Zum Tod von Irène Schweizer: Eigenwillig im besten Sinn

Der Jazz lebt von Referenzen – nicht nur stilistisch, sondern auch bezogen auf Personen. Vor allem und noch immer: Männer. Jazz ist vielleicht eine der letzten Bastionen, in der ein Geniekult noch weitgehend unhinterfragt gepflegt wird. Ausser man schert sich nicht darum. Wie Irène Schweizer, die erst unbekümmert, dann zunehmend aufmüpfig und subversiv – und bis zuletzt: fadegrad – ihren eigenen Platz reklamierte. Die Pianistin nahm es als Kompliment, wenn man sie als eigenwillige Frau bezeichnete.

Irène Schweizer brauchte keine Referenzen, weil sie allen zuhörte. Radikale Improvisation sei keine Frage von Technik, sondern Intuition, ein Spielen nach Gehör, sagte sie im grossen WOZ-Interview zum Anlass ihres 75. Geburtstags im Juni 2016. Mitunter habe sie beim Zuhören einen «existenziellen Schock» erlitten (etwa, als sie Thelonious Monk Klavier spielen hörte), mehrmals liess sie nach einem ähnlich intensiven emotionalen Erlebnis für Wochen die Finger von den Tasten. Man kann nur ahnen, wie viel Mut es brauchte, sich in einem Umfeld zu behaupten, in der Schweizer als junge Frau und Lesbe lange «die Ausnahme war, die die Regel bestätigte». Was musste sie sich Ende der siebziger Jahre alles anhören, als sie es wagte, mit der Frauenband Feminist Improvising Group an Jazzfestivals aufzutreten und dabei die performative Subvertierung von klischierten Frauenbildern über die Qualität des musikalischen Auftritts zu stellen.

Andere hörten ihr umso begeisterter zu: «Die Frauenbewegung drückte uns an die Brust» – Irène Schweizer erschloss dem Jazz auch ein neues Publikum. Und sie setzte sich seither konsequent dafür ein, Frauen mehr Platz auf und hinter der Bühne zu verschaffen. Von ihrem feministischen Pioniergeist zehrten nicht zuletzt die beiden Jazzfestivals «Taktlos» und «unerhört!», die sie mitbegründete.

Beschämend spät erst, 2018, hat Irène Schweizer mit dem Schweizer Musikpreis auch offiziell Anerkennung gefunden als ebenso eingeständige wie virtuose Pianistin, die in ihrer über fünfzigjährigen Karriere das ganze Universum des modernen Jazz vermessen hat. Dabei war ihr internationales Renommee längst unbestritten. 2005 spielte sie auf Einladung des KKL in Luzern – noch vor Keith Jarrett, wie sie im WOZ-Interview anmerkte.

Am 16. Juli ist Irène Schweizer nicht lange nach ihrem 83. Geburtstag in Zürich gestorben.