Alison Bechdel: Wie es weitergeht

Nr. 28 –

In ihrem neuen Comic lässt Alison Bechdel eine Reihe bereits bekannter Figuren auferstehen, die nun übers Älterwerden als Linke nachdenken müssen. Das Cartoonmuseum Basel gibt derweil Einblicke in ihr Gesamtwerk.

Diesen Artikel hören (9:27)
-15
+15
-15
/
+15
Seite aus dem Comic «Spent»
Wie altern, ohne die eigenen politischen Überzeugungen zu verraten? Panel aus «Spent». © Alison Bechdel, HarperCollins Publishers, New York 2025

Schon ein Star, der vergangene Woche zu Besuch war in Basel: Alison Bechdel, die von «Fun Home», die von «Dykes to Watch Out For». Auch die vom Bechdel-Test? Ja, die – dabei war das eigentlich ein Witz, in einem Comicstrip von 1985, und zudem noch einer, den ursprünglich nicht sie, sondern ihre Freundin Liz Wallace gemacht hatte. Später wurde er von feministischen Filmstudentinnen aufgegriffen und durch das Internet weltbekannt: Ein Film besteht den Bechdel-Test nur, wenn darin erstens zwei Frauen vorkommen, die zweitens miteinander reden, und zwar drittens über etwas anderes als einen Mann.

Nun aber nach Basel: grosse Retrospektive zu Bechdels Werk im Cartoonmuseum. Zum Presserundgang sind viele Leute gekommen, einige aus Paris angereist. Bechdel freut sich, führt mit Kuratorin Anette Gehrig durch die Ausstellung. Im ersten Raum ein Sprung in die achtziger Jahre, zu «Dykes to Watch Out For», Bechdels erstem Werk. Mit dem Strip habe sie 1983 auch deswegen begonnen, sagt sie, weil sie ihn selbst gerne gelesen hätte. Es gab kaum Darstellungen von lesbischem Alltag im Comic, und «Dykes» sollte sich mit Leuten beschäftigen, die wie sie und ihre Freund:innen leben und aussehen. 25 Jahre, bis 2008, dauerte diese Soap Opera mit dezidiert politischer Haltung: Heute liest sich das auch als unterhaltsames Zeitdokument, weil hier neben aufreibenden Liebesangelegenheiten immer auch das Tagesgeschehen kommentiert wird.

Viel Witz

Ein Stock höher, ein Raum für «Fun Home» (2006). In ihrer ersten autobiografischen Graphic Novel beschäftigte sich Bechdel mit der komplizierten Beziehung zu ihrem Vater: Erst als sie sich vor ihren Eltern als lesbisch outet, erfährt sie, dass er über viele Jahre hinweg heimliche Beziehungen mit Männern führte. Nur wenige Monate später begeht er Suizid. «Ich wollte die Geschichte als ein Beispiel dafür erzählen, was Homophobie den Menschen antun kann. Mein Vater konnte nie so leben, wie er es gewollt hätte. Ich hatte zwei Jahrzehnte später ganz andere Möglichkeiten», sagt Bechdel. Leider sehe es danach aus, als falle man in den USA gerade weit in die Vergangenheit zurück: «Möglich, dass es bald viel schlimmer wird als in der Zeit meines Vaters.»

Portraitfoto von Alison Bechdel
Alison Bechdel, US-Comiczeichnerin

Bechdel erzählt diese Geschichte behutsam, trotz der Schwere des Themas mit viel Witz. Das mag dazu beigetragen haben, dass «Fun Home» zum Grosserfolg wurde und in vielen Sprachen erschien. Nebenbei räumte das Buch damals gerade auch im deutschsprachigen Raum mit einigen Vorurteilen darüber auf, was Comic alles sein kann. «Ein Comic aus dem Hause Kiepenheuer & Witsch. Und das ist gut so», heisst es im Untertitel der deutschen Ausgabe von 2008 – als müsste man sich selbst davon überzeugen, dass man es mit einer ernst zu nehmenden Kunstform zu tun hat.

2012 folgte mit «Are You My Mother?» die Auseinandersetzung mit Bechdels Mutter, 2021 «The Secret to Superhuman Strength»: Ein Leben lang hat Bechdel alle möglichen Sportarten durchprobiert, jetzt beschäftigt sie sich damit, dass ihr Körper mit zunehmendem Alter immer schwächer wird.

Nicht ausgeliefert sein

«Spent», ihr neustes Buch, dreht sich ebenfalls ums Älterwerden. Wie altern bei all den Widersprüchen, die sich auch nach all den Jahren politischer Auseinandersetzung nicht auflösen, und das, ohne die eigenen politischen Überzeugungen zu verraten? Für das Buch hat Bechdel den Cast von «Dykes to Watch Out For» reanimiert, mit Falten, ergrautem Haar und dem immer noch starken Wunsch nach alternativen Lebensformen. Jetzt ist nicht mehr Mo Zentrum des Freundeskreises, sondern Alison (wobei Mo schon damals recht naheliegend als Bechdels Alter Ego zu lesen war), die mit ihrer Partnerin Holly im ländlichen Vermont lebt. Der Plot allerdings ist an ihr eigenes Leben nur angelehnt – die echte Bechdel etwa hat nicht mit einer aus dem Ruder gelaufenen Serienverfilmung von «Fun Home» zu kämpfen und lebt auch nicht auf einer Ziegenfarm.

«Spent» erstreckt sich über die Zeitspanne von 2022 bis 2024, vom russischen Überfall auf die Ukraine und den Covid-Massnahmen bis zum zweiten Trump-Wahlkampf und den ersten Gazaprotesten. Und während die Charaktere mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt sind, mit polyamoren Experimenten, Gartenarbeit und dem Versuch, sich nicht vom Geld korrumpieren zu lassen, beschäftigen sie sich wie schon in «Dykes» intensiv mit dem, was in der Welt um sie herum passiert. «Ich hatte es vermisst, mit meinen Figuren direkt auf das Weltgeschehen reagieren zu können. So war ich den News nicht bloss ausgeliefert», sagt Bechdel.

Seite aus dem Comic «Spent»

Nach dem Rundgang sitzt sie in der Bibliothek des Museums, hat nur kurz Zeit für ein Interview, weil sich an dem Tag eins ans andere reiht. Trotzdem wirkt sie entspannt, da ist nichts zu spüren vom grantigen Charakter, der ihre Alison in «Spent» auch ausmacht. Schon Mo in «Dykes» trieb ihre Freund:innen in den Wahnsinn, weil sie sich dauernd entweder sorgte oder über etwas aufregte. Was ist mit der echten Bechdel: Wird ihr manchmal vorgeworfen, zu negativ zu sein? Sie lächelt. «Ich habe schon damit zu kämpfen. Ich würde mich aber als kritisch, nicht als negativ bezeichnen», sagt sie. Sie sei mit Eltern aufgewachsen, die klare Meinungen zu sehr spezifischen Dingen gehabt hätten. «Zu kritisieren war unsere Art, zu kommunizieren. Für mich ist das normal, nicht negativ.» Dass sie trotzdem so wahrgenommen werde, merke sie etwa in der Auseinandersetzung mit ihrer Partnerin Holly Rae Taylor, die eine viel sonnigere Disposition habe. «Und ich versuche wirklich, an meiner Haltung zu arbeiten. So düster die politische Situation in den USA gerade ist, empfinde ich es beinahe als Pflicht, optimistisch zu sein. Wenn wir verzweifeln, verlieren wir.»

«Als wäre Gender explodiert»

Zu verzweifeln ist auch für die Figuren in «Spent» keine Option. Es geht eben immer weiter. Auch mit einer nächsten und einer übernächsten Generation, die neue queere Lebensentwürfe mit sich bringen: Irgendwann taucht J. R. auf, das nonbinäre Kind eines befreundeten Paares, zusammen mit Partner:in Badger. Die beiden kommen heim, weil in ihrem polyamoren Beziehungsnetz Krise herrscht. Es gibt einiges an Unverständnis auf allen Seiten – Bechdel gelingt es, sich freundlich und differenziert über alle Beteiligten ein bisschen lustig zu machen.

«Für mich als alte Lesbe ist es interessant zu sehen, wie sich die queere Bewegung entwickelt: in eine Richtung, wie ich es mir nie hätte vorstellen können», sagt sie. «Auf einmal ist da eine komplett neue Palette an Möglichkeiten. Als wäre Gender einfach explodiert.» Die jüngeren Figuren habe sie auch deswegen ins Buch reingenommen, weil sie sich mit ihnen und ihren Ideen habe auseinandersetzen wollen. Ein Versuch, sie besser zu verstehen.

«Wie alle älteren Leute bin ich manchmal ungeduldig mit den Jungen. Aber dann finde ich es auch wieder aufregend. Etwa darüber nachzudenken, was es bedeutet, nonbinär zu sein: mindblowing, oder nicht?» Der französische Verleger aus Paris, ein älterer Herr, der am Presserundgang als Einziger im Publikum dauernd das Wort an sich reisst, der also, in den Worten besagter jüngerer Generation, etwas viel Raum einnimmt: Dieser Verleger habe vorhin etwas zu ihr gesagt, das sie berührt habe. «Er meinte, ‹Spent› habe ihm geholfen, die Jungen besser zu verstehen. Das hat mich richtig glücklich gemacht. Es war nicht meine Mission, ist aber jetzt ein guter Nebeneffekt.»

Die eigentliche Mission: herauszufinden, wie man in der Misere, in der wir leben, leben kann. Aber auch davon sei sie abgelenkt worden, unter anderem von der polyamoren Lovestory, die zwischen drei ihrer Figuren entsteht. Vom Leben also, irgendwie. Tatsächlich habe ihr die Arbeit an «Spent» dabei geholfen, sich etwas zu entspannen: kritisch zu sein, aber nicht bitter, und vielleicht etwas weniger schlecht gelaunt. Ein Plädoyer dafür, für alles und jede:n Verständnis aufzubringen, ist das Buch sicher nicht geworden. Aber dass es sich lohnt, auch an den anstrengenden Dingen dranzubleiben, das kann man daraus schon mitnehmen.

Cover des Comic «Spent»
Alison Bechdel: «Spent». Haper Collins. New York 2025. 272 Seiten. (Nur Englisch.)

Ausstellung im Cartoonmuseum Basel: «Alison Bechdel. The Essential». Bis 26. Oktober 2025.