Blog zu den Wahlen 2023

Was passiert am rechten Abgrund?

Die SVP hat im Wahlkampf alles auf die Karte Zuwanderung gesetzt – und überdeutlich gewonnen. Auf die komplexen Fragen einer krisengeschüttelten Gegenwart haben die Rechtspopulist:innen allerdings keine Antworten.

Marco Chiesa am Blick-Podium der Parteipräsident:innen
Foto: Caroline Minjolle

Die Feststellung ist banal, aber ernüchternd. Negativschlagzeilen schaden der SVP für gewöhnlich nicht – im Gegenteil: je umstrittener, desto erfolgreicher. Das hat sich auch diesmal gezeigt.

Weder gemeinsame Auftritte von Parteipräsident Marco Chiesa mit einer rechtsradikalen Frauengruppe noch die Kampagnenunterstützung der Neonazis von der Jungen Tat für die Winterthurer Nationalratskandidatin Maria Wegelin konnten die Rechtspopulist:innen an der Urne in Bedrängnis bringen. Und auch ein alarmierendes Votum der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus – sie kritisierte die Wahlkampagne als «fremdenfeindlich und hetzerisch» – blieb ohne Folgen. Unter Druck geriet die SVP dadurch nicht, stattdessen wusste sie auch diese Episode für sich zu nutzen.

Kuscheln mit Rechtsextremen oder rassistische Hetze: Rund ein Drittel der Wähler:innen hat damit offenbar kein Problem. Am Ende dieses herbstlichen Wahlsonntags steht ein Plus von 3,3 Prozent für Rechtsaussen. Mit ihren 28,9 Prozent legt die SVP das zweitbeste Ergebnis ihrer Geschichte hin und erreicht damit fast ihr Allzeithoch von 2015. Die zwölf Sitze, die sie 2019 verloren hat, kann sie allerdings nicht allesamt zurückholen.

Schotten dicht, Mauern hoch

Wie die Partei das geschafft hat? Indem sie einmal mehr alles auf eine Karte setzte – und zu jenem Rezept griff, dass ihr (und ihren Schwesterparteien quer durch Europa) noch immer Erfolge bescherte. Erst schürte sie systematisch Ängste vor einer «masslosen» Zuwanderung, einer «Zehn-Millionen-Schweiz»; dann bot sie simple Rezepte an, die zwar keine Probleme lösen, in schwierigen Zeiten aber offenbar verfangen: Schotten dicht und Mauern hoch gegen die vielen Krisen dieser Welt. Ein Land zurück im Réduit.

Hinzu kommen weitere Zugewinne am rechten Rand: So ist im Kanton Genf das Mouvement Citoyens Genevois (MCG) extrem auf dem Vormarsch. Nicht nur gewinnt die rechtspopulistische Protestpartei dort zwei Sitze im Nationalrat, auch ihr Spitzenkandidat, Exregierungsrat Mauro Poggia, könnte es im zweiten Wahlgang auf Kosten von Links-Grün in den Ständerat schaffen. Die «bürgerliche Allianz», die die Rechtsaussenpartei miteinschloss, hat der Linken also stark geschadet.

Neben der Bewirtschaftung von Ängsten kam der SVP auch ein anderer Faktor zugute: Nach dreissig Jahren, in denen sie es schaffte, den medialen Diskurs immer weiter nach rechts zu verschieben, gilt sie weiten Teilen der Schweizer Öffentlichkeit als völlig normale bürgerliche Partei. Geschickt hat sie es im Lauf der Zeit geschafft, den Eindruck zu erwecken, gar nicht so weit am rechten Abgrund zu stehen wie etwa die AfD in Deutschland, die zuletzt ebenfalls starke Gewinne verzeichnen konnte. Der Sieg am rechten Abgrund, er ist auch ein europäischer Trend.

Blockade gegen jeden Fortschritt

Der heutige Wahlsonntag ist indes ein überaus schlechter Tag in Bezug auf viele drängende Fragen, etwa den Kampf gegen die Klimakrise, die Gleichstellung, soziale Themen oder die Grundrechte. Auf die komplexen Fragen einer krisengeschüttelten Gegenwart hat die SVP keine Antworten. Stattdessen wird sie im Parlament noch jede progressive Lösung blockieren – und jenen, die sie als Sündenböcke auserkoren hat, das Leben schwer machen. Entsprechend wird die Linke die nächsten vier Jahre dem Kampf gegen den Rechtspopulismus widmen müssen, im Parlament wie auf der Strasse.