Europawahlen: Für ein besseres Morgen

Nr. 18 –

Der Startschuss erfolgte auf historischem Boden: Gut fünfeinhalb Wochen vor den Wahlen zum EU-Parlament Anfang Juni trafen sich die Spitzenkandidat:innen in Maastricht zu ihrer ersten TV-Debatte. In der Stadt also, in der 1992 der Gründungsvertrag der Europäischen Union geschlossen wurde. Der Symbolik war es damit noch nicht genug: Wie in Maastricht mit seiner internationalen Universität üblich, bestand das Debattenpublikum aus jungen Europäer:innen. Ihre Fragen zielten auf die Zustände ab, unter denen sie ihr Leben auf diesem Kontinent aufbauen. Eine Debatte an der Schnittstelle zwischen den Grundlagen von gestern, den Bedrohungen von heute und der Hoffnung auf ein besseres Morgen also.

Selbstverständlich stand bei dieser Konstellation die Klimakrise im Fokus – und der Kampf, den die EU mit ihrem «Green Deal» und den Klimazielen dagegen führt. 55 Prozent weniger CO₂-Emissionen 2030, klimaneutral 2050 – mit dieser Zielsetzung gehört sie zu den ambitioniertesten Akteuren weltweit. So selbstverständlich war dies trotz eines Winters mit Wärmerekorden allerdings doch nicht: Die Jungwähler:innen sind die einzige Altersgruppe, die dem Klima klare Priorität einräumt. Energiekrise, Inflation und für viele EU-Bürger:innen zuvor ungekannte Erfahrungen von Prekarität haben die Menschen klimamüde gemacht. Der Ruf nach einer «Pause» in der Klimapolitik erklingt immer lauter.

Die Debatte in Maastricht fasste den derzeitigen Stand der Dinge treffend zusammen: Da war Ursula von der Leyen, die gerne erneut Präsidentin der EU-Kommission werden würde und sich mit dem «Green Deal» als Markenzeichen ihrer nun auslaufenden Amtszeit schmückte. Sie betonte die Rolle der EU als Marktführerin grüner Technologie und kündigte ein neues Milliardenbudget an. Bas Eickhout, der grüne Spitzenkandidat, hielt dagegen, der «Green Deal» sei vor allem dem Drängen der jungen Europäer:innen zu verdanken; er sei «nicht fertig» und müsse nun dringend mit enormen sozialen Investitionen abgefedert werden. Von der Leyen warf der Niederländer vor, das Abkommen wegen des Drucks durch die jüngsten Agrarproteste verwässert zu haben.

Und dann war da noch der Däne Anders Vistisen, der die rechtsextreme Fraktion «Identität und Demokratie» vertritt. Sein Auftritt war rhetorisch und inhaltlich rundherum blamabel; er beschimpfte Brüssel als «Sumpf» und kündigte an, 10 000 «Bürokraten» zu «feuern», angefangen mit von der Leyen. Die Klimaziele wollen die Identitären schlicht ignorieren, weil sie, so Vistisen, Arbeitsplätze kosteten. Das Publikum war von seinem Auftritt bestenfalls peinlich berührt. Anzumerken bleibt freilich, dass etwa in den Niederlanden Ende 2023 eine Partei mit entsprechendem Programm die Wahlen klar gewann – oder in Deutschland überspannter Grünenhass halb Trendsport, halb Volksbelustigung ist.

Noch ist unklar, ob die EU-Wahlen den scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg der Populist:innen bremsen werden. Umfragen deuten bislang nicht darauf hin. Doch die jüngsten Enthüllungen über chinesische Spionagekontakte und russische Desinformationsnetzwerke der Fraktion bieten Sprengstoff; sie könnten Wähler:innen die Augen öffnen, wem sie bislang ihre Stimme gaben. In der Maastrichter Debatte bekam Vistisen dafür klare Kante von den anderen Teilnehmer:innen. Von der Leyen drohte «Putins Stellvertreter, die die EU von innen zerstören wollen», offen: «Wir werden das nicht zulassen. Wir sind stärker als ihr und werden eure Einmischung bekämpfen!»

Unweigerlich dachte man bei diesen Szenen an den Amtsantritt der Präsidentin, die 2019 eine «geopolitische Kommission» angekündigt hatte. Die Handlungsfähigkeit Europas in der Welt – sie wurde in den letzten Jahren auf eine Art und Weise herausgefordert, wie sich das von der Leyen 2019 nicht vorgestellt hatte. Russlands Krieg gegen die Ukraine hat dafür gesorgt, dass Sicherheits- und Verteidigungspolitik unter den demokratischen Parteien einvernehmlich zur Toppriorität geworden sind. Auch wenn die Debatte in Maastricht von Symbolik geprägt war: Bei den EU-Wahlen geht es tatsächlich um die Frage, ob Europa auch seine progressive Vision verteidigt.