Keine Bühne für Schnäbisongs?
So könnte es also auch gehen. In St. Gallen war die letzten Tage eine kleine und erstaunlich fein geführte Kunstdebatte zu verfolgen. Die Texte, die unterschiedliche Positionen zur Absage eines Konzerts der Punkband Knöppel im Kulturort Grabenhalle formulierten, warfen nicht nur interessante Fragen auf – es ging darin auch kein einziges Mal um eine vermeintliche «Cancel Culture».
Im Herbst sollten Knöppel in der Grabenhalle ihr neues Album «Sex, Jazz, Scheisse» spielen. Nach einer Diskussion innerhalb des rund fünfzigköpfigen Kollektivs hinter dem Kulturort fiel die Entscheidung, das Konzert nicht stattfinden zu lassen. 2019 hatten Knöppel letztmals in der Grabenhalle gespielt, vor allem Mitarbeiterinnen hätten den Abend als unhaltbar erlebt, sagte Matthias Fässler stellvertretend für die Betriebsgruppe zum «St. Galler Tagblatt». Das Publikum sei eine unkontrollierbare, pöbelnde Masse gewesen, habe eine langjährige Mitarbeiterin erzählt, 400 Männer, ein prolliges Olma-, Schüga-, Fussballpublikum, das Texte über Penisse schrie und darüber, wie schmutzig menstruierende Frauen seien. In der Begründung der Grabenhalle geht es nicht nur ums Publikum, sondern auch um die Songtexte: «Wir empfinden viele Textzeilen und den allgemeinen Stoiker-Habitus, diesen penetrant männlichen Blick, weder als lustig noch als kreativ.»
In einem Kommentar stellte sich das «Tagblatt» hinter den Entscheid. Es sei nicht nur die Aufgabe der Veranstalterin, für eine sichere Atmosphäre zu sorgen, Jack Stoiker (so das Solopseudonym von Knöppel-Sänger Daniel Mittag) sei sowieso nicht mehr lustig: «Stoiker, der phallozentrische Provokateur, der vor zehn Jahren noch als Kultfigur gehypt wurde, ist zum Auslaufmodell geworden.» Anderer Meinung ist der linke Publizist und Theologe Rolf Bossart, der mit einem Bandmitglied befreundet ist. In diesen Songtexten werde «der Penis gerade permanent vom Symbol der Potenz zu potenzieller Lächerlichkeit transformiert» und «zur Chiffre prekärer und prekarisierter Männlichkeit», schrieb er im Kulturmagazin «Saiten». Der Kunst zuliebe plädiert Bossart dafür, auch ein paar unangenehme Besucher auszuhalten und notfalls wegzuschicken: «Solange wir Menschen Triebwesen sind, gilt immer dasselbe: Je gereinigter die akzeptierte Kunst, je gereinigter die Linke usw., desto unreiner der Rest.»
Die Reduktion auf phallozentrische Provokation fällt etwas gar simpel aus, sie wird dem absurden, proletarischen Witz von Knöppel nicht gerecht. Aber auch Bossarts Argument verengt sich zum Schluss, wenn auch wortreich hergeleitet, auf die angeblich reinigende Wirkung von künstlerischem Dreck. Darüber hinaus ist der Fokus aufs Publikum interessant – nicht im Sinne der Verantwortung von Künstler:innen für ihre Fans, sondern als Erinnerung daran, dass das Werk nicht vollständig ist, wenn es von der Bühne schallt – auch die Resonanz in einem sich ständig wandelnden Raum gehört dazu.
Am Schluss geht diese freundliche St. Galler Kunstdebatte ohne Gehässigkeiten über die Bühne. Der betroffene Daniel Mittag ist mit der Absage zwar nicht einverstanden, hat aber auch Verständnis fürs Kollektiv, wie er in einem Onlinekommentar unter Bossarts Text schrieb. Lieber sei ihm die Grabenhalle «sperrig und meinetwegen ohne Knöppel-Konzert» denn ein völlig austauschbarer Veranstaltungsort. Einen renitenten rechten Freiheitsbegriff oder kulturkämpferische Strategien hat in dieser Debatte niemand vermisst.