Sachbücher zum Klimadesaster: Zum Stand des Scheiterns
Zwei neue Bücher beschäftigen sich mit der klimapolitischen Ratlosigkeit: Der Soziologe Jens Beckert umreisst treffend die systemischen Ursachen, darüber hinaus bleibt er vage. Nach praktischen Perspektiven sucht eine Gruppe von Autor:innen aus der Klimabewegung.
Wer will es noch lesen? Die neuste Horrorstudie aus den Niederlanden etwa, die aufgrund der Erderhitzung den Zusammenbruch des Nordatlantikstroms zwischen 2037 und 2064 voraussagt, mit unabsehbaren Folgen für das europäische Klima. Solche Studien werden in Politik und Öffentlichkeit kaum mehr zur Kenntnis genommen, die Katastrophe, von der sie künden, wird schlicht verdrängt.
In seinem neuen Buch «Verkaufte Zukunft» zeigt der Soziologe Jens Beckert präzise auf, wieso die Staaten und Gesellschaften heute unfähig sind, der Klimakrise entschieden entgegenzutreten. Es sind die «bestehenden Macht- und Anreizstrukturen», die einer Lösung im Weg stehen, schreibt der Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung und meint damit: Die Gesellschaft ist auf Konsum programmiert, und dieser lässt sich nicht so einfach dekarbonisieren, wie es die Idee des grünen Wachstums suggeriert.
Echter Klimaschutz würde spürbar, besonders in der Mitte der Gesellschaft, wo Status darüber hergestellt wird, dass man in die Ferien fliegt, ein dickes Auto fährt, ein Eigenheim besitzt. Genau auf diese Mitte aber fokussiert gemeinhin auch die Politik. Diese hätte also mit entschiedener Gegenwehr zu rechnen, würde sie die Befriedigung solcher Bedürfnisse einschränken – darum lässt sie lieber die Finger davon.
Magisches Denken
Eines der Ablenkungsmanöver der politischen Verantwortungsträger:innen ist der «Technologismus»: Mit dem technischen Fortschritt soll die Dekarbonisierung ohne schmerzhafte Eingriffe in den Konsum gelingen. Für Beckert «eine Form des magischen Denkens». Als Beispiel dafür nennt er die mit grünem Wasserstoff verbundenen Versprechen, die vollkommen unrealistisch sind. Erschwerend hinzu kommt die globale Ebene: «Die Klimakrise ist untrennbar mit den geopolitischen Strukturen verbunden», schreibt Beckert. Eigentlich müssten sich die Investitionen in erneuerbare Energien im Globalen Süden versiebenfachen. Doch viele der Länder sind stark verschuldet, es fehlt an Kapital. Obwohl der Norden einen viel grösseren Treibhausgasausstoss aufweist, verweigert er Investitionen: «Das vom Norden beherrschte Finanzsystem arbeitet aktiv gegen den Klimaschutz.»
Beckerts Analyse ist treffend. Sie zeigt auf, wie fatal es ist, sich darauf zu verlassen, dass es die Wirtschaft und die etablierte Politik dann schon irgendwie richten werden. «Verkaufte Zukunft» ist breit rezipiert worden, viele grosse Zeitungen haben den Autor interviewt. Allerdings weist das Buch über die Analyse hinaus auch eine grosse Lücke auf: Beckert bleibt sehr vage in der Frage, wie wir aus der von ihm festgestellten strukturellen Gefangenschaft herauskommen.
So schreibt er etwa von politischen Ansätzen, die Erderhitzung zu «verzögern», um in der Zwischenzeit «Perspektiven zu entwickeln». Doch fehlt dazu nicht eben die Zeit, wenn man an die klimatischen Kipppunkte denkt? Gerade weil Beckert die festgefahrenen Strukturen so treffend benennt, müsste er doch eigentlich fragen: Wer sonst soll es richten? Indem er das nicht tut, bleibt seine Schrift einem eigentümlichen Fatalismus verhaftet. Und verleitet zur egoistischen Hoffnung, dass es hier im reichen Norden, zumindest in den nächsten Jahrzehnten, vielleicht doch nicht so schlimm werden wird.
Bewegung in der Krise
Als Erweiterung kann deshalb das bislang kaum beachtete Buch «Kipppunkte. Strategien im Ökosystem der Klimabewegung» gelesen werden. Herausgegeben wurde es vom österreichischen Klimaaktivisten Manuel Grebenjak in Zusammenarbeit mit rund siebzig weiteren Aktivist:innen. Das Buch setzt auf die Kraft der sozialen Bewegungen, die historisch meist am Anfang von grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen standen. Dabei suchen solche Bewegungen immer auch nach sozialen Kipppunkten, an denen die festgefahrenen Strukturen ins Wanken geraten.
Das Buch ist eine Art Bestandsaufnahme der Klimabewegung. Es beginnt mit der ernüchternden Feststellung, dass die Bewegung in einer Krise steckt. Immerhin: Die unterschiedlichen Gruppen, deren Praxis hier dargestellt wird, zeugen von der Vielfalt, die sich in der Bewegung entwickelt hat.
Erfolge hat diese vor allem in der Verhinderung einzelner Projekte der fossilen Wirtschaft erzielt. So etwa das österreichische Bündnis «Lobau bleibt», das mit Baustellenbesetzungen dazu beigetragen hat, den Bau eines Autobahnabschnitts bei Wien vorerst zu verhindern (siehe WOZ Nr. 9/22). Andere arbeiten an einem generellen Wandel und schmieden Bündnisse, etwa mit Gewerkschaften. Wie weit diese allerdings auf Wunschdenken basieren, bleibt offen.
Ein Dilemma, mit dem die Klimabewegung heute immer wieder konfrontiert ist, benennt der frühere WOZ-Journalist und Mitbegründer der Gletscherinitiative Marcel Hänggi in einem der Beiträge: Um Mehrheiten zu schaffen, muss man über eine existenzielle Krise, die den Rahmen des Normalen per Definition sprengt, in einer Sprache sprechen, die gewisse Normalitäten nicht infrage stellt. Genau das ist den Initiant:innen gelungen, als die Schweiz über einen indirekten Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative ein Klimaschutzgesetz beschlossen hat. Während in den Abstimmungsdebatten dann aber zentrale Themen wie Klimagerechtigkeit oder Suffizienz aussen vor blieben.
Auf Winter folgt Frühling
Wie also den Diskurs über die Krise verschieben? Das versuchen Gruppierungen wie die Letzte Generation in Deutschland oder Renovate Switzerland, das sich inzwischen Act Now nennt. Ihre öffentlichkeitswirksamen Aktionen wie Strassenblockaden sollen zur Sensibilisierung und zur Mobilisierung zusätzlicher Aktivist:innen beitragen. Laut der US-Politologin Erica Chenoweth sollen 3,5 Prozent der Bevölkerung ausreichen, um einen grundlegenden politischen Wandel herbeizuführen. Auf dieses Szenario eines gezielt provozierten Meinungsumschwungs, aufgehängt an «Trigger-Ereignissen» wie etwa einem grossen Ernteausfall, stützt sich der effektvolle Aktivismus jener Gruppen letztlich ab.
Doch mit der Verhinderung von Projekten und dem Aufzeigen der Dringlichkeit ist es nicht getan, wie ein Kollektiv aus Wissenschaftlerinnen und Aktivisten im Sammelband richtig schreibt. Was es brauche, sei eine «gegenhegemoniale Vorstellung von einer solidarischen Gesellschaft», die «auch in der Praxis erfahrbar und erlebbar» werde. Allerdings bleibt auch diese positive Vorstellung eines Wandels vage, vielleicht hat auch sie etwas von magischem Denken. Genauso wie gewisse Sprachbilder von Grebenjak, der die Klimabewegung im Winter verortet, auf den demnach bald der Frühling folgen müsste.
Bei alledem bleibt klar: Soziale Bewegungen sind der Schlüssel zum Wandel. Sie leben von der Zahl ihrer Mitglieder und deren Bereitschaft, Zeit zu investieren. Um zu gedeihen, brauchen sie offene Strukturen und eine positive Vision, wie die Welt mit deutlich weniger Konsum und Energieverbrauch aussehen und sogar lebenswerter sein könnte. Dafür liefert «Kipppunkte» wertvolle Ansätze.

