PFAS : Augen zu – und her mit der Wurst
Krebs, Unfruchtbarkeit, Organschäden: Die Warnungen vor den Folgen sogenannter Ewigkeitschemikalien sind eindeutig. Trotzdem streicht der Bund eine Langzeitstudie, und das Parlament will Grenzwerte künftig auch nach wirtschaftlichen Kriterien bemessen.

Der Entscheid, sie einzustellen, wurde im Stillen gefällt. Bereits im Februar, abseits der Öffentlichkeit. Und das, nachdem die «Schweizer Gesundheitsstudie» mit grossem Aufwand lanciert worden war, mit eigener Website und dem Slogan: «Für mich. Für alle». Nun wohl doch für niemanden.
Konkret war eine nationale Gesundheitsstudie mit rund 100 000 Teilnehmenden und jährlichen Kosten von zehn bis zwölf Millionen Franken geplant. Mithilfe von langfristigem Monitoring sollte sie den Zusammenhang zwischen Umweltfaktoren, Lebensstil und Krankheiten untersuchen. Im Fokus standen Schadstoffe im Körper wie Schwermetalle, Pestizide und Polyfluoralkylsubstanzen – Letztere besser als PFAS bekannt.
Nur ein Bruch
Ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rückten PFAS spätestens im Sommer 2024, als im Kanton St. Gallen Kalb- und Rindfleischproben teils vierzig Mal höhere Werte aufwiesen als erlaubt. Zwar verhängte die kantonale Regierung einen Verkaufsstopp, sie setzte ihn aber nie durch. Belastetes Fleisch gelangte über Metzgereien und Detailhandel in der ganzen Schweiz auf die Teller, wie die «NZZ am Sonntag» im Mai berichtete. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit kritisierte das Vorgehen als «nicht konform mit dem Lebensmittelrecht».
PFAS werden seit den 1950er Jahren in unzähligen Produkten eingesetzt, da sie fett-, schmutz- und wasserabweisend sind. Weil sie sich jedoch kaum abbauen, werden sie auch «Ewigkeitschemikalien» genannt. Mehrere Hundert finden in der Schweizer Industrie Anwendung, untersucht ist aber nur ein Bruchteil. Bei den Substanzen allerdings, die genauer erforscht worden sind, «zeigte sich fast immer eine chronische Giftigkeit», schreibt die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz. Die Stoffe stehen in Zusammenhang mit Leber- und Nierenschäden, Fruchtbarkeitsstörungen, Immunschwächen und Krebserkrankungen. Eine Studie im Auftrag des Nordischen Ministerrats von 2019 bezifferte die jährlichen durch PFAS verursachten Gesundheitskosten in Europa auf 52 bis 84 Milliarden Euro.
Eine Langzeitstudie hätte regionale Unterschiede und die Entwicklung der Belastung sichtbar gemacht, sind sich Fachleute einig. Und beinahe wäre das Projekt still verschwunden, hätte Grünen-Nationalrätin Manuela Weichelt nicht im Juni mit einer Interpellation nachgehakt. Der Bundesrat bestätigte daraufhin die Einstellung mit Verweis auf die «angespannte finanzielle Lage des Bundes».
Tatsächlich ist die Gesundheitsstudie nicht das einzige Opfer der Sparwut beim Bundesamt für Gesundheit. Auch das Monitoring von illegalen Substanzen im Abwasser wurde eingestellt – ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wo die Schweiz laut Expert:innen von einer Kokainwelle überrollt wird, der Crackkonsum steigt und eine Fentanylkrise droht. Der gesamte Bereich der Gesundheitsprävention wird im Zuge der laufenden Sparoffensive des Bundes pulverisiert.
Die Sistierung der Studie ist schwer nachvollziehbar, insbesondere angesichts der besorgniserregenden Ergebnisse der Pilotstudie. Zwischen 2018 und 2021 wurden Blutproben von 789 Personen aus den Kantonen Bern und Waadt untersucht. In sämtlichen Proben fand sich Perfluoroctansulfonsäure (PFOS); nur 32 Prozent lagen unter der Unbedenklichkeitsgrenze, 5 Prozent hingegen gar im akut besorgniserregenden Bereich. Bei Perfluoroctansäure (PFOA), der zweithäufigsten Substanz, war jede sechste Probe bedenklich. Beide Substanzen gelten als krebserregend und sind in der Schweiz zwar verboten, bleiben aber wegen ihrer Langlebigkeit in der Umwelt bestehen.
Dieselben Diskussionen wie früher
Nationalrätin Weichelt spricht von einer «Katastrophe». Die Probleme im Zusammenhang mit PFAS seien längst bekannt, dennoch streiche man das Projekt einfach. So könne jederzeit behauptet werden, es fehlten die wissenschaftlichen Grundlagen für eine Regulierung. «Der Bund nimmt seine Sorgfaltspflicht gegenüber der Bevölkerung nicht wahr.»
Auch Carlo Largiadèr, Leiter der Biobank des Berner Inselspitals und Professor für Pharmakogenetik an der Universität Bern, ist als Mitglied Teil des vierköpfigen Leitungsteams der Pilotstudie enttäuscht. Daten aus dem Ausland liessen sich nicht einfach auf die Schweiz übertragen. «Ohne eigene Messungen bewegen wir uns im Blindflug», sagt er. Ausserdem würden heute viele Stoffe eingesetzt, deren Langzeitfolgen unklar seien. Früher habe man bei anderen Stoffen die gleichen Diskussionen geführt – heute seien sie verboten, wie im Fall von Asbest. «Die Studie wäre daher ein wichtiges Instrument, um verantwortungsvoll Politik zu machen.»
Es sei ausserdem sehr beunruhigend, dass wir alle solche Substanzen im Körper trügen und man noch kaum etwas über die Wirkung einer langfristigen kombinierten Belastung mit verschiedenen PFAS und anderen toxischen Stoffen in der Umwelt wisse, sagt Murielle Bochud, die ebenfalls Teil des Pilotstudien-Leitungsteams und Koleiterin der Epidemiologieabteilung am Unisanté in Lausanne ist. «Diese Substanzen sind extrem langlebig, und für einige liegt der eindeutige Nachweis ihrer Giftigkeit vor. Aus medizinischer Sicht wäre eine Einschränkung ihres Einsatzes geboten.»
Wirtschaft vor Gesundheit
Das Parlament steuert indessen in die entgegengesetzte Richtung. Die Nachricht von der Sistierung der Studie fällt in eine politisch heikle Phase: Während einer ausserordentlichen Session debattierte der Nationalrat diesen Dienstag acht Vorstösse zur PFAS-Problematik. Forderungen von Links-Grün nach einer Beschränkung auf wesentliche Verwendungszwecke, einer Abgabe oder Absenkpfaden lehnte die Mehrheit konsequent ab. Durchgesetzt haben sich hingegen bürgerliche Anträge – etwa für eine Deklarationspflicht, für Abfederungen für die Industrie sowie Unterstützung für betroffene Landwirtschaftsbetriebe.
Der Nationalrat stimmte zudem einem leicht abgeänderten Entwurf der bereits im Juni vom Ständerat angenommenen Motion der ständerätlichen Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (UREK-S) zu. Sie verlangt, dass bei der Festlegung von PFAS-Grenzwerten neben Umwelt- und Gesundheitsrisiken auch die wirtschaftlichen Folgen berücksichtigt werden. Die Regierung soll ausserdem prüfen, ob statt einer Übernahme der EU-Trinkwasserrichtlinie eigene Regeln geschaffen werden können. In der Schweiz gelten derzeit nämlich weniger strenge Grenzwerte, ab 2026 ist jedoch eine Anpassung an die EU-Vorgaben geplant. Der Vorstoss erlaubt PFAS-belasteten Bauernbetrieben ausserdem «die Weiterverarbeitung oder Vermischung ihrer Produkte und somit deren Vermarktung».
Martin Scheringer, Umweltchemiker an der ETH Zürich und international renommierter PFAS-Experte, hält das für einen Fehler. Natürlich sei es gravierend, wenn Landwirtschaftsbetriebe schliessen müssten und Landwirte ihre Lebensgrundlage verlören, sagt Scheringer, aber: «Fleisch zu vermischen, ist keine Lösung. Damit setzt man noch viel mehr Menschen einer langfristigen Exposition aus.» Einige PFAS blieben bis zu zwanzig Jahre im Körper, schon kleinste Mengen dieser Substanzen könnten krebserregend sein. «Das spricht klar gegen solche Praktiken.»
Auch die Strategie des Parlaments, einzelne Stoffe zu regulieren, hält er nicht für praktikabel: Sobald eine PFAS verboten sei, könne die Industrie sie durch eine andere ersetzen. Deren gesundheitliche Risiken seien dabei meist unbekannt. Nur eine Beschränkung der gesamten Stoffgruppe erzwinge die Förderung von Alternativen. «Wir haben es hier mit wirklich gefährlichen Stoffen zu tun», warnt Scheringer. «Vielen ist der Ernst der Lage noch nicht klar.» Das Problem werde Gesellschaft und Politik weit über die Schweiz hinaus noch lange beschäftigen.
Entsprechend ernüchtert ist die Grünen-Nationalrätin Marionna Schlatter über das Ergebnis der ausserordentlichen Session. Auch ihre Motion für eine Abgabe auf PFAS, um künftige Kosten zu decken, fand keine Mehrheit. Der Ruf nach einem koordinierten Vorgehen mit Massnahmen zur Reduktion an der Quelle sei ungehört verhallt. Stattdessen, so Schlatter, habe das Parlament gezeigt, dass es die Passivität des Bundesrats stütze und wirtschaftliche Interessen über den Gesundheitsschutz stelle.
Die Schweiz habe längst Probleme mit Pestiziden, PFAS und Mikroplastik – weitere würden folgen, so Schlatter. Doch anstatt zu forschen oder griffig zu regulieren, bleibe die Tendenz klar: lieber wegschauen. «Doch das war selten eine Lösung.»