Unwetterkatastrophe in Libyen: Der Dammbruch von Darna
Hätten die Dämme im Osten Libyens den Wassermassen standgehalten, wären nicht so viele Menschen gestorben. Doch wer ist dafür verantwortlich?
Mehr als 11 000 Tote, Zehntausende Menschen werden noch vermisst. Weitere Zehntausende wurden aus ihren Häusern vertrieben, mindestens 40 000 sind auf der Flucht. So lautet die bisherige Bilanz der Überschwemmungen in Libyen. Es ist die verheerendste Unwetterkatastrophe in der jüngeren Geschichte des nordafrikanischen Staates.
Dass das bitterarme Bürgerkriegsland politisch zweigeteilt ist, macht die Rettungseinsätze noch schwieriger. Denn seit dem Sturz und dem Tod des langjährigen Machthabers Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 fehlt es an einer Zentralregierung. Im Osten, wo der Sturm Daniel besonders grosse Verwüstungen anrichtete, herrscht eine Regierung, die international nicht anerkannt wird; im Westen hat eine international anerkannte Regierung mit Sitz in Tripolis das Sagen. Beide Regierungen kämpfen um Macht und Bodenschätze – und treiben das Land in den Abgrund. Zudem ist der Bürgerkrieg längst zu einem Stellvertreterkrieg mit internationaler Beteiligung ausgeartet. Dieses Chaos ist auch einer der Gründe dafür, dass das Unwetter solch eine Zerstörungskraft entfalten konnte. Denn all das hatte in den letzten Jahren zum weiteren Verfall der ohnehin schon maroden Infrastruktur geführt.
Verwirrung um Wartungsarbeiten
Sinnbild für die Verwahrlosung ist Darna, das eigentliche Epizentrum der Katastrophe. Die Hafenstadt mit ihren 125 000 Einwohner:innen steht unter Kontrolle der Regierung im Osten von Warlord Chalifa Haftar. In Darna durchbrachen die Wassermassen zwei Dämme, die Menschen wurden ins Meer gerissen, ganze Stadtteile zerstört. Abdel-Moneim al-Gheithy, der Bürgermeister, gab seiner Befürchtung Ausdruck, dass es in der Stadt «bis 20 000 Tote» geben könnte. Nun stellt sich die Frage der politischen Verantwortlichkeit. Die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen gegen die örtlichen Behörden angekündigt.
Die beiden Dämme wurden in den 1970er Jahren gebaut. Die Angaben über den baulichen Zustand sind widersprüchlich. So sagte Ahmed Madrud, stellvertretender Bürgermeister von Darna, gegenüber Al Jazeera, die Dämme seien seit 2002 nicht mehr gewartet worden. Das türkische Unternehmen Arsel Construction Company sei 2007 mit der Instandhaltung beauftragt worden. Laut Medienberichten hat die Firma auf ihrer Website angegeben, diese im Jahr 2012 abgeschlossen zu haben. Dass die Dämme gesichert werden müssten, um Katastrophen zu vermeiden, darauf wies jedenfalls eine 2022 veröffentlichte Studie der Universität Sebha hin: Darna sei wegen des Hochwasserpotenzials ein Hochrisikogebiet. Dass ohne Dammbruch nicht so viele Tote zu beklagen wären, ist unbestritten. Nach der Zerstörung der beiden Staudämme ist die Küstenstadt allfälligen weiteren Überschwemmungen schutzlos ausgeliefert.
Haftars Vaterpose
Unterdessen warnte das Uno-Nothilfebüro davor, dass auch zwei Dämme nahe der ostlibyschen Stadt Benghasi brechen könnten. Libysche Behörden hingegen behaupten, diese seien in einem guten Zustand.
Schon jetzt wird die Katastrophe von der Familie Haftar für eigene Zwecke instrumentalisiert. Wegen der zunehmend prekären Lebensbedingungen stürmten im Juli vergangenen Jahres Demonstrant:innen das Parlament im ostlibyschen Tobruk. Die Proteste weiteten sich auf weitere Städte aus. Um die wachsende Unzufriedenheit einzudämmen, nahm Chalifa Haftar nun nach der grossen Katastrophe öffentlichkeitswirksam Hilfslieferungen aus Ägypten an – Kairo unterstützt seit Jahren auch seine Streitmacht. So inszeniert sich der Warlord in der Katastrophe als zupackender Landesvater, dabei hat es in Darna unter seiner Ägide keinerlei Investitionen gegeben.
Just am Tag, als die Dämme brachen, hatte sein Sohn Elseddik Haftar erklärt, er könne sich vorstellen, als Präsident zu kandidieren. Ursprünglich sollten gemäss einem Friedensplan im Dezember 2021 Wahlen für eine Einheitsregierung stattfinden. Sie wurden jedoch auf unbestimmte Zeit verschoben.