Porträt Chalifa Haftar: Libyens mächtigster Warlord
Einst war er Muammar al-Gaddafis Weggefährte, dann diente er der CIA. Heute steht Chalifa Haftar einer nationalen Einheit in Libyen im Weg.
An Chalifa Haftar scheiden sich die Geister. Im Osten Libyens, der Kyrenaika, wird er noch immer als Held vergöttert. Im Westen hingegen, in Tripolitanien, gilt er als Steigbügelhalter für abgehalfterte PolitikerInnen des alten Regimes. Zwar hat das gespaltene Libyen seit bald fünf Monaten eine von der Uno vermittelte Regierung der nationalen Einheit mit Sitz in Tripolis. Aber von nationaler Einheit kann in Libyen nicht die Rede sein. Vor allem einer steht ihr im Weg: Haftar.
Der 73-jährige General, der die stärksten Truppen im Osten Libyens befehligt, stellt sich gegen die Regierung in Tripolis, weil diese ihm nie das Oberkommando der Armee eines vereinten Libyen anvertrauen wird. Haftar, der unterstützt wird von Ägypten, den Emiraten und inzwischen auch von Russland, ist bei den im Westen Libyens politisch einflussreichen und militärisch starken Muslimbrüdern Persona non grata. «Islamistenfresser» nennen sie ihn.
Von Gaddafi zur CIA
Haftar hat eine abenteuerliche Biografie. Im Alter von zwanzig Jahren tritt er in die Königliche Militärakademie von Benghasi ein, der Hauptstadt der Kyrenaika. Dort lernt er den um ein Jahr älteren Muammar al-Gaddafi kennen und schliesst sich dessen «Bewegung freier Offiziere» an, die 1969 gegen König Idris putscht und die Macht übernimmt.
Unter Gaddafi macht Haftar schnell Karriere. Er wird zum Oberst befördert und befehligt 1973 im Jom-Kippur-Krieg gegen Israel eine libysche Panzereinheit, die über den Suezkanal in den israelisch besetzten Sinai eindringt. 1986 ernennt ihn Gaddafi zum Kommandanten des 11 200 Mann starken libyschen Expeditionskorps im Tschad, das im Norden des Landes gegen die von den USA und der französischen Armee unterstützten Regierungstruppen von Hissène Habré kämpft. 1987 gerät Haftar dort zusammen mit über 400 seiner Soldaten in Gefangenschaft.
Nach der militärischen Niederlage wendet sich Haftar von Gaddafi ab. Er ist gekränkt, weil dieser nicht zu ihm steht, sondern die Präsenz libyscher Truppen im Tschad leugnet. Offenbar auf amerikanischen Druck hin kommen bald die meisten Kriegsgefangenen frei. Sie haben eingewilligt, einer von der CIA im Tschad ausgebildeten Anti-Gaddafi-Truppe beizutreten, die Haftar unterstellt wird. Sie soll in Libyen dereinst das Regime destabilisieren und stürzen.
Doch schon im Dezember 1990 stürzt ein anderer: Habré. Die CIA schleust Haftars Truppe aus dem Tschad, zunächst nach Nigeria, dann nach Zaire, der heutigen Demokratischen Republik Kongo, von dort nach Kenia. Doch kein afrikanischer Staat will sie haben.
Kampf gegen Islamisten
Über 300 von Haftars Soldaten landen im Dezember 1990 schliesslich in den USA. Er selbst erhält die amerikanische Staatsbürgerschaft und lässt sich in einem Vorort von Washington nieder. In den ersten Jahren steht er mit der CIA noch in Kontakt. Seine Ambition, Gaddafi zu stürzen, hat er nicht aufgegeben. 1993 plant er ein Attentat auf den Diktator – dass die CIA mit von der Partie ist, liegt nahe. Doch Gaddafi bekommt Wind von der Sache. Er lässt zahlreiche Oppositionelle verhaften, einige Verschwörer werden erschossen.
Mit dem Ausbruch des Arabischen Frühlings wittert Haftar Morgenluft. Vier Wochen nachdem in Benghasi die libysche Rebellion ihren Anfang genommen hat, kehrt er im März 2011 in seine Heimat zurück. Chalifa Haftar organisiert desertierte Armeeeinheiten und übernimmt das Oberkommando der Rebellen, bis ihn der Nationale Übergangsrat nach einer Woche wieder absetzt. Einige Monate nach dem Sieg der Rebellen und dem Tod Gaddafis zieht sich Haftar, der im neuen Libyen keine Rolle zu finden scheint, wieder in die USA zurück.
Im Mai 2014 taucht er erneut auf und verkündet die Operation «Karima» (Würde), worunter er den Kampf gegen Islamisten jedweder Couleur versteht. Im Osten des Landes vertreibt seine Miliz vor allem Ansar al-Scharia, den libyschen Ableger von al-Kaida, aus Benghasi. Im Westen stürmen seine Truppen das Parlamentsgebäude in Tripolis. Der Putsch misslingt. Aber immerhin kommt es im Juni zu Neuwahlen, die nun von den laizistischen Kräften gewonnen werden. Doch unter dem Terror von Milizen, die den Muslimbrüdern nahestehen, können sie sich in Tripolis nicht versammeln.
Seither tagt das gewählte und international anerkannte Parlament in Tobruk, im Osten des Landes. Unter dem Druck Haftars, den es im vergangenen Jahr zum Chef der Libyschen Nationalarmee ernannt hat, weigert es sich bisher, die von der Uno vermittelte Regierung in Tripolis anzuerkennen.
Martin Kobler, Chef der Uno-Mission in Libyen, betonte wiederholt, man könne Haftar nicht einfach übergehen. Man müsse eine Rolle für ihn finden. Bloss will der alte General nicht mit Kobler darüber sprechen und weigert sich, ihn zu empfangen. Haftar ist sich sicher, welche Rolle ihm zusteht: Er will der oberste Befehlshaber der neuen Armee eines vereinten Libyen sein. Er ist nicht nur machtversessen. Er ist auch davon überzeugt, dass allein er Libyen vor dem Chaos bewahren kann.