Game: Nazis jagen mit dem Aktenkoffer
Im Videospiel «The Darkest Files» wird Detektivarbeit im feindseligen Nachkriegsdeutschland zu historischer Aufklärung.
des Staatsanwalts Fritz Bauer bei ehemaligen Kadern der NSDAP. Still: Paintbucket Games
1950 schilderte Hannah Arendt ihre Eindrücke von einer Deutschlandreise: Viele der Menschen dort, schrieb sie, seien «offenbar nicht mehr in der Lage, die Wahrheit zu sagen, selbst wenn sie es wollen». Nirgendwo sonst in Europa werde der nur wenige Jahre zurückliegende Horror des Kriegs seltener angesprochen, sei weniger spürbar als in der postnazistischen Täter:innengesellschaft. Allein schon die Impressionen der Philosophin, die selbst vor dem Hitler-Regime ins Exil geflohen war, lassen erahnen, welche Schwierigkeiten diejenigen erwarteten, die nach 1945 die Naziverbrechen aufarbeiten oder gar strafrechtlich verfolgen wollten.
Das neue Videospiel «The Darkest Files» vom Berliner Indiestudio Paintbucket Games erinnert an diese Bemühungen, die es trotz allem gab. Im Zentrum steht das Wirken Fritz Bauers: Als Generalstaatsanwalt in Hessen verfolgte er – gegen grosse öffentliche Widerstände – Nazitäter, die unbehelligt geblieben waren. Bauer lieferte dem israelischen Geheimdienst auch Informationen über den Aufenthaltsort des SS-Funktionärs Adolf Eichmann in Argentinien und stiess ein Verfahren gegen vormalige Mitglieder der Wachmannschaft des Konzentrationslagers Auschwitz an.
Tobende CDU-Politiker
Kein leichter Stoff also für ein Game. «The Darkest Files» beginnt im Frankfurt des Jahres 1956: Die Spielerin schlüpft in die Rolle der (fiktiven) Anwältin Esther Katz, die frisch examiniert ihre erste Stelle antritt, und zwar in Bauers Büro. Kaum ist der neue Arbeitsplatz eingenommen, wird auch schon klar, dass es sich nicht um einen alltäglichen Jurist:innenjob handelt. In der Schreibtischablage liegt eine Tageszeitung, in der nachzulesen ist, dass empörte CDU-Politiker Bauers Entlassung fordern: Wer braucht schon Leute, die in der Vergangenheit wühlen, wenn gerade ein «Wirtschaftswunder» einsetzt? Später wird dann der Boulevard auch Esther Katz ins Visier nehmen; antisemitische Drohbriefe trudeln ein.
Tatsächlich hatte Bauer, der einer liberalen jüdischen Familie entstammte, selbst einmal bemerkt, dass er «feindliches Ausland» betrete, sobald er sein Dienstzimmer verlasse. Der Fokus von «The Darkest Files» liegt auf dieser Ermittlungsarbeit unter widrigen Umständen. Das Game knüpft dabei an das klassische Genre der Detektivspiele an: Schon in den Neunzigern suchte und kombinierte man bei Point-and-Click-Adventures wie «The Secret of Monkey Island» oder «The Lost Files of Sherlock Holmes» Hinweise, um Rätsel zu lösen. Mit dem Unterschied allerdings, dass man jetzt keine schillernden Serienmörder à la Jack the Ripper mehr jagt, sondern «normale» Deutsche, die zu Täter:innen wurden.
Der erste Fall führt einen zur Beschäftigung mit den «Endphaseverbrechen», also Morden, die in den letzten Kriegsmonaten begangen wurden. Das Spiel stützt sich dabei auf reale Ereignisse, verfremdet diese aber leicht. So sitzt Katz bald einer Frau gegenüber, deren Mann als Verräter erschossen worden war. Der Mord war schon einmal juristisch untersucht worden, was aber in Freisprüchen gemündet hatte. Also macht man sich ans Aktenstudium und an Befragungen, um herauszufinden, ob die Sache neu aufgerollt werden muss.
Kleinteilige Recherchen
Gerade die Verhöre sind ein Clou des Games: Die Spieler:innen werden dabei direkt in die geschilderten Erinnerungen katapultiert, erleben diese also in Egoperspektive. So lässt sich an den Tatorten nach weiteren Hinweisen suchen. Das Wälzen der Akten wiederum ist eine kleinteilige Aufgabe, da das von den Entwickler:innen zusammengetragene Material detailreich ist. Am Ende gilt es, die eigene Rekonstruktion des Geschehens vor Gericht zu verteidigen.
Das verlangt konzentriertes Lesen, wodurch man aber rasch auf Unstimmigkeiten stösst. Im Fall des kurz vor Kriegsende erschossenen Mannes steht so in einem Augenzeugenbericht, dass dieser einen Wachmann überwältigt haben und einen Mast hinaufgeklettert sein soll, um eine Hakenkreuzfahne zu entfernen. Dabei war der vermeintliche Delinquent damals bereits 77 Jahre alt.
Die Recherchearbeit macht Spass, was zugleich auch ein gewisses Unbehagen hervorrufen kann – wie ja überhaupt der Versuch, Naziverbrechen in einem Unterhaltungsmedium zu thematisieren. Diese Verbrechen dienen bei «The Darkest Files» aber gerade nicht bloss als spektakulärer historischer Schmuck, sondern sollen offenkundig eine Auseinandersetzung mit der Materie anstossen. Potenzielle Pietätlosigkeiten werden zudem umschifft. So handelt es sich bei den beiden im Spiel verhandelten Fällen wohl bewusst nicht um solche, die in direktem Zusammenhang mit dem Holocaust standen.
Paintbucket Games hatte schon mit «Through the Darkest of Times» (2020) einen ähnlichen Ansatz verfolgt: Damals ging es um eine Widerstandsgruppe im «Dritten Reich». Das neue – leider etwas kurze – Spiel wirft nun ein Schlaglicht auf die mitunter haarsträubenden Zustände in der frühen Bundesrepublik. Damit setzt das Game einen Kontrapunkt zu der in der Industrie noch immer vorherrschenden Praxis, den Zweiten Weltkrieg bloss als Kulisse für militaristischen Nervenkitzel einzusetzen – und die verübten Menschheitsverbrechen einfach auszublenden.
«The Darkest Files» (Paintbucket Games). Für PC und Mac. 20 Franken.