Ausstellung: Sehnsucht nach dem Eisberg

Nr. 42 –

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Foto der Ausstellung «Grönland in Sicht! Perspektiven auf ein koloniales Erbe»
«Grönland in Sicht! Perspektiven auf ein koloniales Erbe» in: Bern Historisches Museum, bis 31. Mai 2026.

Nun gibt es in Bern zwei Grönland-Ausstellungen, nur einen Steinwurf voneinander entfernt: Im Alpinen Museum läuft «Grönland. Alles wird anders» seit gut einem Jahr. Die Ausstellung befasst sich mit Gegenwart und Zukunft Grönlands, und ihr Erfolg verweist auf die grosse Faszination, die von der arktischen Insel ausgeht. «Grönland in Sicht!», kürzlich eröffnet im Historischen Museum, versteht sich als direkte Reaktion darauf – und zeigt, dass diese Faszination nichts Neues ist, gerade in der Schweiz. Im Zentrum steht hier die «Grönland-Sammlung» des Museums; Ausgangspunkt ist die Frage: Wieso haben wir die überhaupt?

1909 und 1912/13 fanden zwei Schweizer Expeditionen nach Grönland statt. Um die Gegenstände, die sie mit in die Schweiz brachten, bemühte sich der damalige Museumsdirektor: Bern sollte eine «vollständige» Grönland-Sammlung zeigen können. Wie unvollständig diese tatsächlich ist, wie wenig sie aussagt über die Lebensrealitäten in Grönland, zeigt die Ausstellung anschaulich. Von keinem der Objekte – einem Kajak mit Ausrüstung, traditioneller Kleidung, Schmuck oder Waffen – hatte man etwa Vorbesitzer:in, Herstellungsdatum, den Kaufpreis in Grönland oder die dortige Bezeichnung dokumentiert, anderswo einfach ein Objekt aus der Arktis dazugekauft, um die erwünschte Vollständigkeit zu behaupten.

«Grönland in Sicht!» zeigt exemplarisch, wie fruchtbar es sein kann, wenn man eine solche Sammlung heute anders befragt: wie viel sie über die Schweiz aussagt, über deren Selbstbild und Projektionen, die Vorstellung des Landes als «vertikale Arktis». Die Lebensweise in Grönland verstand man umgekehrt als frühere Entwicklungsstufe und glaubte, so einen Einblick in die eigene steinzeitliche Vergangenheit zu erhalten – eine klassische Idee im kolonial geprägten Denken.

Die Ausstellung orientiert sich bewusst auch an Erkenntnislücken: «Was erzählt die Sammlung (nicht)?», «Was bedeutet ‹Indigenität› heute?» oder «Was ist die Zukunft ethnografischer Museen?» sind Fragen, die an Begleitveranstaltungen auch mit grönländischen Expert:innen diskutiert werden. Umso erfreulicher, wenn es darauf eine Vielzahl an Antworten gibt.