Steuerwettlauf: Im Dienst der Wohlhabenden

Nr. 43 –

Unternehmen und Reiche wurden in den letzten zwanzig Jahren immer weniger besteuert, die Beschäftigten dafür mehr. Das bestätigt eine bisher unveröffentlichte Studie.

Arbeiter in einer Textilfaser-Spinnerei
Wer arbeitet, zieht den Kürzeren: Die Steuerlast für Angestellte und Arbeiter:innen ist deutlich grösser als für Kapitalbesitzer:innen. Foto: Gaëtan Bally, Keystone

Immer wieder hat die Linke in den vergangenen Jahren die Steuersenkungen des Bundes und verschiedener Kantone kritisiert. Unternehmen würden entlastet, die Einnahmen des Staates sänken, was am Ende des Tages die grosse Mehrheit der Bevölkerung zu tragen habe. In den letzten Jahren gelang es ihr auch immer wieder, die Stimmbevölkerung zu überzeugen; zuletzt vor einem Monat, als die vom Bundesrat vorgeschlagene Teilabschaffung der Verrechnungssteuer an der Urne abgelehnt wurde.

Der Ökonom Andreas Stoller, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Basel, hat nun in einer bisher unveröffentlichten Untersuchung im Auftrag der Anny-Klawa-Morf-Stiftung errechnet, dass die Steuerlast für Unternehmen und Kapitalbesitzer:innen seit dem Jahr 2000 tatsächlich um mehr als 25 Prozent gesunken ist (vgl. Grafik). Anders sieht es in der Schweiz für die Beschäftigten aus: Sie müssen heute durchschnittlich fast vier Prozent mehr an Steuern und Abgaben entrichten.

Umfassende Sicht

Die Steuerlast auf Kapital und Arbeit zu bestimmen, ist nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Unter Steuern auf Kapital in einem «eingeschränkten Sinn», wie Stoller schreibt, versteht man Gewinn- und Kapitalsteuern von Unternehmen. Faktisch ist die Steuerlast auf Kapital aber grösser: Auch natürliche Personen besitzen Kapital, das besteuert wird (Vermögenssteuer, Erbschafts- und Schenkungssteuern). Hinzu kommen etwa die Verrechnungssteuer (auf Kapitalgewinne) und die Stempelabgabe (die beim Handel mit Wertschriften anfällt).

Wer trägt die Steuerlast?

Grafik zur Steuerlast
Steuerbasis des Kapitals sind die Unter­nehmens­­­­­gewinne, Steuerbasis der Arbeit die Löhne. Als Steuerlast für Kapital gelten Steuern auf Kapital sowie Kapitaleinkommen für Unternehmen wie auch natürlicher Personen; als Steuerlast für Arbeit gelten Einkommenssteuern wie auch Abgaben für Sozialversicherungen. Quelle: Studie Anny-Klawa-Morf / Grafik: WOZ

Auch die Besteuerung von Arbeit besteht nicht nur aus der Einkommenssteuer. Stoller zählt etwa auch die Sozialabgaben an die AHV, die obligatorischen Zahlungen an die Pensionskasse oder die obligatorischen Krankenkassenprämien dazu.

Dass die Unternehmen und die Kapitalbesitzer:innen prozentual immer weniger Steuern zahlen, ist das Ergebnis politischer Entscheidungen: Der Bund hatte 1997 und 2008 mit Unternehmenssteuerreformen zu Senkungen beigetragen; 2019 kamen im Paket mit einer Zusatzfinanzierung der AHV weitere Entlastungen dazu. Auch Kantone gingen aggressiv ans Werk: Indem sie ihre «Standortattraktivität» zu stärken suchten, trugen sie zu einem Steuerwettlauf nach unten bei. Inzwischen liegen in über der Hälfte der Kantone die Gewinnsteuern unter der Marke von fünfzehn Prozent. Gemäss einer internationalen Vereinbarung ist das der Prozentsatz, den Firmen mit einem Umsatz von über 750 Millionen Euro künftig im Minimum bezahlen müssen. So soll der aus dem Ruder gelaufene globale Steuerwettbewerb etwas eingeschränkt werden.

Weg von progressiv

Dass die Steuern auf Arbeit sogar angestiegen sind, ist auf den ersten Blick überraschend. Denn auch bei den Einkommenssteuern fand ein kantonaler Wettbewerb nach unten statt. Durchschnittlich wird heute prozentual zum Lohn weniger Einkommenssteuer bezahlt als noch vor zwanzig Jahren. Gleichzeitig stiegen jedoch die Abgaben für Sozialversicherungen; man zahlt mehr in die Pensionskasse und massiv höhere Krankenkassenprämien. Deshalb sind die Steuern im «umfassenden Sinne» gestiegen. Diese Entwicklung ist aus sozialer Sicht besonders problematisch, da anders als bei der Einkommenssteuer die steigenden Abgaben nicht progressiv erhoben werden. Die Krankenkassenprämien eines Bankers sind nicht stärker angestiegen als jene der Kassiererin.

Stollers Untersuchung belegt die markante Umverteilung der letzten zwanzig Jahre. Sie lässt erahnen, wie viel Geld sich der Staat von Unternehmen und Reichen entgehen liess, während die Bürgerlichen den Spardruck auf die AHV oder das Gesundheitswesen immer mehr erhöhen. Von den verlorenen Einnahmen, die angesichts der globalen Klimakrise dringend für den ökologisch-sozialen Umbau der Gesellschaft nötig wären, ganz zu schweigen.

Die Studie ist ab sofort hier zu finden: www.anny-klawa-morf.ch/kapital-arbeit.