Zolldiplomatie: Noch ein Telefonat der Bundes­präsidentin

Nr. 33 –

Karin Keller-Sutter hat in den Verhandlungen mit den USA früh auf eine antieuropäische Strategie gesetzt – und hat die Schweiz auf direktem Weg in die handelspolitische Sackgasse geführt.

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Wenn Karin Keller-Sutter zum Telefon greift und eine internationale Vorwahl eingibt, kann es schnell brenzlig werden. Das verunglückte Gespräch der Bundespräsidentin mit US-Präsident Donald Trump vom 31. Juli ist schon jetzt zum Symbol ihres politischen Scheiterns im Zollstreit mit den USA geworden. Als Keller-Sutter wieder auflegte, stand ein US-Importzoll von 39 Prozent für Schweizer Waren fest. Im Vergleich zu 15 Prozent, die für die EU gelten. Oder für Liechtenstein mit einem viel höheren Exportüberschuss als die Schweiz.

Das Versagen der FDP-Finanzministerin liegt nicht zuletzt darin, dass sie zuvor bei jeder Gelegenheit mit ihrem angeblich «guten Draht» zu Trump geprahlt und den Anschein erweckt hatte, alles im Griff zu haben. Die Schweiz als Sonderfall – und Keller-Sutter als Klassenbeste.

Ein «Sorry» nach Brüssel

Exemplarisch dafür steht ein ganz anderer Anruf der FDP-Politikerin, den zwei Quellen aus der Bundesverwaltung unabhängig voneinander gegenüber der WOZ bestätigen: Im Verlauf der Verhandlungen, als Keller-Sutter das Abkommen schon unter Dach und Fach wähnte, nahm sie demnach den Hörer in die Hand und rief Ursula von der Leyen an, um die EU-Kommissionspräsidentin mitleidig wissen zu lassen, dass die Schweiz einen eigenen, vorteilhaften Zolldeal mit den USA ausgehandelt habe. Wie von der Leyen auf das «Sorry» aus der Schweiz reagierte, ist nicht überliefert.

Die Anekdote ist in dreifacher Hinsicht entlarvend. Sie steht für die Selbstüberschätzung Keller-Sutters, für den grossen Willen zur Anbiederung bei Trump und für die folgenschwere Abgrenzung von der EU. Der Weg der Bundespräsidentin führte die Schweiz direkt in die handelspolitische Sackgasse. Das eidgenössische Finanzdepartement sagt dazu, Keller-Sutter habe seit der Ankündigung der US-Zölle mehrfach mit von der Leyen telefoniert. «Zudem hat sie Ursula von der Leyen am Rand der Amtseinführung von Papst Leo XIV. getroffen.» Urbi et orbi.

Foto* mit den EU-Gegnern

Zu einem Umdenken hat die offensichtlich falsch gewählte Strategie nicht geführt. Letzte Woche flog Keller-Sutter gemeinsam mit dem mitverantwortlichen Wirtschaftsminister Guy Parmelin (SVP) zu einem Treffen mit US-Aussenminister Marco Rubio und dessen Team nach Washington. Mitgereist* waren auch der milliardenschwere Genfer Ölhändler Daniel Jäggi sowie Alfred Gantner und Marcel Erni von der Private-Equity-Firma Partners Group. Die beiden Milliardäre aus Baar gehören zu den treibenden Kräften der Kompass-Initiative, die die mittlerweile vorliegenden neuen bilateralen Verträge mit der EU bekämpfen – gegen den Willen des Gesamtbundesrats. Die Kompass-Milliardäre fürchten offenkundig, dass die geplatzten Verhandlungen mit den USA dem geplanten Abkommen mit der EU Auftrieb verschaffen könnte. Und Keller-Sutter bot ihnen die Bühne, die sie sich wünschten. Sie postete sogar stolz ein Foto von sich und den «hochrangigen Schweizer Wirtschaftsvertretern» auf Social Media. Genützt hat der Ausflug mit den kapitalen EU-Gegnern der Schweizer Exportwirtschaft indes nichts, die Zölle bleiben bei 39 Prozent.

Mattea Meyer, Kopräsidentin der SP, findet das Vorgehen von Keller-Sutter «höchst bedenklich». Die SP forderte vergeblich einen Krisengipfel im Rahmen der Von-Wattenwyl-Gespräche, bei denen sich der Bundesrat mit den Bundesratsparteien austauscht. Stattdessen habe sie dann aus den Medien von der als «Team Switzerland» bezeichneten Delegation, die in die USA reiste, erfahren, so Meyer. «Wie kam diese Auswahl der Delegation zustande? Welche politische Legitimation, welches Mandat hat Keller-Sutter, mit einzelnen Milliardären womöglich vertrauliche Informationen auszutauschen?», fragt sie.

Sich in der jetzigen Situation weiter bei Trump anzubiedern und ihm den Kauf von amerikanischem Flüssiggas oder Rüstungsgütern zu versprechen, sei fatal. «Eine verlässliche Partnerschaft wird es mit Trump nicht geben. Ganz im Gegensatz zur EU, die weiterhin auf regelbasierte Beziehungen setzt», sagt Meyer. Statt auf eine stabile Beziehung zur EU zu bauen und den bilateralen Weg zu stärken, jette die Bundespräsidentin mit den erklärten EU-Gegnern über den Atlantik und poste auch noch Fotos davon. «Das ist unverantwortlich.»

«Eine wahre Freundin»

Die bewusste Distanzierung von der EU durch Finanzministerin Keller-Sutter und Wirtschaftsminister Parmelin zeigte sich bereits früh: Im März verfasste das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) einen Brief an das Büro des US-Handelsbeauftragten Jamieson Greer, in dem die Schweiz als Gegenstück zur bürokratischen und regulierungswilligen EU gezeichnet wird. Die Schweiz erhebe keine Digitalsteuer, verfüge über keine strengen KI-Gesetze und habe auch nicht vor, CO₂-Abgaben einzuführen, steht in diesem Brief. Die Schweiz sei seit Jahrzehnten «eine wahre Freundin» der USA, und der Bundesrat habe grosses Interesse, die «Erfolgsgeschichte» fortzuschreiben.

Der Ton war gesetzt, die falsche Strategie gewählt. Als das Justizdepartement von Bundesrat Beat Jans (SP) in einem Mitbericht laut Informationen, die der WOZ vorliegen, kritische Fragen stellte und forderte, die Schweiz solle sich bei den Verhandlungen an die EU anbinden, wischten Keller-Sutter und Parmelin den Vorschlag vom Tisch. Stattdessen erging vom Bundesrat der Auftrag an das Aussendepartement, dafür zu sorgen, dass die Schweiz mit der EU im Austausch bleibe. Das führte zu den genannten verhängnisvollen Telefonaten. Und zum Alleingang mit bekanntem Resultat: Nichts gewonnen in den USA und viel Geschirr zerschlagen in der EU.

*Korrigenda vom 18. August 2025: Pascal Hollenstein, Kommunikationschef des Eidgenössischen Finanzdepartements, ist es ein Anliegen, zwei Punkte klarzustellen:

1. Keller-Sutter, Parmelin und das übrige «Team Switzerland» habe kein Selfie, sondern bloss ein «Bild» veröffentlicht. Dieses sei veröffentlicht worden, «um Transparenz herzustellen».

2. Die Manager seien nicht mit an Bord des Bundesratsjets gewesen, sondern anderweitig nach Washington gereist. Wie und auf wessen Rechnung? Hollenstein mauert: Für diese Fragen sei Parmelins Wirtschaftsdepartement (WBF) zuständig.