Holcim und das Klima: Aus der Verantwortung gestohlen

Nr. 36 –

Holcim hat alleine vergangenes Jahr mit seinem direkten CO₂-Ausstoss einen Schaden von über 22 Milliarden Euro verursacht. Dennoch verteilt der Konzern unbeirrt Gewinne an die Aktionär:innen und das Topmanagement.

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Es war der bislang letzte Coup des Jan Jenisch. Am 23. Juni durfte er an der New Yorker Börse die Klingel drücken, um den Handelstag zu eröffnen. An diesem Tag wurden das erste Mal Aktien des neuen Unternehmens Amrize gehandelt, von dem Jenisch nun Verwaltungsratspräsident und CEO in einem ist. «Man kann viel Shareholder-Value von uns erwarten», protzte er in die Kamera – von Nachhaltigkeit und Klimaschutz kein Wort.

Bei Amrize handelt es sich um den ausgegliederten nordamerikanischen Firmenteil des Schweizer Zement- und Betonkonzerns Holcim, der 2024 fast vierzig Prozent des Holcim-Gesamtumsatzes beisteuerte. Jenisch, der bis im Mai Verwaltungsratspräsident von Holcim war, hat den Spin-off massgeblich vorangetrieben. Dank ihm gibt es jetzt zwei Marken: die «grüne» Holcim AG, die sich in Europa besonders klimafreundlich gibt, und das aggressive Amrize, das beim derzeitigen Bauboom in den USA möglichst viel verdienen will und sich angesichts der aktuellen US-Regierung um den Treibhausgasausstoss nicht im Geringsten kümmern muss. Die Aktionär:innen von Holcim profitieren von beidem, ihnen gehört auch das neue, auf die USA und Kanada ausgerichtete Unternehmen. Für jede ihrer Holcim-Aktien haben sie zusätzlich eine Amrize-Aktie erhalten.

Grossaktionär von Holcim und somit neu auch von Amrize ist Thomas Schmidheiny, Multimilliardär und ein Abkömmling des Firmenmitgründers Ernst Schmidheiny. Der NZZ sagte er kürzlich, die Ausgliederung sei seine Idee gewesen. Die meisten Aktien werden allerdings von institutionellen Anlegern gehalten: Vermögensverwaltungsgesellschaften und Pensionskassen. Jan Jenisch andererseits, der 2024 bei Holcim gemäss Berechnung der Anlagestiftung Ethos rekordhohe 48 Millionen Franken an Vergütungen kassiert hat, wird in seiner neuen Funktion nochmals kräftig dazuverdienen, da die Manager:innenlöhne in den USA weit höher sind als in der Schweiz.

Neue Ausrichtung, steigende Kurse

Die Ausgliederung des Nordamerikageschäfts ist kein Einzelfall. Holcim ist seit einigen Jahren daran, sich neu auszurichten – und jene Unternehmensteile abzustossen, die nicht zur neuen Strategie passen. So verkaufte der Konzern etwa seine indische Tochter an die indische Adani-Gruppe, die auch im Kohlegeschäft stark ist. Auch von seinen Unternehmen in Brasilien oder Indonesien hat sich Holcim getrennt. Jüngstes Beispiel ist der Verkauf seines nigerianischen Geschäftsteils an den chinesischen Konzern Huaxin Cement. Mit den eingenommenen Milliarden hat Holcim in den letzten Jahren seine Dividendenzahlungen erhöhen können, andererseits aber auch neue Firmen dazugekauft, um künftig weniger fokussiert auf die klimaschädliche Produktion von Zement und Beton zu sein. Das alles hat den Aktienkurs in den letzten drei Jahren mehr als verdreifacht, nachdem er jahrelang vor sich hin gedümpelt war.

Doch nun steht der Konzern in diesen Tagen in Zug vor Gericht, und erneut ist sein CO₂-Ausstoss das Thema. Die historische Schuld des Konzerns ist in ihrer Dimension schwer zu fassen. Über sieben Milliarden Tonnen hat Holcim seit 1950 in die Atmosphäre geblasen und so Schäden in Billionenhöhe verursacht. Auf konkrete Fragen der WOZ zur Umgestaltung des Konzerns im Licht seiner Verantwortung hat Holcim bis Redaktionsschluss nicht reagiert.

Das Problem von Holcim ist sein Hauptprodukt: Zement. Um Zement herzustellen, wird Kalkstein auf 1450 Grad erhitzt. Bei dieser Temperatur entweicht aus dem Gestein im grossen Massstab CO₂. Aus dem Kalkstein entsteht so Klinker, das Grundmaterial für den Zement. Dazu kommt der CO₂-Ausstoss der Brennstoffe, mit denen überhaupt erst die grosse Hitze erzeugt wird – Kohle etwa oder auch Abfälle wie alte Autopneus. Die Zementindustrie ist für geschätzte acht Prozent des globalen Treibhausgasausstosses verantwortlich.

Der Staat als Komplize

Holcim versucht angesichts seiner katastrophalen Klimabilanz schon länger, sich in einem grünen Licht darzustellen. Das Unternehmen produziert nicht nur aufwendige Klimaberichte, sondern auch immer wieder neue, angeblich besonders grüne Produkte. Eine Zeit lang verkaufte Holcim hierzulande gar «klimaneutralen Beton» – und erweckte damit einen falschen Eindruck, da der CO₂-Ausstoss bloss günstig kompensiert wurde. Inzwischen hat Holcim Labels für Zement und Beton kreiert, die einen angeblich dreissig Prozent niedrigeren CO₂-Ausstoss ausweisen als die Norm.

Letztlich werden bei der Zementproduktion allerdings immer grosse Mengen CO₂ anfallen. Holcim verspricht darum, bis 2050 alle seine Werke mit Anlagen auszurüsten, die das CO₂ abscheiden. Danach soll es etwa in Norwegen unter dem Meeresboden eingelagert werden. Allerdings betreibt Holcim erst einige wenige Pilotanlagen für dieses Verfahren – und lässt es sich von der EU mitfinanzieren. «Holcim weiss schon lange, wie das mit der CO₂-Abscheidung funktioniert, sie haben die nötigen finanziellen Mittel dazu, es im grossen Stil zu tun», ärgert sich Patrick Hofstetter, Klimaexperte beim WWF. Und ergänzt: «Es wird unnötig viel Zeit verplempert.»

Holcim ist auch Teil der Science Based Targets Initiative (SBTi), eines Zusammenschlusses von Unternehmen, die sich in Zusammenarbeit mit Umweltorganisationen und der Uno Dekarbonisierungsziele geben. Das Hilfswerk Heks, das die Klimaklage gegen Holcim unterstützt hat (vgl. «Einst die schönste Insel der Welt»), kritisiert allerdings, dass dabei die historische Schuld, aber auch Fairnessgrundsätze nicht berücksichtigt werden. Diejenigen, die am meisten zum Klimawandel beigetragen haben und die am ehesten dazu in der Lage seien, mehr zu tun, müssten auch einen grösseren Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels leisten. «Die SBTi macht aber genau das Gegenteil», schreibt Johannes Wendland vom Heks. Unternehmen, die in der Vergangenheit besonders viel ausgestossen haben, dürfen sich weniger ambitionierte Ziele stecken, weil es für sie angeblich schwieriger ist zu reduzieren.

Dass Holcim weiterhin so viel CO₂ ausstossen kann, liegt auch an der Komplizenschaft der Staaten und dem Lobbying der Zementindustrie. Präsident des Schweizer Zementverbands ist der Nationalrat und ehemalige Mitte-Präsident Gerhard Pfister. Beim europäischen Emissionshandelssystem, an dem auch die Schweiz beteiligt ist, kostet der Ausstoss einer Tonne CO₂ derzeit rund 75 Euro. Allerdings bekommen Unternehmen wie Holcim eine grosse Zahl Emissionszertifikate gratis vom Staat (siehe WOZ Nr. 20/21). Gemäss dem deutschen Umweltbundesamt wäre derzeit mindestens ein Preis von 300 Euro pro Tonne angemessen, um die gesellschaftlichen Schäden des Treibhausgasausstosses abzudecken. Konkret heisst das: Holcim hätte – sehr konservativ gerechnet – allein 2024 22 Milliarden Euro für Massnahmen gegen die Klimakrise zahlen und somit Verluste schreiben müssen.

Stattdessen hat der Konzern einen Gewinn von 5 Milliarden Franken ausgewiesen – zum Wohl von Leuten wie Thomas Schmidheiny und Jan Jenisch.