Häuserkampf : Das Experiment

Nr. 6 –

Nächste Woche soll die Besetzung auf dem Koch-Areal in Zürich Altstetten dem Bau von Genossenschaftswohnungen weichen. Doch was ist auf dem Gelände in den letzten zehn Jahren entstanden? Und was bedeutet die Räumung für die grösste Stadt des Landes? Bewohner:innen und Bewegungschronisten erzählen.

Rollschuhdisco auf dem Koch-Areal
Auch Spass ist Politik – aber in erster Linie Spass: Rollschuhdisco auf dem Koch-Areal.

Eine riesige glitzernde Faust funkelt als Discokugel über der Menschenmenge. An selbstgebauten Ständen gibt es Essen zum Wunschpreis, Aktivist:innen diverser politischer Projekte betreiben Infostände, auf zwei Bühnen treten Künstler:innen auf.

Die Bar unter der Discofaust ist mit nachgebauten Versatzstücken aus der Geschichte des Zürcher Häuserkampfs versehen: Die Wand mit den aufgemalten Ziegeln erinnert an die Binz, der «Zureich»-Schriftzug im SBB-Design an die Wohlgroth. In einem Minimuseum sind Flyer fast aller Besetzungen der letzten Jahrzehnte ausgestellt – eine Art Ahnengalerie.

Es ist Mitte September, die Bewohner:innen des Koch-Areals in Zürich Altstetten haben zum antifaschistischen Festival «Unite» geladen – und gekommen sind mehrere Tausend Menschen. Ein letztes Mal ziehen sie alle Register. Um zu beweisen, was in einem Freiraum wie diesem alles möglich ist. Und tatsächlich stellt sich in einer der zurzeit grössten Besetzungen der Schweiz an diesem Abend ein Gefühl ein, das Zürich sonst kaum je zu bieten vermag: dass auch im glänzenden Showroom der Sozialdemokratie noch Utopien geträumt werden.

Damit ist jetzt Schluss. Kommende Woche soll das Areal geräumt werden, um einem Wohnprojekt Platz zu machen, an dem Genossenschaften beteiligt sind, die einst selbst aus der Häuserbewegung hervorgegangen waren. Auf das Ende hin hat die WOZ aktuelle und ehemalige Bewohner:innen und Chronisten der Bewegung getroffen – um zu begreifen, was dort am Stadtrand in den letzten zehn Jahren entstanden ist. Um zu verstehen, wie sich das Koch in die Geschichte des Zürcher Häuserkampfs einreiht. Und welche Lehren sich daraus ziehen lassen.

Wie in einem Kochtopf

Die Küche ist lichtdurchflutet dank einer grossen Glasfront zur Strasse hin, mehrere kleine Fenster in diversen Formaten, die so aneinandergezimmert sind, dass sie sich gegen aussen schalenartig wölben. Davor steht ein gemütlicher Sessel mit Ausblick. Das Stillleben mutet an wie das Cockpit eines selbstgebastelten Raumschiffs – Science-Fiction in Handarbeit.

Im Innern ärgert sich Lola Lunati* darüber, dass es zu lange dauert, bis der Kaffee endlich kocht. Und während sie noch auf die Bialetti wartet, ist Lunati mit ihren Ausführungen bereits bei den fundamentalen Fragen angelangt: «Wie viele der Leute, die hier wohnen, sind eigentlich wirklich politisiert?» Das Koch sei eine Nische, die es ermögliche, ohne Mietkosten zu leben und dafür mehr Zeit in soziale und politische Projekte zu investieren. Dass manche keine grösseren Ideen einbringen würden, verstehe sich von selbst. Aber: «Ist es denn an sich schon politisch, in einem besetzten Haus zu leben?»

eine Person repariert ein Fahrrad in der Velowerkstatt des Koch-Areals
Mit etwas Fantasie und Geschick war hier vieles möglich: Die Velowerkstatt.
der im Winter etwas unbelebte «Dorfplatz» des Koch-Areals
Der im Winter etwas unbelebte «Dorfplatz».

 

Lunatis Science-Fiction-Küche befindet sich in der Halle am westlichen Ende des Areals unter dem denkmalgeschützten Dach mit dem ikonischen Schriftzug «Kohlen Koch Heizoel». Die Besetzer:innen haben den Raum selbst eingebaut, so wie die meisten anderen in der Halle – einem von vier «Quartieren». Hinzu kommen der Wagenplatz im hinteren Teil, das «weisse Haus» (der bewohnte vordere Teil der mittleren Halle) und das «blaue Haus» am östlichen Rand, das ehemalige Bürogebäude mit der kleinen Hütte auf dem Dach, dem Konzertlokal im Erdgeschoss und einem grossen Transparent an der Fassade.

Rund 100 Menschen wohnen auf dem Koch-Areal, phasenweise waren es mehr als 120. Zu Beginn nannten sich die Besetzer:innen noch «Familie Wucher». Und in den zehn Jahren, die seither vergangen sind, haben sie dort tatsächlich gewuchert. Unzählige Projekte sind entstanden: ein «Gratisladen», eine offene Velowerkstatt, ein Druckereikollektiv, ein Radiosender, ein Kino und vieles mehr. Projekte, die nicht zuletzt dazu gedacht sind, die Besetzung mit der Bevölkerung der Stadt zusammenzubringen.

Fast ebenso lange, wie es das Koch gibt, wohnt auch Lola Lunati hier. Schon vorher lebte die heute Vierzigjährige in Besetzungen wie dem «Autonomen Beautysalon». «Dass ich mit dem Besetzen anfing, hatte bei mir wohl persönliche Bewandtnis», sagt sie. Wichtiger als die politische Überzeugung sei zunächst die Faszination gewesen: dafür, «dass die Leute hier einfach machen können, worauf sie Lust haben», keine kommerziellen Interessen, keine Begrenzungen von aussen, nur «gelebte Kultur».

Das Koch-Areal müsse man sich als Kochtopf vorstellen. Alle Beteiligten würden hineingeben, was sie hätten – Fähigkeiten, Vorwissen oder Motivation –, um die eigenen Ideen dann gemeinsam verwirklichen zu können. Und dabei Spass zu haben. «Das wäre wenigstens das Ideal: ein Gegenentwurf zur Welt da draussen, die uns so vielen Zwängen unterwirft und oft so grau und kalt wirkt.»

Streitigkeiten und Mackertum

Wer die Bedeutung des Koch-Areals für eine Stadt wie Zürich ermessen will, muss in der Geschichte zurückgehen. Und die Besetzung im aufstrebenden Quartier zwischen hippen Neubausiedlungen und Industriebauten auch in einer Kontinuität von Freiräumen betrachten – und das in einer Stadt, die in vielerlei Hinsicht zubetoniert ist. Einer, der von dieser Geschichte berichten kann, ist Thomas Stahel.

Heute für die örtliche SP als Projektleiter tätig, hat Stahel einst ein Buch über stadtpolitische Bewegungen geschrieben – so etwas wie das Gedächtnis der Häuserkämpfe. An einem trüben Januartag kramt er beim veganen Zmittag in seiner Erinnerung. «In den letzten Jahrzehnten hat es in Zürich immer mindestens eine grössere Kulturbesetzung gegeben», sagt er. «Was krass ist: Es ist seit Anfang der nuller Jahre wohl das erste Mal, dass es nach der Koch-Räumung keinen zentralen Treffpunkt für die Szene mehr geben wird.»

der überdachte Wagenplatz des Koch-Areals
Ein anderes Leben braucht viel Improvisation: Der Wagenplatz und ein Häuschen auf dem Dach des ehemaligen Bürogebäudes.
ein Häuschen auf dem Dach des ehemaligen Bürogebäudes

Die Geschichte der Zürcher Besetzungen beginnt in den siebziger Jahren; Ziel sei damals die Politisierung der Bevölkerung im Rahmen des Klassenkampfs gewesen, sagt Stahel. Die längste dieser Besetzungen – immerhin elf Monate – war jene beim Hegibachplatz. Aber erst mit der Achtzigerbewegung, für die der Kampf um die Stadt zentrales Anliegen war, nahm die Zahl stark zu. Im Gegensatz zu vorher stand nun die Aneignung von Raum zum Wohnen und Leben im Zentrum. Mitte der achtziger Jahre folgte die sogenannte Netz-Zeit mit mehreren Besetzungen – und Räumungen. Bis die «Netz-Bewegung» bald wiederum an internen Streitigkeiten – und am Mackertum der männlichen Mitglieder – scheiterte.

Nach einigen ruhigeren Jahren habe sich die Szene Ende der achtziger Jahre wieder zu sammeln begonnen und jede Woche gegen die Wohnungsnot demonstriert. Gleichzeitig stieg die Zahl der Besetzungen sprunghaft an. «Damals gabs Leute, denen es egal war, wenn sie verhaftet wurden. Sie sind dann einfach wieder besetzen gegangen», sagt Stahel. Die Politik habe irgendwann einknicken müssen und eine neue Räumungspraxis etabliert: Seither – und offiziell bis heute – gilt die Regel, dass man eine Besetzung nicht auf Vorrat räumt.

Als 1991 die ersten Häuser des Wohlgroth-Fabrikareals besetzt wurden, hatte die «Wohnungsnotbewegung» ihren Zenit bereits überschritten. Durch seine Grösse und zentrale Lage gleich beim Hauptbahnhof wurde das Gelände aber zu einer der spektakulärsten Besetzungen der Schweizer Geschichte. Berühmt geworden war es nicht zuletzt dank eines utopischen Versprechens an der Fassade: «Alles wird gut.» Nach zweieinhalb Jahren wurde die Wohlgroth geräumt – die «Blütezeit des Zürcher Häuserkampfs», wie Stahel es nennt, war Geschichte.

Filmscreenings und eine Rollschuhdisco

Mischa Brutschin ist ein alter Hase der Bewegung; er hat die Wohlgroth mitinitiiert und der Szene mit seinem achtstündigen Dokfilm «Allein machen sie dich ein» ein Denkmal gesetzt. Vor wenigen Jahren zog er nach Norddeutschland, wo er heute in einer Kommune lebt. Welche Bedeutung den Grossbesetzungen in Zürich zukommt? «Von mir bekommt ihr die pessimistische Perspektive: Man hat die Räume nicht genutzt. Dafür, dass es in Zürich so viele Besetzungen gab, hatte die Bewegung einen marginalen Einfluss auf die Gesamtbevölkerung. Seit dem Ende der achtziger Jahre haben wir es nie mehr geschafft, die Stadtentwicklung wirklich zum Thema zu machen», sagt er beim Zoom-Gespräch.

Auch zu Zeiten der Wohlgroth habe sich die Szene oft vor allem «um den eigenen Bauchnabel» gedreht. Und just in dem Moment, in dem mit der neuen Räumungspraxis ein Schritt nach vorn passiert sei, habe sie sich in einen «alternativen Wohnungsmarkt» verwandelt. Auch das war ein Grund, warum Brutschin Zürich verliess. «Das Gefühl, dass man nicht nur den Stab weitergibt, sondern dass sich auch etwas entwickelt: Das hat mir gefehlt», sagt er.

Dass seither eigentlich nichts entstanden sei, ist vielleicht eine arg pessimistische Sichtweise. Die Idee einer Grossbesetzung, die Kulturanlässe mit Wohnraum verbindet, lebte seit der Wohlgroth jedenfalls beständig weiter – vielleicht war das Fabrikgelände so etwas wie die geistige Ahnin des Kochs, wo das kulturelle Programm bis heute zentral ist. Ein Programm, das Maria Kündig*, die das Koch mitbesetzte und anschliessend rund sechs Jahre auf dem Wagenplatz wohnte, mitgeprägt hat.

Plakate an der Wand der Siebdruckwerkstatt
Bewegt dich etwas oder willst du etwas bewegen? Plakate in der Siebdruckwerkstatt.

Filmscreenings und Punkkonzerte, Polittalks und auch mal eine Rollschuhdisco: Als Kulturraum habe das Koch immer eine immense Bedeutung gehabt, erzählt die heute 43-jährige Kündig: «Fast jedes Wochenende Veranstaltungen, auch von jungen Bands, wo Leute hinkönnen, die sonst kein kulturelles Angebot finden, das sie sich leisten können.» Auflagen, die schwierig zu erfüllen sind, oder Druck, «uncoole Partys» zu veranstalten, um Geld reinzuholen, gibt es dort nicht: «Im überreglementierten Zürich ist das nicht einfach zu finden», so Kündig.

Sie sei überhaupt erst in die Bewegung gerutscht, weil sie Konzerte habe veranstalten wollen und mit Anfang zwanzig aufs «Egocity» gestossen sei, erzählt sie. Das Haus im Kreis 4 war einer der ersten «Kultursquats» seit der Wohlgroth und ein wichtiges Symbol der Szene. Mit erstaunlicher Kontinuität folgten viele weitere: von der Dada-Besetzung des Cabaret Voltaire im Zürcher Niederdorf bis zu «Kalkbreite» und «Binz», die beide einer Überbauung weichen mussten. Einige der Binz-Bewohner:innen zogen nach der Räumung weiter ins Koch.

Wie Maria Kündig war auch Magda Zulug* von Anfang an mit dabei. Damals war sie Anfang zwanzig, insgesamt ein Drittel ihres Lebens hat sie auf dem Koch-Areal verbracht. «Sesshaft» seien sie und viele ihrer Freund:innen über die Zeit geworden. «Die Stabilität ermöglichte es mir dafür, mehr Zeit und Energie für Projekte ausserhalb der Besetzung aufzuwenden», sagt sie, als wir sie Mitte Januar besuchen.

Trotz aller Privilegiertheit sei es im Koch teilweise auch unangenehm gewesen, so die 32-Jährige. «Und ich bin froh, dass es manchmal genervt hat.» Das liege ja vor allem daran, dass nichts von höheren Instanzen geregelt werde. Keine Vermieter:innen – keine Vorschriften. «Stattdessen muss man lernen, miteinander zu reden und eigene Bedürfnisse auch mal zurückzustellen.»

Den Überblick zu behalten, sei bei der Grösse und der Durchlässigkeit des «riesigen Ameisenhaufens» praktisch unmöglich. «Leute kommen und gehen ständig», sagt Zulug. Darunter auch schwierige Charaktere. Trotzdem habe die Gruppe immer an einem zentralen Ziel festgehalten: «Dass niemand vor sich hin abstürzt und damit alleingelassen wird.» Immer sei ihr das vielleicht aber nicht gelungen.

Doch, so Zulug, auch wenn sie oft das Gefühl gehabt habe, auf dem weitläufigen Areal würden viele ihr eigenes Süppchen kochen – die Gruppe habe auch oft zueinandergefunden: «Auch beim Unite-Festival hatte ich, wie so oft in den letzten Jahren, anfangs das Gefühl: Wie soll das alles nur gehen?» Wenn es wirklich darauf angekommen sei, seien die Leute am Ende immer da gewesen. «Das ist doch das Geilste.»

die Bar des Koch-Areal
Mit dem Koch-Areal verliert die Linke einen enorm wichtigen Knotenpunkt: Die Bar.
Kinosaal des Koch-Areals
Der Kinosaal.

 

Gemeint sind damit nicht nur Bewohner:innen des Areals. Xelil Ziya* betont die politische Vernetzung darüber hinaus: «Es gibt viele Leute in Zürich, die vielleicht nicht selbst in einer Besetzung wohnen, aber trotzdem solidarisch mit uns sind und uns besuchen.» Und dieser Kontakt dürfe nicht verloren gehen, sonst verliere die Linke einen wichtigen Knotenpunkt.

Ziya spricht einen Punkt an, den auch die anderen Besetzer:innen betonen: das Koch als Treffpunkt für die ausserparlamentarische Linke, deren Sitzungen und Politveranstaltungen, als Keimzelle einer progressiven Politik. In den zehn Jahren seines Bestehens hat sich auf dem Gelände überdies ein Haufen an Infrastruktur angesammelt, die den Bewegungen der Stadt zur Verfügung steht. Frauenstreik, Black-Lives-Matter-Proteste oder 1.-Mai-Demo – ohne das Koch wäre deren musikalische Untermalung undenkbar. Was mit den Wagen und den Lautsprechern nun passiert, ist ungewiss.

Xelil Ziya selbst wohnt seit vier Jahren im «blauen Haus». «Ich habe keine Papiere, kein Geld, eigentlich nichts», sagt er. Im Koch habe er dennoch eine Unterkunft gefunden, anfangs noch im Gästezimmer, bis ein fester Platz frei wurde. «Das Areal ist auch deshalb wichtig, weil illegalisierte Leute wie ich darin unterkommen. Wir haben hier zwar nicht für alle Platz, aber doch immerhin für einige. Wohin können die jetzt, wenns das Koch nicht mehr gibt?»

Für Geflüchtete sei das Leben dort sicher anders gewesen als für die anderen, sagt Zyia. «Wir haben vielleicht ein anderes Bedürfnis danach, allein zu sein.» Das Koch biete ihm «Freiheit ausserhalb des Integrationssystems»: «Ich brauche keine Sozialarbeiter, keine Gemeinde, die mir sagt, was ich darf», sagt der Besetzer. «Freiheit macht die Leute schön – und sonst nichts.» Auf dem Areal nähere man sich diesem Ideal immerhin an: Man könne über alles reden, ohne Polizei und Überwachungskameras. «Eine kleine Besetzung, in der nur ein paar Leute leben, kann das nicht bieten», sagt Ziya. Grösse und Anonymität seien eben entscheidend dafür, wie geschützt man sich fühlen könne.

Das Ende der Räumungspraxis?

Nicht nur für Leute wie Ziya, für die in Zürich aus politischen Gründen kein Platz vorgesehen ist, wird die Suche nach einem neuen Zuhause schwierig. Mit dem Ende des Kochs verschwindet die Wohnungsnot in der Stadt nicht – im Gegenteil: Das Problem könnte akuter nicht sein, erschwingliche Wohnungen sind praktisch inexistent, ein Leben in der Stadt können sich zunehmend nur die Reichen leisten. Die Besetzer:innen greifen das Thema auf: In den letzten Monaten haben sie mehrere Versuche gestartet, sich die Stadt anzueignen. Mit der «Alles wird besetzt»-Kampagne, die sich diskursiv an den Wohlgroth-Slogan «Alles wird gut» anlehnt, wollten sie laut einer eigens aufgeschalteten Website die «Häuserkämpfe aufkochen». Die Aktivist:innen stellen die alten Kernforderungen des Häuserkampfs: «Die Häuser denen, die drin wohnen» und «Kein Abriss auf Vorrat». Im Oktober gingen Hunderte für diese Anliegen auf die Strasse. In den letzten Monaten wurden zudem knapp zehn Häuser besetzt – und in den meisten Fällen (dort, wo die Besitzer:innen bei der Polizei intervenierten) innert kürzester Zeit wieder geräumt.

Besonderes Aufsehen erregte die Besetzung eines Gebäudes des städtischen Elektrizitätswerks an der Limmat. Gut eine Woche lang fanden im alten Kesselhaus Veranstaltungen statt; die Besetzer:innen waren dabei, sich einen neuen Kulturort anzueignen. Auch die WOZ lud dort zu einem Podium, an dem über 300 Menschen über Verdrängung debattierten. Anfang November wurde das Gebäude geräumt, wegen «Einsturzgefahr» und weil man – nach Jahren, in denen die Halle leer stand – plötzlich eine neue Nutzung anstrebt, wie die Behörden behaupteten.

Später musste der Stadtrat in der Antwort auf eine Anfrage der Grünen und der AL zugeben, dass «eine generelle Einsturzgefahr» für das Gebäude gar nicht bestand. Der Stadtrat, allen voran der grüne Finanzvorsteher Daniel Leupi, machte indes gegenüber der WOZ schon früh klar, dass er staatlich organisierte Zwischennutzungen Besetzungen vorziehe. Für Räume, die sich dem Einfluss der Behörden entziehen, scheint im Zürich von heute kein Platz mehr zu sein.

Und was bedeutet das aktuelle polizeiliche Vorgehen für die vor mehr als dreissig Jahren etablierte Räumungspraxis? Bewegungschronist Brutschin sagt: «Die Doktrin der Stadt ist schon länger am Wanken, aber der aktuelle Umgang ist der letzte Bruch damit: Jetzt wird grundsätzlich auf Vorrat geräumt.» Ein Vorwurf, den die Medienstelle des Sicherheitsdepartements dementiert: An der Räumungspraxis habe sich nichts geändert; die Stadt halte sich daran. Auf die Frage nach der Räumung des EWZ-Kesselhauses verweist der Sprecher ans zuständige Departement der industriellen Betriebe, das in seiner Antwort aber wiederum bloss auf die bereits erwähnte Antwort des Stadtrats weiterverweist.

Stencil-Grafik an einer Wand mit Abbildung der schwarzen Katze, einem Symbol des Anarchismus
eine asiatische Skulptur als Kopf mit einer grossen Zigarette im Mund, daneben eine Weissweinflasche

«Ein Ort zum Sichverlieren»

Am Schluss bleibt die Frage nach der Zukunft autonomer Freiräume in Zürich – nach Wohnmöglichkeiten und nichtkommerzialisierter Kultur. Immerhin haben zumindest die Besetzer:innen, mit denen die WOZ gesprochen hat, eine Anschlusslösung gefunden. So auch Magda Zalug, die sagt: «Es scheint bisweilen fast einfacher, ein Haus zu besetzen, als eine bezahlbare Mietwohnung zu finden.» Auf jeden Fall verliere die Stadt einen wichtigen Kulturort, bedauert wiederum Maria Kündig. Ein Gutes habe die Situation immerhin: dass sich die Szene neu vernetzt habe. «Da entsteht auf jeden Fall etwas Neues.» Ein anderer Bewohner formuliert es so: «Der Zusammenhalt ist immer am stärksten, wenn die Bedrohung von aussen kommt.» Was mit der Bewegung passiere, werde sich zeigen müssen.

Wie es für Lola Lunati weitergeht, ist noch unklar. Eine Übergangslösung für sie und ihre Kinder hat sie gefunden: Ein Dach über dem Kopf ist sicher. Und dann – «wenn nicht mehr ständig Inputs auf mich einprasseln» – werde da erst mal ein Vakuum sein, sagt sie. Wurde das Ideal, einen alternativen Entwurf zu leben, ein Gegenmodell in einer durch und durch kapitalisierten Stadt, mit den rund zehn Jahren Koch-Besetzung erreicht? Lunati sitzt inzwischen auf einer kleinen Treppe in der Nachmittagssonne. Die Stimmung ist fast schon aggressiv idyllisch. Und je länger das Gespräch dauert, desto mehr Wehmut schwingt in ihren Erzählungen mit. «Es hätte noch viele andere Möglichkeiten gegeben, diesen Raum zu bespielen», sagt sie. «Es ist so geworden, wie es jetzt ist.» Ein Versuch halt. «An einem Ort, an dem man sich gut verlieren konnte – in jeder Hinsicht.»

* Alle Namen der Besetzer:innen geändert. Aus Furcht vor juristischen Konsequenzen sind auf den Fotos keine Koch-Bewohner:innen zu sehen.

ein Sessel aus aus Gips, dekoriert mit Glasscherben und Spiegelscherben
eine Totenkopf-Skulptur mit Hut
Lattenzaun vor dem Kochareal, im Hintergrund das Gebäude mit der Aufschrift «Kohlen Koch Heizöl»
diverse Wohnbauten auf dem Kochareal