Politischer Aktivismus: Die Kräfte richtig einteilen
Nach einem Burnout wechselte Pia Portmann «von der Front in die zweite Reihe». Mit einem Kollektiv bietet sie heute entlastende Angebote für Menschen an, die sich politisch engagieren.

Am diesjährigen feministischen Streiktag wollte Pia Portmann (35) eigentlich «mal gar nichts machen». Ganz so ist es dann aber nicht gekommen. Eine:n Techniker:in für den Demowagen organisieren, Videos posten – schnell summierte sich die Arbeit, die sie am 14. Juni übernahm. Doch anders als in den Jahren zuvor hatte sie sich entschieden, diesmal keine grössere Rolle einzunehmen. Heute kenne sie ihre Grenzen und merke, wie viel Engagement sich gut anfühle.
2019, während der Vorbereitungen auf den Streik, erlitt Portmann ein Burnout. Gleich drei Jobs und drei Politprojekte jonglierte sie zeitgleich. Nebenher schloss sie ihren Master in Englisch und Gender Studies ab und organisierte ein Hip-Hop-Festival. «Irgendwann konnten weder Kopf noch Körper abschalten», erzählt sie. Sie habe nicht mehr schlafen können, sich dünnhäutig und überstimuliert gefühlt. Selbst einfachste Aufgaben waren nicht mehr machbar. Trotz ihres grossen Einsatzes hatte Portmann den Eindruck, nicht zu genügen, niemandem gerecht zu werden – und doch immer weitermachen zu müssen.
Selbst nach dem Eintritt in eine Klinik arbeitete sie weiter. Aus schlechtem Gewissen und Angst davor, andere hängen zu lassen, gab sie die Verantwortung auch dann nicht ab, als sie längst nicht mehr leistungsfähig war. An wen auch? Und sowieso: «Wenn die Welt brennt, müssen wir da nicht alles tun, was wir können?» Angesichts multipler Krisen und Katastrophen entstehe schnell der Eindruck, dass Erholung gerade keine Priorität habe. «Das ist doch jetzt alles viel wichtiger, als ich es bin», dachte sich Portmann damals. Heute weiss sie, dass ihre Wahrnehmung verzerrt war: «Die Welt geht nicht unter, wenn ein queerfeministisches Hip-Hop-Festival ins Wasser fällt.»
Wider die Optimierungslogik
Als sie sich burnoutbedingt aus der politischen Freiwilligenarbeit zurückziehen musste, stellte sich Portmann erstmals die Frage: «Wie kann ich aktiv sein, ohne dabei auszubrennen?» An vorderster Front stehen konnte sie nicht mehr. Lieber wollte sie in die «zweite Reihe» wechseln und jene unterstützen, die vorne stehen. So kam ihr die Idee zu «aktiv sein und bleiben». Mit Workshops und Beratungen setzt sich das als Verein organisierte Kollektiv unter diesem Namen für regenerativen Aktivismus ein und unterstützt Menschen dabei, langfristig politisch aktiv sein zu können, ohne einer neoliberalen Optimierungslogik zu verfallen. Im Winter 2022 trafen sich Mitglieder des Kollektivs erstmals live: Menschen aus verschiedenen Generationen und linken Zusammenhängen, mit und ohne Burnouterfahrung oder therapeutische Ausbildung.
Teresa Dawson zum Beispiel ist es wichtig, sich neben ihrer Tätigkeit als Psychologin aktivistisch einzubringen. Ihr gefällt die feministische Haltung, die bei «aktiv sein und bleiben» gelebt wird und ihr in anderen Organisationen bisher fehlte. Insbesondere junge Aktivistinnen, «die so viel Idealismus und Engagement in ihren Aktivismus stecken», möchte sie begleiten und unterstützen.
Offiziell als Krankheit diagnostiziert wird Burnout bisher nicht – die Weltgesundheitsorganisation definiert es als «Probleme im Zusammenhang mit Beschäftigung und Arbeitslosigkeit». Zum Schluss, dass junge Frauen besonders burnoutgefährdet seien, kam eine Erhebung der Schweizer Gesundheitsförderung von 2023. Fehlende Elternzeit, rare Teilzeitstellen, signifikante Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern oder stereotype Vorurteile gegenüber berufstätigen Müttern führen dazu, dass das Erschöpfungsrisiko für erwerbstätige Frauen besonders hoch ist.
Gemeinsam Nein sagen
Das erste Projekt von «aktiv sein und bleiben» zielte darauf ab, die Organisator:innen des nahenden Streiktags im Juni 2023 zu stärken und zu entlasten. Dazu lancierte der Verein mehrere Veranstaltungen – «fast zu viele», meint Portmann rückblickend. «Mega toll», «mega wichtig», hiess es vom Streikkollektiv. Teilgenommen haben aber nur wenige – im Frühjahr 2023 und auch 2024 waren die Organisator:innen von den Vorbereitungen für den 14. Juni bereits zu sehr vereinnahmt. Vor dem diesjährigen Streiktag übten sich Mitglieder des Streikkollektivs in einem Workshop im «kapazitätsbewussten Neinsagen». Auch Atemübungen, Methoden zur Emotionsregulierung oder das Gestalten ressourcenorientierter Sitzungs- und kollektiver Fürsorgestrukturen gehören mittlerweile zum Angebot von «aktiv sein und bleiben».
Für Pia Portmann ist Aktivismus eine persönliche Angelegenheit, die weit über eine theoretische Auseinandersetzung hinausgeht: «Oft machen sich Betroffene, die eh schon viel tragen, auch noch daran, Probleme auf gesellschaftlicher Ebene zu lösen.» So etwa hätten viele, die sich gegen sexualisierte Gewalt einsetzten, selbst Erfahrungen mit dieser gemacht. Für Portmann ist klar: «Wir brauchen Rahmenbedingungen, die uns erlauben, aus diesem Kampfmodus rauszukommen und unseren Panzer abzulegen. Damit wir uns authentisch begegnen und organisieren können.» «Aktiv sein und bleiben» will solche Räume schaffen: Räume, in denen sich Aktivist:innen verbinden und gemeinsam Utopien spinnen können.