Abstimmung: Care, Militär oder gar Lokalpolitik?
Die Service-Citoyen-Initiative möchte, dass auch Frauen Militär- oder einen anderen Dienst leisten. Die Debatte fällt in eine Zeit, in der die Rechtsbürgerlichen den Zivildienst abschaffen wollen.
Gross ist die Empörung der Rechten und Reichen über die «Initiative für eine Zukunft» der Juso (vgl. «Der goldrichtige Hebel»). Ruhiger geblieben ist es um die zweite Vorlage, die am 30. November an die Urne kommt: die Service-Citoyen-Initiative. Dabei würde sie bei einem Ja den Schweizer Alltag einschneidend verändern, denn sie fordert: «Jede Person mit Schweizer Bürgerrecht leistet einen Dienst zugunsten der Allgemeinheit und der Umwelt.» Dieser könne als Militärdienst oder «in Form eines anderen, gleichwertigen und gesetzlich anerkannten Milizdienstes» geleistet werden. Gemäss der vergangene Woche publizierten SRG-Umfrage liegt die Zustimmung der Bevölkerung bei fast fünfzig Prozent. Vermutlich wird sie, wie meistens bei Initiativen, noch abnehmen.
Im Parlament hatte die Vorlage einen viel schwereren Stand. Nur achtzehn National- und acht Ständerät:innen unterstützten sie. Die einzigen Parteien, die für ein Ja plädieren, sind die GLP und die EVP. Fast alle links-grünen Politiker:innen lehnen die Initiative ab.
Die grüne Zuger Nationalrätin Manuela Weichelt sagt: «Die Initiative suggeriert: ‹Nur Männer leisten Dienst an der Gesellschaft und Frauen nicht, darum sollen die Frauen jetzt auch.› Dabei leisten Frauen einen Grossteil der unbezahlten Care-Arbeit. Sie ziehen Kinder gross, pflegen Eltern und Schwiegereltern, leisten Nachbarschaftshilfe … So leisten sie heute schon Zivildienst – einfach ohne Erwerbsersatz.» Ein obligatorischer Dienst für alle, wie ihn die Initiative einführen wolle, führe nur zu einer weiteren Belastung der bereits überlasteten Frauen. «Ihre Rente wird dadurch nicht besser, der Lohn im Verkauf oder in der Pflege auch nicht.»
Zwang und Lohndumping
Die Belastung der Frauen ist für Links-Grün ein wichtiger Grund für ein Nein – aber längst nicht der einzige. Im Initiativtext steht auch: «Der Sollbestand der Kriseninterventionsdienste ist garantiert.» Und weiter: Das betreffe insbesondere die Armee und den Zivilschutz.
Damit sei die heutige Möglichkeit, den Zivildienst zu wählen, infrage gestellt, sagt die Zürcher SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf: «Wer wird gezwungen, in die Armee zu gehen, wenn die Bestände nicht gesichert sind? Und wer entscheidet das?»
Seiler Graf, die auch Kopräsidentin des Zivildienstverbands Civiva ist, kritisiert weiter: «Es ist nicht klar definiert, was alles als Service Citoyen gelten würde. Gehört zum Beispiel Engagement in der Lokalpolitik dazu?» Bei einem Ja zur Initiative müssten bis zu 80 000 junge Leute pro Jahr im Bürger:innendienst untergebracht werden, ohne dass das den Arbeitsmarkt konkurrenziere. So etwas sei kaum möglich: «In diesem Ausmass würde der Bürgerdienst wohl zu Lohndumping führen, vor allem im Sozial- und im Gesundheitsbereich.» Zwar könne eine Person, die diesen Dienst leiste, keine Fachkraft ersetzen, etwa im Spital. «Aber wenn es immer genug Leute gibt, haben die Spitäler keine Motivation, die Arbeitssituation der Angestellten zu verbessern.»
Auch Manuela Weichelt sagt: «Wenn ein Zivi im Pflegeheim mit meiner Mutter spazieren geht, ist das total okay. Aber es ist eine Illusion, zu meinen, man könne mit Zivis den Pflegenotstand beheben.»
Am Anfang der Initiative stand der Verein Service Citoyen, der bereits 2013 in Genf gegründet wurde. Zwölf Jahre später hat sich die Sicherheitspolitik radikal verändert. Das Parlament möchte die Armee stärken und hat darum eine Gesetzesrevision verabschiedet, die den Zugang zum Zivildienst erschweren soll. «Wenn das durchkommt, werden wieder mehr junge Männer den ‹blauen Weg› wählen: die medizinische Ausmusterung», befürchtet Priska Seiler Graf. Anfang Oktober haben Civiva, die Jungen Grünen und weitere Organisationen gegen die Schwächung des Zivildiensts das Referendum ergriffen.
Noch viel gravierender sind die mittelfristigen Pläne des Parlaments: Im neuen Modell «Sicherheitsdienstpflicht» sollen Zivilschutz und Zivildienst zu einem Katastrophenschutz zusammengelegt werden (siehe WOZ Nr. 24/25). «Das wäre das Ende des heutigen Zivildiensts», sagt Seiler Graf. Mit einer im Juni beschlossenen Motion macht die rechtsbürgerliche Parlamentsmehrheit auf Tempo – sogar gegen den Willen der Regierung: «Der Bundesrat wird beauftragt, die Sicherheitsdienstpflicht schnellstmöglich einzuführen.» Diese soll nur für Männer gelten.
Sicherheit neu definieren
Auch der grüne Freiburger Nationalrat Gerhard Andrey macht sich Sorgen: «Alles ist pro Militär, pro Aufrüstung, das Parlament will die Gewissensprüfung wieder einführen, und wir verhandeln eine Verfassungsänderung, um die Frauen zu einem ersten Tag im Militär zu verpflichten.» Der Tenor sei: Sicherheit gleich Militär. «Welche Strategie setzen wir Linken dem entgegen?» Andrey bedauert, dass das Parlament nichts von einem Gegenentwurf zur Service-Citoyen-Initiative wissen wollte. «Die Diskussion wäre wichtig: Wie definieren wir Sicherheit, wie definieren wir einen Dienst am Land? Wie könnte ein solcher Dienst aussehen, wenn er den sozialen Zusammenhalt, den Umweltschutz, die Verständigung über Regionen und Sprachgrenzen hinweg stärken soll?»
Er wolle keine Militärdienstpflicht für Frauen, sagt Andrey, aber er werde am 30. November Ja stimmen. «Ich möchte, dass es andere Optionen gibt, für Frauen und für Männer. Ich möchte über die Bücher und neue Ideen entwickeln.» Das Parlament habe diese Diskussion leider nicht führen wollen.
Die Linke brachte in der Frühlingssession zwar einen indirekten Gegenvorschlag zur Initiative ein: eine Verkürzung der gesetzlich festgelegten Höchstarbeitszeit, um den Erwerbstätigen mehr Zeit für freiwilliges Engagement zu geben. Er hatte keine Chance. «Ich bin auch für Arbeitszeitreduktion», sagt Andrey. «Aber das war doch ziemlich weit weg von der Vorlage.»
So etwas wie einen Gegenentwurf zur Initiative gab es – bereits ein Jahr bevor das Parlament über sie debattierte: eine Motion der ehemaligen Aargauer Mitte-Nationalrätin Lilian Studer. Sie forderte 2023 einen freiwilligen Zugang zum Zivildienst für Frauen, niedergelassene Ausländer:innen und nicht dienstpflichtige Männer. Schon 2017 hatten die Grünen einen ähnlichen Vorstoss eingebracht. Beide scheiterten im Parlament.
Und Strassburg?
Noch etwas müsse man berücksichtigen, sagt Gerhard Andrey: Am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg ist eine Klage des Juristen Martin D. Küng hängig – dieser findet es diskriminierend, dass in der Schweiz nur Männer ins Militär müssen. «Was tut die Linke, wenn Küng recht bekommt?», fragt Andrey. «Dann droht mittelfristig die Militärdienstpflicht auch für Frauen. Der Service Citoyen wäre eine Antwort darauf.»
Seine Parteikollegin Manuela Weichelt sieht das anders: «Wir sollten nicht die Bedingungen für die Frauen verschlechtern, sondern jene für die Männer verbessern: Freiwilligkeit für alle. Auch wenn dann vielleicht die Militärbestände sinken.» Es gebe immer noch viel Leerlauf in Rekrutenschule und Wiederholungskursen, das höre sie oft von jungen Männern in ihrem Bekanntenkreis. «Die Verteidigung könnte auch bei tieferen Beständen wirksamer sein: mit einer besseren Führung, die die Soldaten zum Mitdenken auffordert, statt dass sie kritiklos gehorchen müssen.»