Der neue Neoliberalismus: Der Staat als Immobilienfirma gedacht

Nr. 15 –

Donald Trump bricht zwar mit dem Freihandel, nicht aber mit der Ideologie, die diesem einst zugrunde lag.

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Wirtschaftspolitisch dreht sich in den ersten Monaten von Donald Trumps Präsidentschaft fast alles um Zölle. Der Rundumschlag vom 2. April markiert bloss einen vorläufigen Höhepunkt. Für die einen verkörpert dies das Ende des Neoliberalismus, für andere seine rücksichtslose Durchsetzung. Was also ist realistisch? Wofür wird Trumps zweite Amtszeit ökonomisch stehen?­

Will man Trumps Handeln verstehen, ist ein Blick darauf hilfreich, wie er zu seinem Reichtum gekommen ist. Erstens ist er kein Selfmademillionär: Er kam reich zur Welt und hat keinerlei Ambitionen, Reichtum und die Vererbung von Reichtum zu beschränken. Zweitens hat er seinen Aufstieg und seine Bekanntheit vor allem Steuersenkungen und unbeschränktem Kredit zu verdanken. Es gibt deshalb eine enge Verbindung dreier zentraler Eckpunkte neoliberaler Wirtschaftspolitik: Steuerreduktion, Aufstieg der Finanzindustrie und leichter Zugang der Privatwirtschaft zu Kredit. Drittens war Trump nicht in der Produktion innovativ. Er war nicht erfolgreich, weil er etwas Neues erfunden hätte. Sein Erfolg basierte auf der Durchsetzung seiner Interessen gegenüber Kommunen und Banken, was er durch eine Mischung aus Drohung und Versprechen erreichte. Viertens waren seine einzelnen Projekte oft nicht profitabel, was aber sekundär war, da er durch sie grösser und mächtiger wurde. Letztlich wurde er «too big to fail», sodass die Banken ihn lange nicht fallen liessen, als er vor dem Bankrott stand. Dennoch musste Trump zweimal Konkurs anmelden. Doch die Konkursbestimmungen waren für Grossvermögende so vorteilhaft, dass die Privatvermögen aussen vor blieben und für das Geschäftsvermögen eine Reorganisation anstelle einer Abwicklung stattfand.

Trumps Aufstieg ist also mit vielen Aspekten der Durchsetzung neoliberaler Wirtschaftspolitik verbunden, und er wird diese, jedenfalls innerhalb der USA, keinesfalls aktiv bekämpfen. Auch die ständige Ausweitung der Einkommensschere zwischen dem reichsten Prozent und dem Durchschnitt der Bevölkerung ist für Trump kein Problem. Womit er allerdings nicht leben kann, ist die Idee, (neo-)liberale Wirtschaftsdoktrinen zur Basis eines regelbasierten internationalen Wirtschaftssystems zu machen. Trump hält wenig von Regeln, die seine eigene Handlungsmacht beschränken. Statt auf Regeln setzt er auf Macht und Durchsetzungsstärke. Und: Trump ist kein Ideologe. Er hat wenig feststehende Prinzipien. Auch neoliberale Doktrinen nutzt er, wo sie ihm passen, um sie im nächsten Moment unter anderen Umständen über Bord zu werfen.

Das Ende der Freihandelspolitik

Schon vor der Durchsetzung des Neoliberalismus galten der freie Handel und der Abbau von Zöllen als liberales Ideal, das auch die sozialliberal geprägten Keynesianer:innen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs vertraten. Dieses Ideal prägte die Institutionen, die 1944 im US-amerikanischen Bretton Woods geschaffen wurden. Auf dieser Basis empfahlen der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank den «Entwicklungsländern», ihre Handelsrestriktionen abzubauen.

Diese Ära internationaler Wirtschaftsdiplomatie unter liberalen Vorzeichen dürfte unter Trump nun an ihr Ende gekommen sein. Die Weltbank kann nun kaum mehr von einem Land des Globalen Südens fordern, was die USA offensichtlich nicht umsetzen. Damit existiert keine weltwirtschaftliche Ordnung mehr, die zumindest den Anspruch erhebt, universell gültig zu sein. Statt Regeln dominieren Macht und die partikularen Interessen der einzelnen Staaten.

Trump gibt den aussenwirtschaftlichen Liberalismus auf, weil er in ihm keinen Nutzen für die USA mehr sieht. Dies ist, wenn man sich die Fakten anschaut, eigentlich kaum zu glauben: Unter den grossen Industrienationen haben die USA das mit Abstand höchste BIP pro Kopf und das höchste Durchschnittseinkommen. Auch in den letzten Jahren war die Wirtschaftsentwicklung deutlich besser als in den meisten europäischen Ländern. Und nach wie vor sind von den zehn reichsten Männern der Welt die meisten US-Amerikaner. Das ist nicht unwichtig, redet Trump doch andauernd davon, dass er die Zeit der grossen US-Vermögen Ende des 19. Jahrhunderts wiederherstellen will. Nachteilig war die Globalisierung vor allem für Teile der US-Arbeiter:innenschaft – was der Staat mit gezielten sozial- und industriepolitischen Massnahmen hätte abschwächen können.

An das Thema Umverteilung wollen aber weder Trump noch die ihn umgebenden Milliardäre heran. Also sind andere Nationen schuld, weil sie die USA mit unfairen Handelsmethoden betrügen, was inhaltlich weitgehend unhaltbar ist. Im Jahr 2023 nahmen die USA mit Zöllen 80 Milliarden Dollar ein, die EU-Staaten 20 Milliarden Dollar. Doch wenn man sich von anderen betrogen wähnt, verfangen rationale Argumente oft nur noch bedingt. Man kann den Eindruck gewinnen, dass Trump derzeit mit der Schrotflinte auf die Welt schiesst, sich dabei aber selbst ins Knie trifft. Vor seinem Amtsantritt bezeichneten auch zahlreiche Ökonom:innen Chinas Aussenhandel als unfair und warben für Zollerhöhungen gegenüber dem Land. Doch Trumps Zollerhöhungen gegenüber dem Rest der Welt halten fast alle Vertreter:innen der Wirtschaftswissenschaften in den USA für ein Eigentor, das der US-Wirtschaft grossen Schaden zufügen wird.

Reindustrialisierung als Ziel?

Wenn fast alle Ökonom:innen eher Gefahren in Trumps Wirtschaftspolitik sehen, warum betreibt er diese Politik dann? Es spricht viel dafür, dass er davon ausgeht, die Kombination aus einer für Unternehmen attraktiven Steuerpolitik und der Abschottung des US-Binnenmarktes nach aussen durch Zollschranken werde dazu führen, dass eine grosse Zahl ausländischer Firmen in den USA investieren wird. Allerdings ging dieses Kalkül schon in Trumps erster Amtszeit nicht auf. Die Steuersenkungen und Zollerhöhungen führten damals keineswegs zu einem Investitionsboom in den USA. Auch deshalb gibt es gerade unter den grössten Befürworter:innen einer Reindustrialisierung der USA erhebliche Zweifel daran, dass dies nun der Fall sein wird. Sie verlangen deswegen von Trump ein staatliches Programm, das Firmen Subventionen gewährt, um sich in den USA anzusiedeln.

An diesem Punkt wird schon jetzt ein Konflikt innerhalb des Trump-Lagers deutlich. Als wichtigste Unterstützer eines staatlichen Industrialisierungsprogramms in der Trump-Regierung gelten Aussenminister Marco Rubio sowie Vizepräsident J. D. Vance. Beide verfügen jedoch nur über bedingte Handlungsmacht in der Wirtschaftspolitik. Auf der anderen Seite steht vor allem Elon Musk. Obwohl seine Firmen von zahlreichen staatlichen Subventionen profitierten, sprach er sich Anfang Dezember 2024 für das Ende der staatlichen Subventionspolitik für E-Autos aus und hatte sich zuvor schon häufiger gegen jegliche Subventionen gewandt. Ein zentrales Förderprogramm für die heimische Industrie, den Chips and Science Act, den Trumps Vorgänger Joe Biden eingerichtet hat und der Dutzende Milliarden Dollar an Subventionen für die inländische Entwicklung und Herstellung von Computerchips vorsieht, lehnen Trump und die Mehrheit der Republikaner:innen ab. Befürworter:innen einer Reindustrialisierung dagegen loben das Gesetz und sprechen sich nur für ein weniger bürokratisches Verfahren aus.

Aktuell spricht aber wenig für eine breit angelegte Industrieförderung – zu sehr sind Trump, die Mehrheit der Republikaner:innen und in erster Reihe Musk damit beschäftigt, den angeblich von linken Überzeugungstäter:innen durchsetzten Staat zu zerstören. Auch Trumps Wahl des Budgetverantwortlichen spricht eher gegen ein solches Programm, denn Russell Vought ist ein Evangelikaler, der sich die Bekämpfung des «deep state» zum Ziel gesetzt hat.

Was sich Wirtschaftseliten versprechen

Wenn also die Wirtschaftsaussichten unter Trump erst einmal bestenfalls gemischt erscheinen, warum stand die Wirtschaftselite trotzdem mehrheitlich hinter ihm? Bidens Wirtschaftspolitik kann nach herkömmlichen Kriterien als weitgehend erfolgreich bezeichnet werden. Warum also die Entscheidung für Trump? Erstens forderten die Demokrat:innen höhere Steuern auf grosse Gehälter und Kapitaleinkommen sowie die Stärkung des internationalen Kampfes gegen Steueroasen. Trump dagegen wird weitere Steuersenkungen für die Superreichen bringen und nichts gegen Steuerhinterziehung unternehmen, sondern eher Steueroasen in den USA fördern. Es bestehen also wenig Zweifel daran, dass Trumps Politik für die Topverdiener:innen privat vorteilhaft ist. Zweitens versprechen sich mehrere Wirtschaftsbereiche auch Vorteile von Trumps Politik. Für die Öl- und Gasindustrie, die zu Trumps grössten Spender:innen gehörte, war sein Wahlsieg ein grosser Erfolg, da er angekündigt hatte, alle Klimaauflagen zu beenden, und ein begeisterter Anhänger fossilen Energieverbrauchs ist.

Weit vorne bei Trumps Unterstützer:innen dürfte auch der militärisch-industrielle Komplex stehen. Biden hat in diesem Bereich zwar keine Kürzungen vorgenommen, aber für Trumps Politik der Stärke und der Drohung bedarf es militärischer Überlegenheit, die vermutlich mehr Aufrüstung bringen wird. Zudem dürften Trumps Drohungen, den Verbündeten, insbesondere der EU, den militärischen Schutz zu entziehen, wenn sie nicht ihre Militärausgaben als Anteil des BIP deutlich erhöhen, Wirkung zeigen. Da die europäische Rüstungsindustrie nicht ansatzweise in der Lage ist, den steigenden Bedarf zu decken, ist in diesem Bereich mit einem deutlichen Exportzuwachs der USA zu rechnen.

Zudem stimmen viele Techmillionäre mit Trumps Politik überein, weil, wie der deutsche Soziologe Philipp Staab gezeigt hat, im digitalen Kapitalismus freie Märkte kaum noch eine Rolle spielen. Die Techfirmen machen ihre Gewinne damit, dass sie Monopole halten und den Zugang zu Märkten kontrollieren. Daraus generieren sie vor allem Werbeeinnahmen, denn sie können durch die Ausforschung ihrer Nutzer:innen Werbung zielgenau adressieren. Schon jetzt besitzen sie weit mehr Informationen über US-Bürger:innen als der Staat; dennoch ist der Zugriff auf Behördendaten für Musk und andere Techmilliardäre höchst attraktiv und im Rahmen von Trumps KI-Initiative mehr als denkbar.

Ob die von Trump immer wieder erwähnte Stahl- und Kohleindustrie profitiert, bleibt dagegen ungewiss. In Trumps erster Amtszeit erfuhr sie keinen Aufschwung. Die von Präsident Biden vorerst verhinderte Übernahme von US Steel durch den japanischen Nippon-Steel-Konzern zeigt alles andere als eine Stärke der US-Stahlindustrie. Trump hatte Biden in diesem Fall unterstützt und betont, dass seine Zollpolitik einen Verkauf bald unnötig machen werde. Die Führung von US Steel sieht das allerdings anders und klagt gegen das Veto. Trump hat den japanischen Premierminister bei dessen Antrittsbesuch am 7. Februar 2025 davon zu überzeugen versucht, dass Nippon Steel in US Steel investieren, es aber nicht übernehmen solle.

Nationalistisch-autoritäre Variante

Insgesamt spricht, trotz Trumps oft erratischen Agierens, vieles dafür, dass er seine Politik der Kombination aus Steuersenkungen und Zollerhöhungen durchsetzen wird, auch wenn viele Ökonom:innen vor negativen Folgen warnen. Aber steht er damit nun für das Ende des Neoliberalismus, wie es unter anderem der frühere Chefökonom der Weltbank, Branko Milanović, jüngst behauptet hat?

Die Antwort auf diese Frage hängt von der Definition des Begriffs «Neoliberalismus» ab. Mit dem neoliberalen Credo des freien Handels hat Trump nichts gemein, und mit seiner Liebe für unilaterale Zölle repräsentiert er tatsächlich ein Ende des Neoliberalismus als internationales Ordnungssystem. Folgt man dagegen den französischen Wirtschaftswissenschaftlern Gérard Duménil und Dominique Lévy, die den Neoliberalismus als ein Projekt zur Wiederherstellung der Macht der Oberschicht oder der besitzenden Klasse definieren, dann besteht kein Zweifel, dass Trump dieses Projekt ohne Einschränkung verfolgt.

Michel Foucault wiederum hat die Differenz zum klassischen Liberalismus betont, der für ihn von der klaren Trennung von Markt und Staat geprägt ist. Markt und Staat funktionieren nach unterschiedlichen Regeln und sollen sich möglichst weitgehend aus dem jeweils anderen Bereich heraushalten. Im Neoliberalismus wird dagegen die Logik des Markts zum allgemeinen Stil des Denkens erhoben, der sowohl für die Regierung wie auch die Regierten handlungsleitend sein sollte.

Dieser Denkweise folgt Trump – auch wenn nach seiner Vorstellung auf dem Markt weniger eine geregelte Konkurrenz herrscht als das ungeschminkte Recht des Stärkeren. Trump will gewinnen, aber eine höhere Ordnung wie etwa bei dem neoliberalen Vordenker Friedrich Hayek bietet der Markt für ihn nicht. Auch die Aussenpolitik wird bei ihm im Wesentlichen durch ökonomische Überlegungen bestimmt. Trump steht demnach für eine nationalistisch-autoritäre Variante des Neoliberalismus, aber keineswegs für dessen Ende als wirkungsvolle Idee. Er führt den Staat dabei nicht wie ein Industrieunternehmen, das neue und innovative Produkte benötigt, sondern wie ein Immobilienunternehmer, der sich mit Grösse und Macht am Markt durchsetzt.

Marc Buggeln ist Historiker und Professor für regionale Zeitgeschichte und Public History an der Universität Flensburg. Eine erste Version dieses Textes mit dem Titel «Trumponomics: das Ende des Neoliberalismus?» ist im März in der deutschen Monatszeitschrift «Blätter» (blaetter.de) erschienen.