Umgang mit der SVP: Alles so schön normal hier

Nr. 43 –

Neue Grenzüberschreitungen und altbekannte Provokationen: Die SVP kann machen, was sie will – in weiten Teilen der Öffentlichkeit gilt sie noch immer als ganz gewöhnliche bürgerliche Partei. Wie kommt das?

SVP-Präsident Marco Chiesa am Sonntag im «Blick»-Studio in Bern
Wie eine gesprungene Schallplatte: SVP-Präsident Marco Chiesa am Sonntag im «Blick»-Studio in Bern.

Wer sich am Tag nach den Wahlen durch die Schlagzeilen klickte, kam nicht umhin, eine frappante Diskrepanz festzustellen. «Wo Angst vor Fremden schon Folklore ist», titelte etwa der nicht gerade als Speerspitze linker Publizistik bekannte deutsche «Focus», um dann mit einer drastischen Feststellung fortzufahren: «Im radikalen, reichen Idyll zeigt die Schweiz ihr hässliches Gesicht.» Ähnliches war in der internationalen Presse vielerorts zu lesen.

Ganz anders das hiesige Bild. «Die Schweiz ist wieder normal», frohlockte der «Blick», zurück zum Altbewährten konstatierten sie auch in Funk und Fernsehen. Als ob es völlig normal wäre, dass die SVP das drittbeste Ergebnis ihrer Geschichte erzielte – trotz einer (so die Antirassismuskommission des Bundes) «fremdenfeindlichen und hetzerischen» Kampagne, wegen der es auch eine Strafanzeige gab, trotz offener Flanke zum rechtsextremen Rand. Eine «Rückkehr zur Normalität» hatten die Medien auch schon 2015 herbeigeschrieben, als die Rechtspopulist:innen so viele Stimmen geholt hatten wie nie zuvor.

Seit Milliardär Christoph Blocher die einstige Bauern- und Gewerbepartei vor dreissig Jahren von Herrliberg aus ideologisch umkrempelte, hat die SVP ihren Wähler:innenanteil verdreifacht. Die Geschichte ihres Aufstiegs, sie war aber auch immer eine Geschichte des Umgangs der anderen mit ihr.

Spiegelbild der Normalisierung

Einer, der diesen Aufstieg schon lange beobachtet, ist Damir Skenderovic, Professor für Zeitgeschichte an der Universität Fribourg. Die «Blick»-Schlagzeile bezeichnet er am Telefon als «Spiegelbild für die stetige Normalisierung einer rechtspopulistischen Partei». Nicht nur die Medien, auch die übrigen Parteien gingen integrativ mit der SVP um, statt sich an deren ausgrenzender Politik zu stören.

Man könnte es auch so sagen: Die Normalität, zu der die Schweiz an diesem Sonntag angeblich zurückkehrte, ist vielmehr ein immerwährender Rechtsrutsch.

Bei ihrer üblichen Klientel (und bisherigen Nichtwähler:innen, die sie mobilisierte) punktete die SVP, das zeigen die Umfragen, mit ihrem Lieblingsthema: der Migration. Mit dem Schüren rassistischer Ressentiments war sie schliesslich noch immer erfolgreich. «Es kommen zu viele und die Falschen», schallte es einem wie aus einer gesprungenen Schallplatte überall entgegen. Zwar hatte die Parteispitze erst den Kulturkampf gegen die «Wokeness» ins Zentrum gerückt, wechselte mit der Lancierung ihrer Initiative gegen eine «10-Millionen-Schweiz» im Sommer dann aber doch noch die Spur. Diese habe den Deutungsrahmen gesetzt und damit nicht nur den eigenen Wahlkampf, sondern auch jenen der anderen Parteien bestimmt, sagt Skenderovic. Das mache die SVP seit den Neunzigern jedes Mal so. «Direktdemokratische Mittel als Instrument für parlamentarische Wahlen nutzen», nennt er das.

Gütige Mithilfe gab es dabei von den Medien: In der «SonntagsZeitung» war schon Anfang Jahr von einer «9-Millionen-Schweiz» die Rede gewesen. Dass das Thema nach ruhigeren Jahren wieder so plötzlich die Schlagzeilen beherrschte, habe ihn überrascht, sagt Mediensoziologe Linards Udris von der Universität Zürich. Udris, der zum medialen Umgang mit Rechtsextremismus in der Schweiz promoviert hat, spricht vom «Schneeballeffekt»: Nach der erfolgreichen Lancierung sei das Zuwanderungsthema in der Debatte dann immer weiter gesponnen worden.

Und die Parteien? Zur Normalisierung des rechten Rands haben auch sie beigetragen. Wohl noch nie hatte die SVP so starke Schützenhilfe vom Freisinn erhalten wie dieses Jahr. In zwölf Kantonen ging die FDP Listenverbindungen mit ihr ein – und verlor. Trotz der Niederlage ändert sie auch jetzt ihre Strategie nicht: In einzelnen Kantonen zog die FDP im Gegenteil ihre Ständeratskandidaturen zugunsten der SVP zurück. «Viel Glück», wünschte Regine Sauter in Zürich SVP-Mann Gregor Rutz.

Ewiger Sonderfall

Haben sich indes auch die progressiven Kräfte so sehr an die Tabubrüche gewöhnt, dass sie bei neuen rhetorischen Ausfällen bloss noch müde mit den Achseln zucken? Und wie kommt es, dass Parteien wie die AfD oder das Rassemblement National auch in hiesigen Medien als extrem gelten, die SVP aber nie in ihre Reihen einsortiert wird, von den Politolog:innen erst noch als «nationalkonservativ» verharmlost? Umso erstaunlicher ist das, weil sie ihren ausländischen brandstiftenden Schwestern im Geiste seit Jahren als Vorbild dient, in Bildsprache und Symbolik ebenso wie in der Programmatik.

Skenderovic erklärt sich das mit einem «kollektiven Sonderfallgefühl» und der (daraus resultierenden) «Amnesie im Umgang mit der eigenen Geschichte»: Einerseits habe man nicht so schlimme Dinge getan wie andere, sich in der eigenen Wahrnehmung etwa dem Faschismus widersetzt, war nicht bloss neutral, sondern wähnte sich auf der Seite der Guten; andererseits habe man Angst, seinen Ruf als Musterdemokratie zu verlieren. «Die daraus resultierende defensive Haltung zeigt sich auch im Umgang mit dem Rechtspopulismus.»

Der Historiker verweist auf die Schwarzenbach-Initiative 1970, schon damals rechtspopulistische Avantgarde in Europa. Die konservative FAZ lieferte nach dem knappen Scheitern der rassistischen Vorlage eine hellsichtige Analyse. So machte der Korrespondent einen «grossen Prozentsatz von Unzufriedenen» mit «Heimweh nach einer idyllischen, selbstgenügsamen, sich nach aussen abkapselnden Schweiz» aus, die sich teils «von Blut-und-Boden-Ideen» leiten liessen.

Linards Udris überrascht die unterschiedliche Lesart im In- und Ausland indes nicht. 2007, als die SVP mit ihren – später zum Exportschlager gewordenen – Schäfchenplakaten für Furore sorgte, habe der britische «Independent» die Schweiz als «Europas Herz der Finsternis» beschrieben, erinnert er sich. In ihren Berichten über andere Länder würden Medien gern Schreckensszenarien zeichnen. Dass die SVP hierzulande als normale Partei gilt, begründet der Mediensoziologe damit, dass diese nicht schon am rechten Rand entstanden sei, sondern sich erst in die Richtung bewegt habe. Auch sei sie so lange an der Regierung beteiligt, im Bundesrat wie in den Kantonen, sodass sie in der Wahrnehmung vieler gar nicht antidemokratisch sein könne. «Historisches Kapital» nennt die Forschung das.

Die Partei selbst arbeitet seit Jahren ebenfalls an ihrer Normalisierung, ihre Exponenten etwa grenzen sich stets geschickt von ausländischen Rechten ab. Unvergessen bleibt eine SRF-«Arena» 2016, als Blocher partout nicht neben AfD-Mann Alexander Gauland stehen wollte. Ewiger Sonderfall, auch hier.

Einen «Cordon sanitaire» bilden

Die Diskursverschiebung, sie schreitet auch nach der Wahl voran. Als befände sich die SVP noch immer oder schon wieder im Wahlkampf – gerade gewonnen und trotzdem in ewiger Opposition, das hat sie perfektioniert –, fabuliert sie vom «Asyl-Irrsinn». Dabei erhält sie erneut Unterstützung von den Bürgerlichen: Mitte-Partei und FDP wollen nun (noch mehr) Hand bieten für asylpolitische Verschärfungen. Doch die anderen Parteien können aus Kalkül noch so weit nach rechts schielen: Wer rechtspopulistische Politik will, wählt das Original.

Die Integration der SVP habe dazu geführt, dass nie ernsthaft über eine Zusammenarbeit mit ihr diskutiert worden sei, sagt Damir Skenderovic. Im Gegensatz zu anderen Ländern, wo die Parteien eine Brandmauer zu ihren Rechtspopulist:innen unterhielten (oder früher unterhalten hätten), gebe es in der Schweiz keinen «Cordon sanitaire». Nun wäre es an der Zeit, dass jene Parteien, die nicht einverstanden seien mit der Ausweitung des Sagbaren in Bezug auf Menschenrechte, die Kooperation mit der SVP infrage stellten.

Ähnlich sieht es auch Linards Udris. Seine Rezepte für den medialen Umgang mit der SVP? Bei Provokationen den Ball flach halten, andere Themen in den Vordergrund rücken, Verbindungen zum rechten Rand auch abseits von Wahlkampfphasen beleuchten.

Vielleicht, so ein letzter Gedanke, läge die wahre Normalisierung der SVP ohnehin in einem anderen Punkt: Man könnte damit beginnen, die Schweizer Entwicklung im europäischen Kontext zu sehen. Schluss mit dem Sonderfall. Denn hat die Öffentlichkeit einmal verinnerlicht, dass die Partei nicht anders funktioniert als eine AfD oder FPÖ, stünde auch der internationalen Vernetzung gegen die Rechtspopulist:innen nichts mehr im Wege.

WOZ Debatte

Diese Debatte ist abgeschlossen. Diskutieren Sie bei unseren aktuellen Themen mit! Wenn Sie eine Anmerkung zu diesem Artikel haben können Sie auch gerne einen Leser:innenbrief schreiben.

Kommentare

Kommentar von Philipp Horn

Fr., 27.10.2023 - 18:19

Könnte man genau so auch über den Umgang mit der AfD in Deutschland schreiben.