Medientagebuch: Der rasende Rosenbaum
Zum Zustand des NZZ-Konzerns (2)
Bevor wir uns an dieser Stelle wie versprochen den Zukunftsvisionen der «Neuen Zürcher Zeitung» widmen, müssen wir noch einmal auf deren Abbruchpläne in der Ostschweiz eingehen, über die wir in der letzten Folge berichteten. Philipp Landmark, Chefredaktor der NZZ-Tochter «St. Galler Tagblatt», war gegenüber der WOZ bereit, Stellung zu nehmen, warnte gleichzeitig aber davor, andere Artikel zum Thema zu zitieren. Diese seien Stimmungsmache.
Im St. Galler Kulturmagazin «Saiten» sowie im Branchenmagazin «Schweizer Journalist» waren Texte erschienen, die sich kritisch mit den Sparplänen des «Tagblatts» befassten. Anders als in der offiziellen PR-Sprachregelung war dort nicht von Optimierung die Rede, sondern von Abbau. Zudem kam ein Vertreter des JournalistInnenverbands Impressum zu Wort: Die regelmässigen Sparrunden würden die Leute krankmachen, und der Verlag zwinge seine MitarbeiterInnen, Verträge mit schlechteren Konditionen zu unterschreiben. Darüber ärgerte sich der Chefredaktor des Monopolblatts: «Ich habe den Mann aufgefordert, das zu belegen.» Der Impressum-Funktionär: «Ich werde ihm sicher keine Namen liefern, sonst können sich diese Leute ja gleich ausserhalb der Medienszene einen neuen Job suchen.»
Anruf bei Harry Rosenbaum, dem Journalisten, der die beiden Artikel verfasste. Er ist in St. Gallen eine Reporterlegende. Nachdem Rosenbaum Anfang der siebziger Jahre wegen Totalverweigerung des Militärdiensts neun Monate im Gefängnis gesessen hatte, heuerte er beim Gratisblatt «Anzeiger» an. Dem dortigen Chef war seine politische Einstellung egal, er sollte einfach nicht zu kritisch gegen das Militär schreiben. Bald war der rasende Rosenbaum derart gut vernetzt, dass ihn die Polizei sogar einmal für den Mörder hielt – er war noch vor ihr am Tatort eingetroffen. Schon seit langem gilt der 63-Jährige als ein wandelndes Google der Region. Und was ihn neben ein paar wenigen anderen JournalistInnen zur Ausnahme macht: Er war nie Angestellter des «Tagblatts».
«Wie überlebt man in einem Monopol, Harry Rosenbaum?» Viel, sagt er, bleibe nicht: «Saiten», Branchenmagazine, PR. Während zwanzig Jahren habe er für die inzwischen eingestellte Nachrichtenagentur AP und für den «SonntagsBlick» gearbeitet. «Das ging gut. Aber als freier Journalist ist die Situation heute dramatisch: Es gibt nur noch eine Zeitung, die immer mehr abfüllt statt berichtet, immer dünner wird und provinzieller. Es braucht immer weniger Lokalreporter.» Man spüre in der Region keine publizistische Vision, sondern nur eine massive Substanzvernichtung.
Was wären denn die Alternativen? «Vielleicht müssten die Journalisten ihr Handwerk neu lernen», sagt Rosenbaum. Heute rede ja niemand mehr von Artikeln, sondern nur noch von «Content». Und so lese es sich auch. Niklaus Meienberg etwa sei ein Pionier der Oral History gewesen: «Er entschied sich, statt nach oben zu blicken und Verlautbarungen abzutippen, nach unten zu steigen, zu den Leuten, sie zu fragen, wie sie es wirklich erlebt haben.» Vielleicht müssten Strategen in den Chefetagen ihre Journalistinnen wieder mehr zu den Leuten schicken, Nähe schaffen. Vielleicht so, wie jenes dänische Lokalblatt, sagt Rosenbaum: «Die Zeitung stand kurz vor dem Aus. Also eröffnete man ein Café und erklärte den Leuten: Wenn ihr eine Geschichte habt, kommt, trinkt Kaffee und erzählt sie uns. Sie haben damit voll auf das Lokale gesetzt, die Leser wieder ernst genommen. Es lief wie geschmiert.»
Daniel Ryser ist WOZ-Redaktor.
In der nächsten Ausgabe: CEO Veit Dengler über seine NZZ-Visionen.