Plattformregulierung: Alarmierende Aufschiebung

Nr. 17 –

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Wer findet Gehör im Netz, wer erhält Reichweite? Wer ist verantwortlich für das, was an Inhalten geteilt, an Hassnachrichten verschleudert und an Falschinformation verbreitet wird? Welche Rechte haben Nutzer:innen gegenüber Google, Meta, X und Konsorten? Es sind so zentrale wie akute Fragen, denen sich die Demokratien der Gegenwart stellen müssen. Denn das Erstarken des Autoritarismus hängt eng zusammen mit den Machtdynamiken, die auf den grössten Onlineplattformen mit ihren Milliarden Nutzer:innen spielen.

Und der Bundesrat weiss, wie dringlich deren Regulierung wäre. Allerspätestens seit November 2021, als das Bundesamt für Kommunikation einen über hundertseitigen Bericht dazu vorlegte: «Es ist breit anerkannt, dass es für Demokratien problematisch ist, wenn die neue Kommunikationsinfrastruktur weniger Intermediäre einer gesellschaftlichen Kontrolle entzogen bleibt», hiess es darin. Etwas deutlicher gesagt: Auch für die Schweiz ist es ungemein gefährlich, wenn eine Handvoll Techmogule die meistgenutzten Kommunikationskanäle der Welt nach Gutdünken und Profitinteressen verwalten.

Umso unverständlicher, dass der Bundesrat seither Jahr um Jahr ins Land ziehen liess, ohne das Problem anzupacken. In der Zeit, in der die EU eine Gesetzesvorlage mit Transparenzvorschriften sowie Meldeverfahren ausgearbeitet, beschlossen und in Kraft gesetzt hat, geschah hierzulande: nichts. Wiederholt hat die Regierung eine Vorlage versprochen, dann aber hinausgeschoben. So auch letzte Woche wieder – laut Quellen der SDA, um vor den aktuell laufenden Zollverhandlungen gegenüber US-Präsident Donald Trump nicht die Ausgangslage zu verschlechtern. Dementiert hat dies die Bundesratssprecherin nicht.

Wenn die Schweiz ihre Tatenlosigkeit als Pfand einsetzt, um sich mit der Trump-Regierung gutzustellen, dann zeugt das nicht nur von einer fragwürdigen Priorisierung handelspolitischer Interessen, auch im Verhältnis zu Europa. Das Verhalten ist noch weit alarmierender, denn die Frage der Plattformregulierung rührt ganz unmittelbar an ein Kernelement des Machtsystems Trump. Er will Zugriff auf die Aufmerksamkeitszyklen der globalen Öffentlichkeit. So hat der US-Präsident neben Universitäten, Anwaltskanzleien, internationalen Wirtschaftspartnern und seiner eigenen Partei auch einige der grössten Techfirmen in ein fatales Abhängigkeitsverhältnis gerückt.

Bei seiner Amtseinführung präsentierte Trump deshalb neben X-Besitzer Elon Musk, der sich mit Hunderten Millionen Dollar an Wahlkampfhilfen ein Amt im Regierungsapparat erkauft hatte, gleich noch weitere Techmilliardäre in der ersten Reihe, etwa die CEOs von Apple und Google. Und natürlich Mark Zuckerberg, der kurz zuvor in einem bemerkenswerten Akt der Unterwerfung die Moderations- und Fact-Checking-Instanzen auf seinen Meta-Plattformen Facebook und Instagram gekappt hatte.

Mit seiner vorauseilenden Untätigkeit legitimiert der Bundesrat diese Verklüngelung. Und damit die Machtlogik einer US-Regierung, die in horrendem Tempo unter anderem an der Aushöhlung des Rechtsstaats und der gezielten Entmenschlichung ganzer Bevölkerungsgruppen arbeitet.

Besonders beklemmend ist dabei die Tatsache, dass es derzeit erst um ein Vernehmlassungsverfahren ginge: um jenen Teil des Gesetzgebungsprozesses also, in dem sich die Öffentlichkeit zu einem Geschäft äussern und positionieren kann. Es sagt sehr viel über die Landesregierung aus, wenn sie ausgerechnet diese Auseinandersetzung scheut, um einen US-Präsidenten mit absolutistischem Anspruch bloss nicht zu verärgern.

Hoffen lassen demgegenüber die zahlreichen Reaktionen aus Politik und Zivilgesellschaft. Das Bewusstsein um die Brisanz der Regulierungsfrage scheint breit verankert, teils bis weit ins bürgerliche Lager hinein. Schon am Montag, 28. April, könnte die zuständige Nationalratskommission den Bundesrat per Motion zur Eile auffordern. Das wäre zwar erst ein Anfang – aber ein wichtiges Signal an den Bundesrat, dass er mit seinem Trump-Appeasement nicht so einfach durchkommt.