Demokratie: Von Trainerhosen und einem guten Kompromiss

Nr. 4 –

Mit ihrer Einbürgerungsinitiative will die Aktion Vierviertel die Hürden für den Schweizer Pass deutlich senken – und eine Debatte über den leidigen Integrationsbegriff anstossen.

ein Kuchen anlässlich der Lancierung der Initiative der Aktion Vierviertel
Ein Stück Kuchen für alle: Die Aktion Vierviertel hat am 22. Januar ihre Initiative lanciert.

Lange schon war sie angekündigt, nun hat die Aktion Vierviertel den konkreten Text für ihre Einbürgerungsinitiative vorgelegt. Die Initiant:innen wollen in der Verfassung verankern, dass jede einbürgerungswillige Person nach fünf Jahren mit Aufenthaltsbewilligung ein Recht auf den Schweizer Pass hat. Dies, sofern sie sich nicht schwer strafbar gemacht hat, die innere und äussere Sicherheit des Landes nicht gefährdet und über Grundkenntnisse einer Landessprache verfügt.

Der Pass als Krönung der Anpassung

Die Schweiz hat aktuell eines der schärfsten Einbürgerungsgesetze Europas: Gemäss einer Studie der Universität Luzern vergibt nur Zypern sein Bürgerrecht noch restriktiver. Wer die strengen Grundvoraussetzungen erfüllt, muss das Bürgerrecht in letzter Instanz bei der Wohngemeinde beantragen. Noch immer gibt es einige Innerschweizer Orte, die nicht mittels einer Kommission, sondern an der Gemeindeversammlung über Einbürgerungen entscheiden. «Das Bürgerrecht wird anhand von zufälligen Kriterien vergeben», sagt SP-Politiker und Vierviertel-Kopräsident Arber Bullakaj. «Das ist absurd und darf nicht sein.»

Mit ihrer Initiative hätte die Aktion Vierviertel nun einfach Verfahrenskorrekturen verlangen können. Sie hätte auf die offensichtlichen Diskriminierungsmechanismen abzielen können: Fälle, bei denen Gesuchsteller:innen nicht eingebürgert werden, weil sie etwa nicht alle Restaurants im Dorf kennen oder keinem Verein angehören, empören die Öffentlichkeit immer wieder. Doch die Initiant:innen wollen mehr: Sie greifen mit ihrem Projekt einen Glaubenssatz fundamental an, der in der Schweizer Migrationsdebatte noch immer dominiert: Schweizer:in werden müsse mit einer Integrationsleistung verdient werden – der Pass als Krönung einer erfolgreichen Anpassung an die überlegenen hiesigen Werte.

Auf der Internetseite fragt die Aktion Vierviertel deshalb: «Wohinein genau soll man sich «integrieren»? […] Wenn es […] Schweizer:innen freistehen soll, wie sie leben wollen, mit wem und in welchen Verhältnissen, in Trainerhosen oder nicht, sich politisch zu engagieren oder nicht, einer Religion anzugehören oder nicht, einem Verein beizutreten oder nicht […], dann gilt dies auch für Menschen ohne Schweizer Pass. Und damit sind wir beim Kern des Integrationsparadoxes: Viele Anforderungen und Vorstellungen von Integration widersprechen einem der genannten Integrationskriterien gleich selbst: der Respektierung der individuellen Grundrechte und Freiheiten der Bundesverfassung.»

Analog zum restriktiven Einbürgerungsrecht hat die Schweiz auch mit das grösste Demokratiedefizit in den europäischen Ländern: Ein Viertel der Bevölkerung ist von der Mitbestimmung ausgeschlossen. Die Aktion Vierviertel ist ein zivilgesellschaftlicher Zusammenschluss, der sich 2020 gegründet hat, um diesem Missstand entgegenzutreten.

Um den konkreten Initiativtext hat die Bewegung lange gerungen. Zur Debatte gestanden hatte auch das Ius soli: das Bürgerrecht bei Geburt. Warum hat man sich am Ende dagegen entschieden? Bullakaj sagt: «Die jetzige Lösung ist viel inklusiver, aber dennoch auch pragmatisch. Uns ging es vor allem darum, auch die Erwachsenen anzuerkennen, die jetzt ohne Schweizer Pass hier leben und arbeiten. Viele von ihnen sind in den Industrien tätig, die das Land am Leben erhalten. Diese Menschen sollen einen gesicherten Aufenthalt und demokratische Mitsprache bekommen.» Wer hier geboren werde, so Bullakaj, könne ab dem Alter von fünf Jahren ebenfalls einen Schweizer Pass beantragen. «Das ist ein guter Kompromiss.»

«Extrem gute Stimmung»

Politische Vorstösse zur Erleichterung der Einbürgerung gab es in letzter Zeit einige: Im Parlament sind sie fast allesamt am bürgerlichen Widerstand gescheitert, zuletzt etwa ein Vorstoss des damaligen St. Galler Ständerats Paul Rechsteiner, der das Ius soli gefordert hatte. Selbst die noch nicht fertig verhandelte Forderung der grünen Ständerätin Lisa Mazzone, nicht nur die dritte, sondern auch die zweite Generation erleichtert einzubürgern, hat im Parlament einen schweren Stand.

Dass die Vierviertelinitiative in ihren Forderungen noch weiter geht als Rechsteiners Vorstoss, wirft die Frage auf: Wie viel Fahrt kann sie aufnehmen?

Bei den bürgerlichen Parteien ist Widerstand gegen die Initiative vorprogrammiert: Përparim Avdili, Präsident der Stadtzürcher FDP und Vizepräsident des Vereins Secondos Zürich, sagt: «Das Ius soli wäre eher mehrheitsfähig gewesen.» Er befürworte zwar Erleichterungen bei der Einbürgerung. «Doch es ist für mich ein Unterschied, ob jemand hier geboren und mit unseren Normen aufgewachsen ist oder ob er als Erwachsener in die Schweiz kommt. In diesem Fall halte ich eine gewisse Integrationsleistung durchaus für erforderlich.»

Die Aktion Vierviertel ist nach der Lancierung der Initiative in der Zürcher Gessnerallee am vergangenen Sonntag optimistisch. «Es war eine extrem gute Stimmung», sagt Bullakaj. Man werde nun versuchen, möglichst viel Unterstützung bei den Parteien, Vereinen und Gewerkschaften zu gewinnen. Und im Frühling mit der Unterschriftensammlung beginnen.