Durch den Monat mit Barbi Marković (Teil 1): Warum ist Wien eine Mickymausstadt für Sie?

Nr. 10 –

Die Autorin Barbi Marković besitzt einen serbischen Pass, fühlt sich aber als Wienerin. Warum ihr die aktuelle Situation in Serbien Hoffnung gibt – und wie der Fussball das Jugoslawien ihrer Kindheit spaltete.

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Portraitfoto von Barbi Marković
Barbi Marković: «Es ist kein hartes Pflaster, man braucht nicht sieben Jobs, um zu überleben.»   

WOZ: Barbi Marković, wir sitzen im Café Kriemhild, einem dieser leicht angeschmuddelten Orte, die in Wien gerade wieder angesagt sind. Gehen Sie gern in Kaffeehäuser?

Barbi Marković: Eigentlich nur zu Interviews. Aber wie die meisten Kulturmenschen mag ich Cafés – obwohl es den meisten meiner Kolleg:innen im «Kriemhild» wahrscheinlich schon viel zu hip wäre. Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich, als ich 2006 von Belgrad nach Wien kam, gestaunt habe, wie viel Zeit die Menschen in dieser Stadt haben. Dass sie dauernd im Café sitzen und darüber reden, ob die Melange gut oder schlecht schmeckt.

WOZ: Sie haben Wien einmal eine Mickymausstadt genannt.

Barbi Marković: Das ist das schönste Kompliment, das man einer Stadt machen kann. Man fühlt sich sicher, bei Tag und bei Nacht. Es gibt Netzwerke und Strukturen, die funktionieren. Es ist kein hartes Pflaster, man braucht nicht sieben Jobs, um zu überleben. Natürlich wird es auch in Wien immer schwieriger, die Armut wächst. Aber es ist noch immer eine der nettesten Städte, die ich kenne.

WOZ: Sie wurden 1980 in Belgrad geboren, haben dort Germanistik studiert. Wie haben Sie in den vergangenen Jahren Ihre Heimatstadt wahrgenommen?

Barbi Marković: Da ist die Korruption schon so fortgeschritten, dass die Gebäude begonnen haben, auf die Menschen zu fallen. Für mich ist es gerade wunderschön zu sehen, dass es eine Revolution in Serbien gibt, die nicht parteipolitisch geprägt ist. Es begann mit Student:innen, hat sich ausgebreitet auf Schulen und andere Berufsgruppen. Die Menschen treten gemeinsam für ein besseres Leben und für Solidarität ein, sie lassen sich nicht spalten. Ich finde, dafür sollten wir alle auf die Strasse gehen.

WOZ: Sie sind also zuversichtlich?

Barbi Marković: Ich nehme die Wette an, obwohl ich ­eigentlich keine Optimistin bin. Der serbische Präsident Aleksandar Vučić war immer gut darin, Verbündete in Europa zu finden. Er hat Serbien billig verkauft und dafür internationale Unterstützung erhalten. Die Software, um die Bevölkerung und die Journalist:innen zu bespitzeln, kam übrigens aus der Schweiz.

WOZ: Sie leben seit zwanzig Jahren in Wien, dürfen aber nicht wählen, weil Sie einen serbischen Pass haben. Wie ist es, zwischen den Stühlen zu sitzen?

Barbi Marković: Ich hänge nicht an meinem serbischen Pass. Aber es ist wirklich eine mühsame und langwierige Sache, eine österreichische Staatsbürgerschaft zu bekommen. Man muss vierzig Punkte erfüllen, und erst dann kann man eine Prüfung ablegen. Einer dieser Punkte ist, nahezu sämtliche Steuererklärungen seines bisherigen Lebens vorzulegen. Leider kommt mir immer etwas Wichtigeres dazwischen. Vielleicht wird mir das eines Tages zum Verhängnis.

WOZ: Sie wollen Österreicherin werden?

Barbi Marković: Ich arbeite an diesem Upgrade. Aber ich finde es schrecklich, dass wir von Geburt an einen bestimmten Pass zugewiesen bekommen und damit entweder Vor- oder Nachteile haben. Warum soll es einfach vom Glück abhängen, ob man in einem Land wie der Schweiz geboren wird? In Österreich zum Beispiel sind zwanzig Prozent der Bevölkerung von der Wahl ausgeschlossen. Es ist unfair, dass Menschen, die schon lange hier leben und Steuern zahlen, politisch nicht mitentscheiden dürfen. Wir müssen die politischen Entscheidungen dann ja trotzdem ausbaden.

WOZ: Sie haben den Zerfall von Jugoslawien hautnah erlebt. Haben Sie Angst vor dem aktuellen Rechtsruck in Europa?

Barbi Marković: Früher dachten wir ja, das ist nur bei uns so. Überall sonst auf der Welt gibt es bessere Verhältnisse. Mittlerweile sieht es sehr düster aus. Ich hoffe nur, dass auch diese Stimmung wieder kippt. Die aktuelle Situation in Serbien gibt mir zumindest Hoffnung.

WOZ: In Ihrem jüngsten Roman, «Piksi-Buch», beschreiben Sie zwei konkurrierende Fussballvereine in Belgrad. Ihre Kollegin Elfriede Jelinek findet, dass Sport Krieg mit anderen Mitteln ist. Auch Sie scheinen Fussball zu hassen, oder?

Barbi Marković: Ich habe nichts gegen diesen Sport, nur gegen einige seiner Implikationen. Ich beschreibe das Jugoslawien meiner Kindheit Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre, einer Zeit, in der die Gewalt in die Gesellschaft gekommen ist. Fussball war ein Übungsfeld dafür, was sich später kriegerisch fortsetzen sollte. Die Welt war plötzlich gespalten: Bist du Partizan Belgrad oder Roter Stern Belgrad? Je nachdem warst du Freund oder Feind. In meinem Buch beschreibe ich eine Prügelszene: Einer dieser Hooligans vom Verein Roter Stern Belgrad war «Arkan» – das war der Spitzname des späteren Kriegsverbrechers Željko Ražnatović. Das alles ist kein Zufall. Hooligans werden heute noch inoffiziell gern von der Regierung eingesetzt, wenn es darum geht, brutal gegen Demonstrierende vorzugehen.

WOZ: Soll Sport nicht helfen, Stress abzubauen?

Barbi Marković: Ich habe gelesen, in England sei der Fussball eingeführt worden, damit junge Männer in Internaten nicht masturbierten. Ich denke, das hat nicht wirklich funktioniert.

Barbi Marković (45) zog 2006 nach Wien. 2024 gewann sie für ihr Buch «Minihorror» den Preis der Leipziger Buchmesse. Sie schreibt auf Serbisch und Deutsch. Nächste Woche erläutert sie, ob Humor politisch korrekt sein muss.