Auf allen Kanälen: Wenn die Tories maulen

Nr. 11 –

Die BBC hat den Fussballmoderator Gary Lineker nach einem Tweet vorübergehend freigestellt – dabei spielte politischer Druck eine Rolle.

Fotomontage: zusammengeklebtes Foto einer männlichen Person welche in ein BBC-Sport-Mikrofon spricht

Die Affäre begann mit einem unverdächtigen Tweet und endete mit einem Riesenkrach bei der BBC, einem Streik der Sportmoderator:innen und einer intensiven Debatte über publizistische Unparteilichkeit.

Am Montag letzter Woche hatte sich Gary Lineker – ehemaliger Fussballspieler, heute der bekannteste BBC-Sportmoderator – über die extreme Asylpolitik der britischen Innenministerin Suella Braverman empört. Diese will mit einer neuen Gesetzesvorlage dafür sorgen, dass alle Flüchtlinge, die über irreguläre Routen ins Land kommen, direkt wieder abgeschoben werden, ohne Recht auf Asyl. «Good heavens, das ist ja furchtbar», twitterte Lineker. Als sich einer seiner 8,8 Millionen Follower:innen über die Worte beschwerte, bekräftigte der Moderator: Bravermans Vorlage sei «unermesslich grausam» und ihre Rhetorik erinnere an jene im Deutschland der 1930er Jahre.

Prinzip der Unparteilichkeit

Der Nazivergleich machte bald Schlagzeilen, und die BBC handelte. Lineker habe gegen die Regeln der Unparteilichkeit verstossen, und man werde ein ernstes Wort mit ihm reden – die «impartiality» ist eines der wichtigsten Prinzipien im britischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Wenig später wurde Lineker suspendiert; der Moderator ist kein Angestellter der BBC, sondern ein freier Mitarbeiter, wenn auch der bestbezahlte. Nach seiner Suspendierung ging es erst richtig los: Die zwei Mitkommentatoren seiner Fussball-Show «Match of the Day» solidarisierten sich mit Lineker und sagten ihre Teilnahme für die Sendung am Samstag ab. Etliche andere BBC-Sportmoderator:innen gaben ebenfalls bekannt, ihre Programme zu boykottieren. Unterdessen wurden Fragen laut. Was war denn so schlimm an Linekers Tweet?

Die Rhetorik der Innenministerin ist schon oft in ebenso scharfen Worten kritisiert worden. Auch ist Lineker nicht der einzige BBC-Mitarbeiter, der sich in den sozialen Medien politisch geäussert hat. Andrew Neil beispielsweise, bis zu seinem Abgang 2020 einer der bekanntesten BBC-Moderatoren, machte aus seiner konservativen Haltung nie ein Geheimnis. Oder Alan Sugar, Moderator und «Boss» in der grauenhaften Reality-TV-Show «The Apprentice», warb bei den Wahlen von 2017 und 2019 explizit für die Tories. Keiner der beiden wurde suspendiert oder auch nur verwarnt. Der Schluss liegt nahe, dass politischer Druck eine Rolle gespielt hat. Mit anderen Worten: Die BBC-Chefs hielten Linekers Tweet für problematisch, weil er die Regierung kritisiert hat und die Tories sich beschwerten. BBC-Generaldirektor Tim Davie weist diesen Vorwurf natürlich scharf zurück. Aber die überrissene Reaktion zeigt einmal mehr, dass die «Beeb» jedes Mal, wenn die Tories zu maulen beginnen, klein beigibt. Sie scheint in ständiger Angst vor einer Konfrontation mit den rechten Kulturkämpfer:innen zu leben.

Reflexartiges Kuschen

Das hat durchaus Gründe: Die Tories haben der BBC das Budget in den vergangenen zehn Jahren bereits um dreissig Prozent gekürzt, immer wieder drohen sie mit weiteren Sparmassnahmen. Sie haben ideologische Vorbehalte gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und werfen ihm linke Schlagseite vor – obwohl unzählige Studien belegen, dass das Unfug ist. Auch die Tatsachen, dass Generaldirektor Davie früher mal ein Tory-Gemeinderat war oder dass der heutige BBC-Vorsitzende Richard Sharp der Tory-Partei mehr als 400 000 Pfund gespendet hat, müssten eigentlich Indizien dafür sein, dass die Organisation kaum von linkem Gedankengut durchzogen ist.

Am Ende merkte die BBC offenbar, dass sie sich verkalkuliert hatte, der Streit wurde am Montag beigelegt. Man werde die Richtlinien zur Unparteilichkeit überprüfen, sagte die BBC, und Lineker kann sich wieder der Fussballfachsimpelei widmen.

Der Zoff um die Tweets und die breite Solidarität, die dem Moderator zuteilwurde, könnten eine wichtige Lektion bereithalten: Vielleicht lohnt es sich für die BBC gar nicht, stets reflexartig vor ihren ideologischen Gegner:innen zu kuschen. Denn so riskiert sie, genau jenen Teil der Bevölkerung vor den Kopf zu stossen, der den öffentlich-rechtlichen Rundfunk eigentlich schätzt, der aber den Wert einer BBC hinterfragt, die sich weigert, die Regierung zu kritisieren. Je stärker der Rundfunk von konservativer Seite unter Beschuss gerät, desto mehr wird er auf die Unterstützung dieser Brit:innen angewiesen sein.