Frauenfussball: Weitertschutten

Nr. 29 –

Die Gruppenphase der Fussballeuropameisterschaft der Frauen ist vorbei. Zeit für eine Betrachtung aus der Fankurve.

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Fotos von Fans der Schweiz beim Spiel gegen Norwegen am 2. Juli in Basel
Wie lange hält die Begeisterung an? Fans des Schweizer Teams beim Spiel gegen Norwegen am 2. Juli in Basel.    Foto: Sathire Kelpa, Getty

Es gibt dieses Interview mit Riola Xhemaili: Die 22-Jährige hat wenige Minuten zuvor im letzten Gruppenspiel das entscheidende Tor zum 1 : 1 gegen Finnland geschossen, dessentwegen es das Schweizer Nationalteam zum ersten Mal überhaupt in die K.-o.-Runde eines grossen Turniers schafft. Die SRF-Moderatorin steht neben der verschwitzten und glücklichen Torschützin und sagt: «Riola Xhemaili, Sie haben heute die Schweiz erlöst mit Ihrem Goal», und Xhemaili, die zuerst nachfragen muss, weil sie im Lärm der Feier «erlöst» akustisch nicht verstanden hat («Er … was?»), fasst sich mit beiden Händen an den Kopf und sagt: «Boah, ich glaube, ich habe mich selber auch erlöst.»

Gleich danach wird sie noch sagen, in so einem Moment könne man nur hoffen, dass man nicht im Abseits gestanden habe, «sonst kommt der scheiss Var, der uns manchmal diese Tore wieder zurücknimmt», und sie habe einfach gewollt, «dass wir gopferdammi in diesen Viertelfinal kommen». Es ist eine schöne Entgegnung auf das Schweizpathos, das man hinter der überschwänglichen Freude und Erleichterung dieses Frauenfussballteams verschwinden sehen möchte, schön, weil sich Xhemaili – so scheint es zumindest für die Betrachterin – allem voran für das Fussballspiel interessiert und für ein «wir», das dieses Team meint und nicht ein Land.

«Anpfiff für neue Märkte»

Das Einschwören auf die Nation gehört ja zu den ärgerlichen Dingen jeder Welt- oder Europameisterschaft, und wenn Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter in einer Ansprache die Fussballerinnen «in diesem schönen Land im Herz Europas» begrüsst, in dem noch wenige Monate zuvor das Parlament den Bundesrat dazu zwingen musste, für die Frauen-EM fünfzehn statt vier Millionen Franken zu sprechen (für die Männer-EM gab er achtzig Millionen aus), wenn dauernd Kuhglockengeläut durch die Stadionboxen gejagt und Nationalhymnen geschmettert werden, kann man sich auch mal Gedanken über Nationenbildung und die Rolle von Sportturnieren dabei machen.

Werbung ist generell auch an dieser EM omnipräsent, die Kapitalisierung des Fussballs wird auch bei den Frauen fortschreiten. Bei Vontobel Investment kann man sich aktuell unter dem Titel «Anpfiff für neue Märkte» darüber informieren, für wen dank des Booms die Kassen klingeln und dass die Uefa in ihrem Report «The Business Case for Women’s Football» dem europäischen Frauenfussball ab 2033 einen kommerziellen Wert von 700 Millionen Euro pro Jahr prognostiziert. Es stimmt auch, dass unter den Fussballfans (insbesondere den Natifans) unangenehme Zeitgenoss:innen zu finden sind und dass im Fernsehen nicht alles besser geworden ist – Stichwort «Das haben sie in ihrer DNA!» (SRF-Kommentator Calvin Stettler über die kompakte Abwehr der Finninnen).

Andere Vorbilder, andere Fankultur

Was auch zu beobachten ist: dass es in diesen Tagen am Fernsehen, in den Medien um Frauen geht, die Lohnkämpfe führen, weil die Kommerzialisierung solcher Turniere wenig mit der ökonomischen Realität der Spielerinnen zu tun hat. Zwar gilt auf der Ebene von Länderspielen in ein paar wenigen europäischen Staaten «equal pay» – doch dort, wo es entscheidend ist, im Klubfussball, verdienen Spielerinnen mehrheitlich kaum genug, um vom Fussball leben zu können. Der Lohnunterschied ist gigantisch, die Strukturen sind vielerorts, auch in der Schweiz, weit weg davon, Frauen das Fussballspielen – ob in der Breite oder als Profi – genügend zu ermöglichen. Laut einem Bericht in den CH-Media-Zeitungen können nur rund zwanzig Frauen in der Women’s Super League vom Fussball leben. Die Hälfte verdienen maximal 500 Franken im Monat.

Es geht in diesen Tagen auch um Spielerinnen, die sich gegen die Bastion patriarchaler Dinosaurier, die der Männerfussball ist, durchsetzen, die sich mit Funktionären und Trainern anlegen, Sexismus und Misogynie anprangern. Um Fussballerinnen, die über mentale Gesundheit sprechen (Schweiz-Kapitänin Lia Wälti), um einen Sport, in dem Queerness kein Tabu ist. Kinder und Teenager können heute eine Sydney Schertenleib oder Géraldine Reuteler bewundern, Fans bejubeln die Spielerinnen des Nationalteams auch in den öffentlichen Trainings. Man hört Moderatorinnen und Expertinnen in einer bis anhin noch nicht gekannten Klarheit über Laufwege sprechen und nicht schon wieder nur Männer, die coachen, analysieren, reden, kommentieren. Im Fernsehen erzählen junge Männer, wie sie auf dem Schulhausplatz von Alisha Lehmann im Fussballspielen gnadenlos ausgedribbelt wurden.

Was auch zu beobachten ist, ist ein Fantum in den Stadien, das sich selbst nicht so bierernst nimmt. Zum Schrecken eines Fussballpodcasters («Anderi Liga») wogte die Welle im Publikum bei einem Gruppenspiel ein paar Mal in die «falsche» Richtung. Die Dichte an Kindern und Jugendlichen und Nichtfussballfans ist hoch, der Anteil an Frauen in den Stadien auch. Die Stimmung an den Spielen und in den Beizen ist gut. An Strassenkreuzungen jonglieren junge Frauen und Männer nachts mit Fussbällen.

Entscheidend für den hiesigen Frauenfussball wird sein, was passiert, wenn das Scheinwerferlicht ausgeknipst und die Nationaltrikots im Schrank verstaut sind: Wird der Klubfussball mehr Aufmerksamkeit und mehr Geld erhalten? Werden Strukturen aufgebaut, damit mehr Mädchen Fussball spielen können? Werden auch ausserhalb des Vereinsfussballs mehr Frauen Fussball spielen? Der Anteil von Mädchen und Frauen in Vereinen liegt landesweit bei etwas mehr als zwölf Prozent, der Schweizerische Fussballverband strebt an, die Zahl der Aktiven bis Ende 2027 auf 80 000 Spielerinnen zu verdoppeln und Klubs dazu zu bringen, neue Mädchen- und Frauenteams zu bilden, Funktionärinnen, Trainerinnen und Schiedsrichterinnen auszubilden. Regionalverbände verzeichnen bereits mehr Anmeldungen, wie «Watson» am Montag berichtete.

Warnungen vor dem Wachstum

Auf europäischem Niveau wird der professionelle Frauenfussball wohl zunehmend den Zerr- und Fliehkräften ausgesetzt sein, denen der Spitzensport unterliegt. Es ist nicht wünschenswert, aber auch nicht wahrscheinlich, dass jemals gleich viel Kapital wie jenes, das den Männerfussball glattbügelte, in den Frauenfussball fliessen könnte und dieser sich ökonomisch angleichen würde. Es gibt Warnungen, dass er das kulturell tut: Im März mahnte Manchester-City-Stürmerin Vivianne Miedema (die im Spiel Holland gegen Wales eines der bislang schönsten Tore des Turniers schoss), im Frauenfussball einen eigenen Weg zu finden: das Wachstum und die Entwicklung mit Vorsicht anzugehen und das Umfeld, das man geschaffen habe, zu bewahren. Zuvor, darauf referenzierte Miedema, waren zwei Spielerinnen der englischen Premier League von Fans sexistisch und rassistisch beleidigt worden.

Es ist ja irgendwie ärgerlich: Jahrzehntelang hat sich die Gesellschaft mit Männerfussball, über dessen Kaputtheit sich inzwischen viele einig sind, beschäftigt, ganze Bibliotheken wurden über diesen Sport vollgeschrieben. Und nun, da der Frauenfussball boomt, da man einer wie Riola Xhemaili bei der Lust am Spiel, der Freude am Team zusehen kann, viele unterhaltsame Partien zu Gesicht bekommt, viele schöne Tore, muss man sich mit der Befürchtung rumschlagen, dem Frauenfussball könnte Ähnliches drohen. Wahrscheinlich gibt es keinen richtigen Fussball im falschen, aber wenn man sich die Feier der Männer-Klub-WM anschaut, bei der Donald Trump sich an den Pokal klammert, dann hat man auf jeden Fall den Beweis, dass es einen falscheren gibt.

Viele Profispielerinnen fordern eine nachhaltigere Entwicklung im Frauenfussball, mehr Pausen, bessere Spielpläne, wünschen sich eine Professionalisierung und kritisieren gleichzeitig – so etwa die soeben vom Profisport zurückgetretene Noa Schärz in dieser Zeitung (siehe WOZ Nr. 26/25) – das Hierarchische des Spitzenfussballs, das sich bereits im Breitensport bei den Kindern etabliert. Schärz sagte, sie freue sich darauf, in einem anderen Format Fussball mit Unbeschwertheit und Leichtigkeit zu spielen. Viele wollen halt «gopferdammi» einfach tschutten.