Steuerpolitik: Beamte, Banker und Bananen
Wie läuft es ab, wenn ein vermeintlicher Millionenerbe in die Schweiz ziehen will, um von der Pauschalbesteuerung zu profitieren? Eine Undercover-Recherche der WOZ zeigt, wie Reiche von Banken und Kanzleien umworben werden und die Behörden ihnen die besten Tricks zur Steueroptimierung gleich selbst verraten.
«Gibst du mir bitte eine Banane?», fragt Elia Weiss. Sein Assistent zu seiner Linken greift nach einer Designertasche aus Leder und beginnt, darin zu kramen. Derweil schwärmt auf der anderen Seite des dunklen Massivholztischs der Steuerexperte einer Zürcher Privatbank von der «alten guten Zeit», als er als junger Banker in die Branche einstieg und es noch «sehr viele undeklarierte Vermögenswerte» gab.
Weiss wirkt gelangweilt. Trotz des malerischen Blicks aus dem Sitzungszimmer auf die Dächer des Bankenviertels ist seine Nase leicht gerümpft, als liege ein unangenehmer Geruch im Raum. Vor sich auf dem Tisch hat er das Buch «Steuer-Paradiese» des Tessiner Anwalts Lucio Velo, auf dem Cover Palmen, Jachten und eine junge Frau mit Blumenkranz. Der Assistent hält Weiss eine kleine Holzschatulle hin. Darin liegt, ordentlich auf einer Stoffserviette angerichtet, eine Banane. «Kannst du sie bitte aufmachen?» Der Assistent nickt und schält sie mit ernster Miene.
Der Berater lässt sich von der bizarren Szene nicht im Geringsten irritieren und schwärmt bald von «aggressiver Steueroptimierung» und dem kleinen Obwalden als idealem Wohnkanton für Weiss. Denn der skibegeisterte Mann Anfang zwanzig hat gerade 500 Millionen Euro geerbt und überlegt sich nun, von Deutschland in die Schweiz zu ziehen. In Obwalden seien die Behörden am «kundenfreundlichsten», so der Banker. Man würde Weiss dort «den besten Steuerdeal machen».
Verdeckte Recherche: Ist das erlaubt?
Laut dem Presserat sind verdeckte Recherchen zulässig, «wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse an den recherchierten Informationen besteht und diese auf anderem Weg nicht zu beschaffen sind». Im Hinblick auf die Erbschaftssteuer-Initiative, über die am 30. November abgestimmt wird, hatte die WOZ versucht, Einblick zu erhalten, von welchen Vorteilen Pauschalbesteuerte und Überreiche in der Schweiz profitieren.
Doch offizielle Anfragen bei Steuerämtern, Vermögensberater:innen und Anwaltskanzleien brachten keinen Erfolg. Nachdem alle Türen verschlossen blieben, fiel der Entscheid, verdeckt vorzugehen und die Treffen aufzuzeichnen. Zur Wahrung des Persönlichkeitsschutzes werden keine Namen der Beteiligten genannt.
Stefan Hoffmann, Weiss’ Vermögensberater, der ebenfalls im Raum sitzt, will konkrete Zahlen. Beim angegebenen Vermögen von 560 Millionen Franken, rechnet der Banker vor, liesse sich mit Pauschalbesteuerung und «konservativer» Schätzung der Lebenshaltungskosten die Steuerlast auf 150 000 Franken drücken – also 0,026 Prozent.
Wohnen müsse Weiss selbstverständlich nicht in Obwalden, so der Berater, Verbier gehe auch. Nur zu viel Aufmerksamkeit sei zu vermeiden. Es wäre ungünstig, wenn die dortigen Behörden bemerkten, dass Weiss zu häufig im Val de Bagnes weile und sein Hauptsteuerdomizil wohl eigentlich im Kanton Wallis liegen müsste. Und etwas Wichtiges sei noch zu erwähnen: «Sie dürfen in der Schweiz nicht arbeiten.» Doch Weiss winkt lächelnd ab. So etwas Plebejisches wie Lohnarbeit komme ihm ohnehin nicht in den Sinn. Zufriedenheit allenthalben.
Die Schnauze voll von Deutschland
«Es gibt ein Steuersystem für die 99 Prozent – und ein anderes für das eine Prozent», sagt Elia Weiss einige Tage später bei einem Interview mit der WOZ. «Diese Systeme existieren nebeneinander, und die meisten nehmen das hin, als wäre es normal. Aber es ist nicht normal. Wir sollten etwas daran ändern. Und dazu muss man Licht ins Dunkel bringen und zeigen, wie dieses System für die Reichsten funktioniert.»
Der Name Elia Weiss ist ein Alias. In Wirklichkeit heisst der junge Mann anders. Zwar stammt er aus einer mittelständischen deutschen Unternehmer:innenfamilie, der von ihm geerbte Betrag ist allerdings deutlich geringer. Und statt mit seinem Vermögen in die Schweiz zu ziehen, engagiert er sich in Deutschland bei Taxmenow, einer Initiative vermögender Menschen, die höhere Steuern für Reiche fordert. Die Rolle des selbstgefälligen Schnösels mit der Vorliebe für Steueroptimierung und Bananen ist nur gespielt. Allerdings äusserst überzeugend. Denn auch wenn Weiss wenig übrig hat für die Parallelwelt der Reichen, ist ihm diese sehr vertraut. Er weiss, wie Gespräche wie jene bei der Privatbank klingen, mit welcher Hingabe Reiche umworben werden – und er kennt zahlreiche Vermögende, die tatsächlich alles daransetzen, um ihren Beitrag an die Gesellschaft zu vermeiden.
Für eine verdeckte Recherche ist er nun in die Maske des arroganten Milliardärserben geschlüpft und eine Woche lang gemeinsam mit der WOZ und mit Unterstützung der Rechercheplattform Correctiv.Schweiz durch das Land getourt: von Gstaad über Uri bis nach Zürich und Bern. Nach achtzehn Anfragen bei Banken, Kanzleien, Vermögensberatern und Steuerämtern kam es zu sieben Treffen. Immer dabei: Vermögensberater Stefan Hoffmann, der ebenfalls anders heisst – und gelegentlich ein WOZ-Journalist, der sich als Weiss’ Assistent ausgibt und ihm während der Meetings unterwürfig eine Banane reicht.
In seiner Rolle als Erbe einer norddeutschen Industriedynastie klagt Weiss über Neidkultur und die «feindselige Stimmung» gegen Reiche. Kurz: Deutschland geht den Bach runter. In der Schweiz hingegen, so hat er gehört, ist die Welt noch in Ordnung. Hier gönnt man den Wohlhabenden ihren Reichtum. Und es gibt dieses elegante Schlupfloch namens Pauschalbesteuerung. Es erlaubt vermögenden Zuzüger:innen, den wahren Umfang ihres Reichtums diskret im Dunkeln zu halten (siehe WOZ Nr. 44/25). Gemeinsam mit Vermögensberater Stefan Hoffmann, vermeintlich einem alten Freund der Familie, bereist Weiss nun die Schweiz auf der Suche nach dem perfekten Ort, um sesshaft zu werden. Und wie sich zeigt, ist man hierzulande auf allen Ebenen bemüht, Neuankömmlinge seiner Gattung mit offenen Armen zu empfangen.
Im Dienst des Vermögens
Seit Jahrzehnten beherbergt die Schweiz eine Dienstleistungsindustrie, die sich auf den Schutz grosser Vermögen spezialisiert hat: Banken, Kanzleien, Treuhänder und Vermögensverwalterinnen helfen den Reichsten, ihre Steuerlast zu minimieren. Begünstigt durch das Bankgeheimnis und wohlwollende Gesetze, hat sich ein dichtes Netz von Expert:innen und Strukturen entwickelt, das Schlupflöcher systematisch ausnutzt und teils auch im halblegalen oder illegalen Bereich operiert. Kritiker:innen sprechen längst von einem «Vermögensverteidigungskomplex», der dem Staat Milliarden entzieht.
Wie gross diese Branche ist, lässt sich kaum beziffern. Seit Jahrzehnten fehlen amtliche Statistiken oder Hochrechnungen – nicht zuletzt, weil das Parlament es 2015 und 2019 ablehnte, beim Bundesrat einen jeweils von der SP geforderten Bericht über das Ausmass der Steuerhinterziehung in der Schweiz in Auftrag zu geben. Doch Schätzungen deuten auf gewaltige Summen hin: Laut Berechnungen der SP nach der Methodik des britischen Ökonomen Richard Murphy entgehen dem Schweizer Fiskus jährlich zwischen zwölf und neunzehn Milliarden Franken durch Steuerhinterziehung und bis zu sieben Milliarden durch aggressive, aber legale Steuervermeidung. Selbst konservative Schätzungen gehen von mindestens fünf Milliarden Franken aus – Geld, das für Bildung, Infrastruktur oder Klimaschutz fehlt.
Ein nicht unerheblicher Teil dieser Ausfälle geht auf reiche Privatpersonen zurück, die in der Schweiz von der Pauschalbesteuerung profitieren. Rund 3900 ausländische Milliardär:innen und Millionär:innen lassen sich hierzulande pauschal besteuern – nicht nach tatsächlichem Einkommen oder Vermögen, sondern nach geschätztem Lebensaufwand. Für Überreiche bedeutet das, dass sie nur einen Bruchteil ihrer Mittel versteuern müssen. Der Staat verzichtet damit bewusst auf Hunderte Millionen Franken an Einnahmen im Namen der «Standortattraktivität». Für einzelne Kantone oder Gemeinden mag das ein Geschäft sein, für die Gesellschaft insgesamt aber ist es ein teures Zugeständnis.
Wo man seine Rolex noch unbesorgt tragen kann
Kaum ein Ort in der Schweiz bemüht sich so eifrig um die «exklusive» Klientel der Überreichen wie Gstaad. Unser Milliardärserbe mag fiktiv sein, doch das Dorf in den Berner Alpen zieht Menschen wie ihn magisch an. Laut der «Berner Zeitung» konzentriert sich nirgends im Land so viel Vermögen auf so engem Raum: Mindestens fünfzig Milliardärsfamilien besitzen Chalets und Anwesen oder leben in der Umgebung.
Selbst an einem grauen Septembermorgen verrät die ausgestorbene Promenade, welche Kundschaft sie erwartet. Boutiquen von Louis Vuitton, Hermès und Prada reihen sich aneinander, Geranien hängen ordentlich drapiert über die penibel gepflegten Holzfassaden. Zwei Touristinnen knipsen Fotos vor dem noch geschlossenen Valentino-Store. Im Schaufenster ist eine bestickte Handtasche ausgestellt. Preis: 9350 Franken.
Im irisblauen Porsche 911 fahren Elia Weiss und Stefan Hoffman von einem Treffen zum nächsten, insgesamt sind es drei. Mit weit offenem weissem Hemd, den schwarzen Blazer lässig über die Schultern geworfen und das lange, lockige Haar auf der Stirn, gibt Weiss mühelos den Milliardärserben. Und falls die Filmstarsonnenbrille als zusätzlicher Beweis nicht reicht, blitzt am Handgelenk noch eine Rolex im Wert von 130 000 Franken.
Uhr und Porsche hat Hoffmann organisiert. Früher Privatbanker, stieg er nach einer steilen Karriere aus dem «seelenlosen» Job aus und berät seither Vermögende, die ihr Geld ethisch sinnvoll anlegen wollen. Er ist bei dieser Recherche Türöffner, Schauspieler und Rolex-Lieferant in Personalunion. Zu den Treffen trägt er stets mit Edelsteinen besetzte Dollarzeichen als Manschettenknöpfe und eine rosa Krawatte, auf der der ehemalige US-Notenbankchef Ben Bernanke Geldscheine aus einem Helikopter wirft. Sein Motto: «Ein bisschen Schabernack muss sein.» Die Banane war seine Idee.
Durch die Gespräche mit den Vermögensberatern in Gstaad zieht sich ein spürbarer Eifer, Menschen wie Weiss zu umwerben und ihnen jeden Wunsch zu erfüllen. Neben Ratschlägen für moralisch fragwürdige, aber letztlich legale Steuertricks werden gern die zahlreichen Vorzüge Gstaads und der Schweiz hervorgehoben: Hier könne man seine Rolex noch unbesorgt tragen, heisst es, nicht wie in Berlin oder Paris, wo sie einem gleich vom Handgelenk verschwinde. Man sei hier gut aufgehoben, mit Privatflughafen vor der Haustür, fast ausschliesslich Millionär:innen als Nachbar:innen und obendrein äusserst umgänglichen Steuerbehörden, die ein offenes Ohr für die besonderen Anliegen der Überreichen hätten. «Schliesslich wollen die Behörden, dass Menschen wie Sie herkommen und hier Steuern zahlen, und halten diese daher entsprechend tief», drückt es einer der Berater aus.
Dass ein Vermögensberater einem schwerreichen potenziellen Kunden das Blaue vom Himmel verspricht, überrascht kaum. Doch machen tatsächlich auch die Steuerbehörden mit bei diesem Spiel – jene Ämter also, die eigentlich dafür sorgen sollten, dass alle Bürger:innen ihre Steuern korrekt entrichten?
Eine Dienstleistungsbehörde
«Hier ist es wild, Leute», schreibt Weiss in den Gruppenchat. 45 Minuten zuvor hatten die beiden Lockvögel das Steueramt des Kantons Uri in Altdorf betreten. Die Journalisten warten eine Strasse weiter im Café.
Das Steueramt wirbt in seinem «Faktenblatt Pauschalbesteuerung natürliche Personen» gezielt mit den «Steuervorteilen» für Pauschalbesteuerte sowie der Absenz einer Erbschaftssteuer für direkte Nachkommen, hatte auf Anfrage der WOZ aber explizit ein Hintergrundgespräch zum Thema verweigert.
Ein Steuerbeamter empfängt die beiden mit breitem Lächeln und einem Lobgesang auf den Urner Skiort Andermatt: auf den Aufschwung dank des ägyptischen Investors Samih Sawiris, auf edle Restaurants. Dann wird es konkret. Beim angegebenen Vermögen von 500 Millionen sei die Pauschalbesteuerung «die beste Lösung» – sie biete, wie der Beamte sagt, «Sicherheit und Spielraum für beide Seiten». Dafür müsse Weiss nur einen Fragebogen zu seinen Ausgaben ausfüllen: Unterhalt, Reisen, Hobbys.
«Da kann man aber eintragen, was man will, oder?», fragt Hoffmann beiläufig. Der Beamte lächelt: «Gewisse Beträge müssen schon realistisch sein. Und Sachen, die wir ganz einfach nachweisen können, müssen gut dokumentiert sein, da müssen wir fein raus sein. Aber wenn Sie sagen, Ihre Hobbys kosten 10 000 Franken im Monat – wer soll das prüfen?» Dieses «Problem», erklärt er, sei letztlich ein Vorteil für beide Seiten. So erlaube es die Pauschalbesteuerung, «gute Steuerpflichtige anzuziehen».
Hoffmann will es genauer wissen: «Wenn man also 120 000 bis 200 000 Franken Steuern pro Jahr anpeilt, könnten Sie uns sagen, welche Lebenshaltungskosten wir da angeben müssten?» Der Beamte nickt. «Bei solchen Rechenbeispielen kann ich Ihnen sicher helfen. Wir sind hier, ich sage mal, eine Dienstleistungsbehörde, auch wenn wir das eigentlich nicht sein dürften.» Dann lächelt er zufrieden: «Wir sind froh um jeden guten Steuerbürger. Und die Leute schätzen, dass sie uns einfach kurz anrufen können.»
Es folgt ein Exkurs über die Vorzüge des inländischen Bankgeheimnisses. Während die Behörden über Auslandskonten ihrer Bürger:innen informiert würden, blieben Vermögen im Inland weitgehend im Dunkeln. Wenn man beispielsweise bei der UBS oder Julius Bär etwas deponiert habe, dann flössen diesbezüglich keine Informationen zum Amt. «Konten im Ausland erfahren wir», sagt der Beamte, «Konten in der Schweiz erfahren wir nicht. Das ist der grosse Witz an der Sache.»
«Das Blöde ist», erklärt Hoffmann daraufhin, «das Geld liegt ziemlich gleichmässig auf drei Banken verteilt. Wenn wir jetzt umschichten und eine davon vergessen anzugeben – und der Betrag auf einem der Konten geht plötzlich von 120 auf 10 Millionen runter –, sehen Sie das dann?» – «Wir sehen nur den Stichtag», erklärt der Beamte. Was am 31. Dezember deklariert sei, gelte. Alles, was davor oder danach passiere, bleibe unsichtbar.
«Wenn mein Mandant also vergisst, eine Bank anzugeben, schützt ihn das Bankgeheimnis?», hakt Hoffmann nach. «Ja», entgegnet der Beamte. Doch es sei zu bedenken: Wenn ein vergessenes Konto später deklariert werde, gelte das als Steuerhinterziehung.
«Wie weit zurück können Sie das prüfen?» – «Zehn Jahre.» Danach falle es im sogenannten Review-Jahr weg.
Von der WOZ mit den Aussagen seines Mitarbeiters konfrontiert, erklärt der Urner Steueramtsvorsteher Pius Imholz, es habe sich um ein informelles Erstgespräch gehandelt. Die Pauschalbesteuerung erfolge nach klaren gesetzlichen Grundlagen; der Lebensaufwand werde nach objektiven Kriterien geprüft und plausibilisiert. «Wer absichtlich unvollständige oder unwahre Angaben macht, wird dafür bestraft.» Mitarbeitende dürften den Mechanismus der Pauschalbesteuerung zwar anhand von Rechenbeispielen erläutern, seien aber «ausdrücklich nicht befugt, auf eine tiefere Steuerbemessung hinzuwirken». Das Steueramt lege grossen Wert auf korrekte und gesetzeskonforme Veranlagungen. «Unzulässige Praktiken werden nicht toleriert oder gar empfohlen.»
Auf dem Altdorfer Rathausplatz steht Wilhelm Tell auf seinem Sockel, den grimmigen Blick auf das Steueramt gegenüber gerichtet.
Das Märchen vom verdienten Reichtum
Die offensichtliche Bevorteilung sehr vermögender Menschen durch ein kantonales Steueramt ist ein Symptom und zugleich einer der Treiber einer tieferen systemischen Schieflage: der immer weiter wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich. Mitte der achtziger Jahre besass das reichste Prozent der Bevölkerung in der Schweiz 33 Prozent des gesamten Vermögens, heute sind es schon rund 44 Prozent – Tendenz steigend.
Ein wichtiger Beschleuniger der Ungleichheit sind Erbschaften. Jährlich werden hierzulande gemäss Schätzungen etwa hundert Milliarden Franken vererbt oder verschenkt – doppelt so viel, wie die AHV jedes Jahr ausgibt. Somit hat sich das Volumen dieser Vermögensübertragungen in den letzten dreissig Jahren beinahe verfünffacht. Gleichzeitig ist die Steuerlast auf Erbschaften markant gesunken (siehe WOZ Nr. 44/25).
So betrachtet, steckt im bürgerlichen Schreckgespenst der «Umverteilung» durchaus viel Wahres – nur verläuft sie seit Jahrzehnten in die entgegengesetzte Richtung. Statt von oben nach unten fliesst das Vermögen stetig nach oben, wobei die Reichsten immer reicher werden, während eine wachsende Zahl von Menschen sich kaum noch über Wasser halten kann. Ausserdem belegen zahlreiche Studien und Modelle: Hohe Einkommens- und Vermögensungleichheit bremsen langfristig das Wirtschaftswachstum, weil sie zu Unterinvestitionen in Bildung führen und gleichzeitig die gesamtwirtschaftliche Nachfrage schwächen.
Während vorteilhafte Steuergesetze den wohl wichtigsten Treiber dieser Entwicklung bilden, wirkt im Hintergrund der Vermögensverteidigungskomplex, um Gesetzeslücken bis zum Anschlag auszureizen. Die verdeckte Recherche der WOZ mit Correctiv.Schweiz zeigt ein deutliches Bild: Wer als schwerreicher Ausländer in die Schweiz kommt, dem wird der rote Teppich ausgerollt. Banken, Anwältinnen, Berater – und selbst Steuerämter – ziehen erstaunlich einmütig am selben Strang, um den Reichen möglichst tiefe Steuern zu gewähren. Ein Zürcher Anwalt brachte es wie folgt auf den Punkt: «Eigentlich kann man fast überall einfach anrufen. Und wenn man miteinander spricht, merkt man schnell, dass die Auslegung deutlich freundlicher ist, als der Gesetzestext vermuten lässt. Der Teamgeist ist schon faszinierend.»
Mit Ausnahme des Steueramts Uri und der zu Beginn erwähnten Privatbank verzichteten die angefragten Dienstleister:innen auf eine Stellungnahme. Die Bank antwortete knapp, sie führe ihre Geschäfte im Einklang mit den geltenden Gesetzen.
Zurück im Interviewzimmer, seine Tour de Suisse hinter sich, erzählt Elia Weiss, es gebe dieses Märchen, Reichtum sei verdient. In Wahrheit arbeiteten aber fast alle hart und leisteten ihren Beitrag, doch die meisten bekämen viel weniger zurück. «Die Vorstellung, dass Reiche ihre Privilegien verdient hätten, ist einfach absurd. Man muss sich nur anschauen, wie viel das oberste Prozent erbt, um zu sehen, wie ungleich diese Gesellschaft ist.»
Der erste Schritt, sagt er, müsse darin bestehen, die Macht des Vermögens zu brechen. «Heute bestimmen jene, die Vermögen besitzen, letztlich auch über den Kurs unserer Gesellschaft: indem sie Politiker:innen finanzieren, ihr Geld investieren, Lobbyorganisationen unterstützen. Vermögen formt so nicht nur das eigene Leben, sondern die soziale Wirklichkeit. Dieses Ungleichgewicht muss fallen, damit künftig alle gemeinsam über die Zukunft entscheiden können.»