Durch den Monat mit Barbi Marković (Teil 3): Wie finden Sie den Begriff «toxische Männlichkeit»?
Die Autorin Barbi Marković überlegt, wie Gewalt in der Gesellschaft entsteht – und erklärt, warum es wichtig ist, gemeinsam mit Menschen zu demonstrieren, die andere Werte vertreten.

WOZ: Barbi Marković, war Ihnen schon in Belgrad klar, dass Sie Schriftstellerin werden wollen?
Barbi Marković: Ja, und zum Glück war es meinen Eltern egal. Sie haben mich immer unterstützt und fanden Schreiben besser, als wenn ich mich im Park geprügelt hätte. Wobei wir das ohnehin auch gemacht haben. Aber ich hatte null Druck von den Eltern, irgendwas zu werden. Das ist der einzige Vorteil, den man hat, wenn man aus wenig erfolgreichen Familien kommt. Man kann auch scheitern, das wäre normal in dem Stammbaum.
WOZ: War das kommunistische System ein Sicherheitsnetz?
Barbi Marković: Als Individuum hatte ich grosse Versagensängste. Aber in dieser Gesellschaft, die sich zumindest für kurze Zeit als klassenlos verstanden hat, war Bildung für alle da. Meine Eltern waren gutgläubig kommunistisch erzogene Menschen, 1968er-Student:innen mit Idealen. Sie liessen mich frei wählen, es musste keinen Zweck haben, was ich machen möchte. Alles war abseits von diesem marktorientierten Denken. Das hängt sicher mit dem Kommunismus zusammen.
WOZ: Nehmen Sie viel aus Ihrer Biografie in Ihre Literatur?
Barbi Marković: Ja, ich verkaufe alles, was ich kenne. Ich muss die Sachen, über die ich schreibe, zumindest ansatzweise in mir finden, sonst glaube ich mir selbst nicht. Aber der Rest ist dann frei erfunden.
WOZ: Woran arbeiten Sie gerade?
Barbi Marković: Ich mache im Moment komischerweise viel fürs Theater. Im Januar 2026 kommt eine Auftragsarbeit von mir im Schauspielhaus Zürich. Für das Wiener Koproduktionshaus Brut schreibe ich über einen Balletttänzer aus den vierziger Jahren, der sich den Partisan:innen anschliesst und als Kellner italienischen Faschisten eine in einem Teller Spaghetti versteckte Bombe serviert. Auch das ist eine Auftragsarbeit, die aber einen interessanten Bogen spannt: Als Kind ging ich in Belgrad in eine Ballettschule, die nach diesem Tänzer benannt war.
WOZ: Wollten Sie mal Balletttänzerin werden?
Barbi Marković: Nein. Ich war schlecht. Nach den ersten paar Monaten Erniedrigung habe ich geschwänzt.
WOZ: Gewalt ist ein zentrales Thema bei Ihnen – und auch die Frage, wie sie entsteht.
Barbi Marković: Machismus ist ein grosser Feind. Der brüllende, unreflektierte, machtgeile Mob, den ich unter anderem in Serbien erlebt habe, der alles kaputtmacht. Egal ob das Incels sind oder Terroristen. Oder Meta-Chef Mark Zuckerberg, der sich nach maskuliner Energie sehnt. Bis das Gegenteil bewiesen wird, glaube ich tatsächlich, dass diese Gruppen alles, was schön ist, zerstören. Was spricht dagegen, solidarisch und nett zu sein? Warum leben wir in einer Welt, in der «Bullys» Macht haben und auf die Schwächeren treten?
WOZ: Finden Sie gut, dass es Begriffe wie «toxische Männlichkeit» oder «Mansplaining» gibt, auf die man zurückgreifen kann?
Barbi Marković: Es war toll, plötzlich Worte dafür zu haben, was schiefläuft. Dinge klar benennen zu können, für die man vorher nur ein vages Gefühl hatte. Aber grundsätzlich finde ich, es sollten alle zusammenhalten, um gegen Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft aufzutreten.
WOZ: Verliert sich Identitätspolitik zu sehr in Gruppendenken?
Barbi Marković: Das ist eine schwierige Frage. Aber ich finde im Moment tatsächlich, dass man nicht jeden Kampf auf jedem Feld gleichzeitig führen kann. Früher war ich eher skeptisch, wenn es darum ging, eine Mehrheit zu bilden, egal was die Beteiligten im Detail denken. Ich war in Belgrad auf einer Demonstration, und da liefen Menschen mit LGBT+-Transparenten neben solchen, die Schilder trugen mit der Aufschrift «Vučić ist schwul». Das war schon einigermassen verwirrend für mich. Aber mittlerweile denke ich: Okay, halten wir das vielleicht kurzfristig aus und erkämpfen als erstes Ziel, dass der Staat nicht völlig unter der Korruption zusammenbricht. Ich finde, viele Kämpfe sind wichtig, ich unterstütze verschiedene Anliegen, aber vielleicht gehen wir eine Zweckgemeinschaft ein, um ganz pragmatisch das Schlimmste zu verhindern.
WOZ: Erleben Sie weibliche Solidarität in der Kunst?
Barbi Marković: Dafür liebe ich die Wiener Literaturszene. Es gehört zum guten Ton, sich empathisch zu zeigen und einander zu unterstützen. Auch über die jeweilige Gruppe hinaus. Es gibt tolle Initiativen, einige Künstler:innen gehen gemeinsam boxen. Und später gibt es die Aussicht, eine «Oma gegen Rechts» zu werden, also sich auch im Alter organisiert für Toleranz in der Gesellschaft einzusetzen.
WOZ: Sind Sie eher Einzelkämpferin, oder ist Ihnen diese Gemeinsamkeit wichtig?
Barbi Marković: Hier soll man auf jeden Fall sagen: nur gemeinsam! Doch ich habe schon auch meine Schwierigkeiten mit Gruppen und Massen, da sie die Tendenz haben, plötzlich doch in die falsche Richtung abzubiegen. Im Augenblick aber bin ich optimistisch und offen für gemeinsames Kämpfen.
Barbi Marković interessiert sich für die scheinbaren Nebensächlichkeiten: Sie hat sogar ein Stück über Staub geschrieben, der unsere Wohnungen persönlich und einzigartig macht.