Wieso fordern die Grünen kein Fleischverbot?
Balthasar Glättli wollte seine Grüne Partei in den Bundesrat bringen. Doch statt ins Establishment führt er seine Partei in die Sinnkrise.

Die grüne Gleichung geht nicht mehr auf: Wenn sich die Leute ums Klima sorgen, dann wählen sie die Grüne Partei. 2019 hat die Partei um sechs auf über dreizehn Prozentpunkte zugelegt, nun erleidet sie einen Absturz auf unter zehn Prozent. Von ihren 28 Sitzen verliert sie 5 Sitze. Und das, obwohl die Klimaerhitzung im Sorgenbarometer der Bewohner:innen der Schweiz weit oben steht. Woher kommt diese Diskrepanz? Ist es so, wie Fraktionschefin Aline Trede vermutet, als sie im SRF nach Erklärungen für die Wahlniederlage suchte: dass die anderen Parteien die Klimakrise mittlerweile auch für sich entdeckt haben? Oder ist es doch so, dass man seine Klimasorgen bei den Grünen mittlerweile nicht mehr besonderes gut aufgehoben sieht?
Weit weg vom radikalen Kern
Dass die Grünen selbst im Kernthema schwanken, muss jedenfalls irritieren. Die Entstehung der Partei geht auf einen durch Aktivist:innen blockierten Autobahnbau Anfang der 1970er Jahre im Kanton Neuenburg zurück. Und fünfzig Jahre später gilt der Widerstand gegen neue Autobahnen nicht mehr als Parteiräson. So enthielten sich die auf den Bundesrat aspirierenden Ständerät:innen Maya Graf und Mathias Zopfi, als das Parlament vor ein paar Wochen darüber befand, ob fünf Milliarden in den Autobahnausbau fliessen sollen.
Von denjenigen, die heute – wie damals die ersten Grünen – Autobahnen blockieren, grenzen sich Nationalrät:innen wie die heute abgewählte Zürcherin Meret Schneider öffentlich ab. Mit jeder schlechten Umfrage der letzten Wochen entfernten sich die Grünen weiter von ihrem eigentlich radikalen Kern. Am Wahlsonntag brachte der SVP-Nationalrat Marcel Dettling die Grüne Trede aus der Fassung, als er ihr unterstellte, die Grünen wollten ein Fleischverbot. Trede wehrte sich lautstark, doch man fragt sich: Warum eigentlich fordern die Grünen kein Fleischverbot?
Fatale Wohlfühlpolitik
Die Grünen sind zwar nie auf den mittigen Kurs eingetreten, mit dem Parteipräsident Balthasar Glättli zu Beginn seiner Amtszeit 2020 geliebäugelt hat. Statt einer Wassermelone (aussen grün, innen rot) könnte seine Partei doch auch eine Zuckermelone sein, räsonierte Glättli: aussen grün, innen orange wie die Mitte-Partei. Dieser Kurswechsel fiel bei der Partei durch. Aber es blieb die Sehnsucht, endlich oben im Politestablishment anzukommen. Mantraartig forderte Glättli einen Sitz im Bundesrat. Der ist nun vom Tisch.
Dazu versuchen die Grünen geradezu krampfhaft, nicht als Verbotspartei dazustehen. In Zürich etwa, wo sie besonders deutlich verliert, will sie vorderhand diejenige Partei sein, die die Lebensqualität der Leute steigert. Doch Klimapolitik ist keine Wohlfühlpolitik. Wer sich ernste Sorgen wegen der Klimaerwärmung macht, will keine nette Partei, keine gesetzte und kompromissbereite Partei. Sondern eine, die alles dafür tut, diese Entwicklung zu stoppen.
Um wieder Erfolg zu haben, müssen die Grünen einen Schritt zurück machen – und sich wieder als Opposition verstehen. Als Opposition gegen eine nun verhärtete rechtsbürgerliche Mehrheit, die jeden wirksamen Klima- und Umweltschutz sabotiert. Schluss mit Zuckermelone, Schluss mit Stilfragen, Schluss mit schlechten Kompromissen.