt hat und in dem er mit seiner Familie lebt, erst gegen Schluss. «Ich wollte sagen: Es ist ein schönes Haus, es ist ein grosses Haus, es gibt viel zu tun. Nicht damit angeben und auch nicht darüber jammern. Aber wie mache ich das?» Es sei für ihn eine der schwierigsten Szenen des Films gewesen.
Dieses Haus ist in «Wir Erben» eigentlich nur ein Nebenschauplatz. Im Zentrum steht der Hof in Frankreich, den Baumanns Eltern vor gut zwanzig Jahren gekauft haben und seither betreiben – nach ihren Vorstellungen, ökologisch und in sorgsamem Umgang mit der Natur, dem Boden. Sie sind älter geworden, werden den abgelegenen Hof nicht mehr ewig halten können und wünschen sich, dass er in der Familie bleibt. Was bedeutet das nun für die Söhne: ein Privileg, eine Chance oder vor allem eine Last?
Schon in seinem letzten Dokumentarfilm hat sich Simon Baumann mit seiner Familie und dem Ort, an dem er aufgewachsen ist, beschäftigt. «Zum Beispiel Suberg» war angetrieben von der Frage, wieso er eigentlich immer noch in diesem Kaff wohne – und wieso es andere ebenfalls tun. Auch «Wir Erben» wird von einer solchen Grundsatzfrage angetrieben: Wieso eigentlich tun wir uns mit dem Erben so schwer?
Gopfriedli!
Ein Januarmorgen in Suberg. Simon Baumann stellt Kaffee auf den Tisch, man hört leise den Bach rauschen. Das Haus ist eine alte Ölmühle. «Hier sitzen wir genau über dem Wasserrad», sagt Baumann, zeigt dann aus dem Fenster über die Hostet hinüber zum Bauernhaus, «und dort, hinter diesem Fenster, wurde mein Vater geboren.» Der Hof gehört den Baumanns seit Generationen, heute führt ihn Bruder Kilian Baumann, seit die Eltern nach Frankreich ausgewandert sind. Die Eltern: Das sind Stephanie und Ruedi Baumann, in den neunziger Jahren Schweizer Politprominenz, das erste Ehepaar im Nationalrat; sie sass dort für die SP, er für die Grünen. Immer wieder zeigt der Film sie auch in TV-Auftritten aus jener Zeit – sowieso sind diese Eltern dankbare Filmfiguren, denen man auch heute gern zuschaut.
Das Erbe ist natürlich nicht nur materiell. Es geht im Film auch um das Grübchen im Kinn, das er von seiner Mutter hat und das auf Familienfotos bis weit zurück nachverfolgt werden kann. Um die Migräne (vom Vater), die Unsicherheit (aus der Arbeiter:innenfamilie der Mutter), den Hang, alles selber zu machen (von beiden Eltern). Und insbesondere auch um das politische Erbe: Kilian führt als grüner Nationalrat den Kampf der Eltern auf institutioneller Ebene fort, und auch Simon hatte nie das Bedürfnis, sich von ihren Idealen zu distanzieren. Eine schöne Szene, als man die Eltern gemeinsam vor dem Fernseher sieht, wie sie dem Bruder bei einer Debatte zuschauen: «I bi nervös, gopfriedli», sagt die Mutter, als es losgeht. Später ruft der Vater: «Guter Einsatz! Super, Kilian.» Hinterher diskutieren sie darüber, wie sich Kilians Lächeln im Fernsehen von jenem von Ruedi unterscheidet. Es sei viel netter, weniger überheblich als seines damals.
Die Scham der Linken
Trotz 68er-Idealen und jahrzehntelangem linkem und ökologischem Engagement gehören Ruedi und Stephanie Baumann auch zu einer Schweizer Generation, die den sozialen Aufstieg vergleichsweise leicht schaffte und mit ihrer Arbeit irgendwann genug Geld verdient hatte, um sich ein Haus zu kaufen. Oder eben, wenn man schon eines hatte, noch einen Hof in Frankreich. Generation «Schaffe, schaffe, Häusle baue» nennt Kilian Baumann das einmal und fügt trocken an: «Wir sind die Generation, die sieht, dass ‹Schaffe, schaffe, Häusle baue› leider den Planeten zerstört hat. Jetzt können wir schauen, dass wir nicht die gleichen Fehler machen.»
Das mag klingen, als ob die Baumann-Söhne mit ihren Eltern hart ins Gericht gehen, aber so ist dieser Film nicht angelegt – zumal der immer wieder auch humorvolle Umgang nur von einem kommen kann, der seine Eltern sehr gern hat. Und dann sind es vor allem die vielen Widersprüche, die Baumann interessieren, auch jene, die er selbst in sich trägt. Wieso ist es nicht so einfach, ein Erbe auszuschlagen, auch wenn man den Hof selbst gar nicht unbedingt will – oder den Hof einfach zu verschenken, auch wenn das den politischen Idealen mehr entspräche?
Der schwierige Umgang mit dem Erben zieht sich durch alle politischen Lager, ist Baumann überzeugt – und vielleicht ist das auch ein Grund dafür, wieso der Film gerade so viel Aufmerksamkeit bekommt. Das Problem der Rechten sei wohl eher, zuzugeben, dass sie ihren Reichtum gar nicht (nur) selbst erarbeitet haben. «Wir Linken, gerade auch wir Kulturschaffenden, haben von uns tendenziell ein romantisches Bild des gesellschaftlichen Aussenseiters. Und dann ist es eben doch oft das geerbte Geld, das uns diese Position ermöglicht hat. Ein Erbe wie meines, zusammen mit dem sozialen Kapital, reicht eigentlich schon für eine kleine Karriere in der Kultur.»
Am Ende ist Simon Baumann diese Erkenntnis vielleicht am wichtigsten: Niemand macht etwas allein. Leute wie Christoph Blocher oder Peter Spuhler, die in grossen Tönen gegen die Erbschaftssteuerinitiative der Juso wettern, wären nicht reich, hätten nicht sehr viele Leute für sie gearbeitet, in ihren Unternehmen, aber auch daheim, im Haushalt, in der Betreuung der Kinder und also künftigen Erb:innen. «Wir müssen wegkommen von der ewigen Heldengeschichte, den Erzählungen vom Einzelkämpfer», sagt Baumann, auch das habe er thematisieren wollen.
Und hinterfragt sich gleich wieder: «Auch ich hatte mit dem Film ja den Wunsch, einmal möglichst viel alleine zu machen. Alleine zu meinen Eltern nach Frankreich zu fahren, alleine zu fragen, alleine zu filmen. Ist das im Grunde nicht auch wieder eine solche Heldenerzählung?»
«Wir Erben». Regie: Simon Baumann. Schweiz 2024. Jetzt im Kino.
Ausstellung: Vor der eigenen Haustür wird nicht gekehrt
Zwei ältere Frauen sitzen an einem Tisch, ziehen Kärtchen und stellen einander Fragen: «Was möchtest du auf keinen Fall weitervererben?», liest die eine, und die andere antwortet: «Meine Unsicherheit. Meine Selbstzweifel.»
Es empfiehlt sich, diese Ausstellung mindestens zu zweit zu besuchen: «Hilfe, ich erbe!» im Berner Generationenhaus lädt an verschiedenen Stationen dazu ein, über sich selbst nachzudenken. Das Konzept des Erbens wird hier sehr weit gefasst, alles dreht sich um die Frage: Was war vor mir da? Und was werde ich dereinst hinterlassen? Es geht um Geld und Gene, um Ramsch und Traumata, um Schulden, Eheringe oder den Perfektionismus des Grossvaters. An mehreren Stationen wird auch die Frage aufgeworfen, inwiefern Erben gerecht ist. Und ein Privilegien-Tombolarad macht den enormen Einfluss deutlich, den Erbfaktoren wie Muttersprache, Bildung, Hautfarbe oder Kontostand darauf haben, wie man selbst gesellschaftlich situiert ist.
Zwar weist die Ausstellung in vielen Aspekten über die Kernfamilie hinaus und begreift das Phänomen damit auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene. Das ist anregend – hätte da und dort aber gern auch kritischer sein dürfen. Ans Bein gepinkelt wird hier niemandem, vor der eigenen Haustür gekehrt erst recht nicht: Betreiberin des Generationenhauses ist die Burgergemeinde, ein adliges Relikt, das man als Kuriosum abtun könnte, hätte sie nicht bis heute grossen Einfluss in der Stadt; zum Beispiel gehört ihr gut ein Drittel des städtischen Bodens. Das Publikum wird also dauernd ermutigt, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen, während die Betreiberin genau das in der Ausstellung vermeidet. Dabei könnte gerade die Burgergemeinde anhand der eigenen Geschichte sehr schön zeigen, wie altes Geld, geerbter Boden und vererbte Seilschaften bis heute machtvoll in Politik, Wirtschaft und Kultur fortwirken.
Ausstellung «Hilfe, ich erbe!» im Berner Generationenhaus. Bis 26. Oktober 2025.