Berner Kulturknatsch: Der Wettbewerb solls richten

Nr. 37 –

Seit die Stadt Bern den Leistungsvertrag mit der Dampfzentrale öffentlich ausgeschrieben hat, wird über deren Ausrichtung laut diskutiert. Im Kern steht die Frage: Wer hat Platz in diesem wichtigen Kulturhaus?

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Saal der Dampfzentrale in Bern
Früher stiegen hier legendäre rauschende Partys – heute wird über zu wenig Publikum geklagt. Foto: Sabine Burger

Es ist kein neuer Konflikt, der gerade einen Höhepunkt erreicht: jener zwischen der Stadt Bern und der Dampfzentrale, Berns mit 2,4 Millionen Franken jährlich am zweithöchsten subventionierten Kulturhaus. Seit Jahren wirft die Stadt dem Haus eine zu geringe Programmdichte, zu wenig Publikumsaufkommen und zu wenig Zugänglichkeit für die Berner Tanzszene vor. 2022 haben diese Vorwürfe zu Subventionskürzungen geführt, jetzt greift die Stadt zu einem drastischen Mittel: Sie schreibt den Leistungsvertrag der Dampfzentrale öffentlich aus – für die Subventionsperiode ab 2028 kann sich im Prinzip jeder Verein bewerben. Ein aussergewöhnlicher Schritt, der für rege Diskussionen sorgt.

Bei der aktuellen Trägerschaft, dem Verein Dampfzentrale, verstärkte das Vorgehen der Stadt schwelende interne Konflikte zwischen Team und Vorstand: Für Ersteres war klar, sich auf die Ausschreibung bewerben zu wollen, Letzterer zeigte sich unentschlossen. An der Mitgliederversammlung im August führte das dazu, dass sich der alte Vorstand geschlossen von der Spitze verabschiedete und ein neuer Vorstand eingesetzt wurde. Dieser muss nun zusammen mit dem Team bis Ende September eine Eingabe vorbereiten.

Wer sonst ins Rennen steigt, darüber wird viel gemunkelt. Sicher wird sich Beta, der Verein der Berner Tanzschaffenden, bewerben. Beta-Geschäftsführerin Sandra Forrer sagt: «Egal ob wir den Zuschlag bekommen oder nicht: Der Berner Tanz wird nach dem Prozess gestärkt sein.» Das ist tatsächlich so, denn abgesehen vom Tanz wird in der Ausschreibung keine andere Sparte explizit erwähnt. Die städtische Kulturbeauftragte Franziska Burkhardt bezeichnet die Ausschreibung als «Ideenwettbewerb»: «Sie ist extra relativ offen formuliert, damit der Spielraum für Visionen gross bleibt.» Weiter heisst es darin, die neu eingesetzte Trägerschaft solle ein «vielfältiges kulturelles Angebot» für «möglichst breite Bevölkerungsschichten» schaffen sowie mit anderen Akteur:innen Kooperationen eingehen. Klar ist, dass auf die Dampfzentrale viele Begehrlichkeiten gerichtet sind. Und das ist, so zeigt ein Blick in die Geschichte, auch nichts Neues.

Ein Haus für Tanz und Musik

Die achtziger Jahre sind graue Jahre in Bern. Während Zürich schon die Rote Fabrik hat und Basel die Kaserne, fehlt es in der Bundesstadt an Kulturstätten. Ab Mitte der Achtziger werden darum immer wieder sogenannte Strafbars veranstaltet: Ein Gebäude oder Gelände wird für eine Nacht für ein Fest besetzt – als Zeichen, wie man eine Stadt auch anders beleben könnte. 1987 wird im Mai die Dampfzentrale, im Oktober die Reitschule für eine Nacht zur Strafbar. Und während Letztere eine Woche später langfristig besetzt wird und bis heute als autonomes Kulturzentrum existiert, schlägt man bei der Dampfzentrale einen anderen Weg ein. Schon Anfang 1987 hatte der Verein «Gaswerk für alle» ein Konzept bei der Stadt eingereicht, das Übungsräume für Musik, Theater, Tanz und bildende Kunst sowie Veranstaltungen und Feste in den Räumen vorsah. Die Stadt gab schliesslich grünes Licht für einen Versuchsbetrieb.

In den ersten knapp zwei Jahrzehnten wurde das Haus vor allem an externe Organisationen vermietet, die Konzerte, Tanz- und Performanceaufführungen, auch regelmässige Veranstaltungen wie die Berner Tanztage und heute legendäre rauschende Partys veranstalteten. Ab 2005 richtete sich die Dampfzentrale neu aus und erhielt nach Verhandlungen mit der Stadt einen deutlich höheren Subventionsbeitrag. Von da an wurde sie als Haus für Tanz und Musik nicht mehr vornehmlich vermietet, sondern kuratiert geführt.

Für Sandra Forrer von Beta markiert dieser Wechsel den Beginn des Konflikts zwischen Dampfzentrale und Berner Tanzszene: «Von der Geschäftsleitung wurde die internationale Ausrichtung stärker ins Zentrum gestellt. Das lokale Tanzschaffen rückte dabei gerade in den letzten Jahren in den Hintergrund, obwohl der Leistungsvertrag beides ähnlich gewichtet.» Beta ist unter anderem aus dem Bedürfnis eines Zuhauses für den lokalen Tanz entstanden – am liebsten in der Dampfzentrale. Das ist naheliegend: Nicht auf Beton zu tanzen, sondern auf einem Holzboden, ist für die Tänzer:innen aus gesundheitlichen Gründen entscheidend. Und die Dampfzentrale ist das einzige Haus in Bern, das die geeignete Infrastruktur bietet.

Beta möchte in seiner Eingabe lokalen und internationalen Tanz gleichermassen berücksichtigen. Ob andere Bedürfnisse dann noch Platz hätten im Haus? Forrer: «Musik etwa ist die zentrale Dialogpartnerin von Tanz – auf der Bühne, im Club, auf der Strasse. Tanz, Performance und Musik sind eng verbunden, auch in unserem Konzept.» Wie das umgesetzt werden soll, lässt sie offen.

Alles steht zur Diskussion

Wie die Dampfzentrale als lokales Tanzhaus positioniert werden kann, ohne die anderen Sparten aufzugeben, dazu macht sich die jetzige Leitung derzeit Gedanken. «Wir glauben an das Mehrspartenhaus», sagt Roger Ziegler, der Teil der dreiköpfigen Geschäftsleitung und als künstlerischer Koleiter für die Musik im Haus zuständig ist. Und: «Es wird immer mehr Bedürfnisse zu befriedigen geben, als möglich ist.»

Die Dampfzentrale war von Anfang an als Ort konzipiert, den sich verschiedene Künste teilen. Doch was sich im besten Fall gegenseitig befruchtet, kann sich auch blöd auf den Füssen herumstehen: Weil die denkmalgeschützte Wand zwischen den beiden grossen Räumen keine genügende akustische Trennung bietet, sind sie nicht gleichzeitig bespielbar, Auf- und Abbautage beschneiden zudem Probezeiten. Es geht aber nicht nur um solche logistischen Einschränkungen, sondern vor allem auch um eine künstlerische Auswahl: «Wir verstehen uns als Kurator:innen», sagt Ziegler, «und Kuration bedeutet immer auch Ausschluss. Man kann das Gatekeeping nennen. Aber ich sehe nichts Schlechtes darin, dass Expertise über Kriterien wie Qualität und Kohärenz entscheiden soll. Dadurch finden gewisse Sachen aber eben auch nicht statt.» Er ist überzeugt, dass auch eine kleine Stadt wie Bern ein Haus mit eigenwilliger Kuration braucht.

Gemäss Ausschreibung ist auch dieser Punkt diskutierbar, wie Franziska Burkhardt auf Anfrage bestätigt: Fast alles, was die Dampfzentrale heute ausmacht, kann, aber muss nicht zwingend bleiben – auch die von der Stadt gelobten Festivals, das Musikprogramm als Ganzes oder verschiedene internationale Kooperationen. Über die Eingaben entscheiden wird eine Jury aus neun Personen, die von der Stadt eingesetzt wurde und der neben der Stadtpräsidentin Marieke Kruit (SP) und Franziska Burkhardt Vertreter:innen aus verschiedenen Bereichen der Kultur angehören. Damit greift die Stadt ungewohnt stark in die künstlerische Ausrichtung des Hauses ein – und das, obwohl die aktuelle Trägerschaft den Leistungsvertrag immer erfüllt hat. Burkhardt: «Wir strafen niemanden ab. Wir haben einfach das Gefühl, es könnte mehr gehen, gerade, was das Publikumsaufkommen betrifft.»

Dass die rauschenden Zeiten vorbei sind, bestreitet eigentlich niemand. Aber das ist – leider – nicht alleiniges Problem der Dampfzentrale, auch anderswo im Nachtleben bleibt das Publikum fern. Dafür ist offensichtlich, dass mit den Berner Tanzschaffenden eine Lösung gefunden werden muss. Man kann dem Haus zudem vorwerfen, oft kopf- und konzeptlastig zu programmieren, zwar mit einer klaren Handschrift und durchaus horizonterweiternd, dafür viel vom Ähnlichen und auch mal am Publikum vorbei. Ein Clubprogramm fehlt seit einigen Jahren fast vollständig, wirklich ausgelassen wird es selten. Ob es das Manöver der Stadt richten wird? Eher wünschte man sich ein Aufrütteln, mehr subversiven Mut. Und kein Programm, das «tout Berne» gleichermassen interessiert – das sollte sich ein Kulturhaus leisten dürfen. Selbst dann, wenn es in der Provinz steht.