Marco «Polo» Magnaguagno (1960–2014): Immer auf der Seite der Schwächeren

Nr. 9 –

Stets auf der Suche nach Schätzen und Trouvaillen, widmete sich Polo Magnaguagno mit Hingabe Radio LoRa und anderen Zürcher Basisprojekten. Am 16. Februar ist er gestorben.

Zum «Polo» wurde Marco Magnaguagno schon in Gossau. Wahrscheinlich haben es nicht einmal die Kinder geschafft, seinen unmöglichen Nachnamen zu verhunzen, und so riefen sie ihn, den Tschingge-Bueb, eben einfach Polo. Sein Vater, ohne Ausbildung, arbeitete als Flachmaler.

«Der Polo» blieb er auch in Zürich, vorab beim Radio LoRa, diesem Marzipanradio, wie es Stiller Has in einem Gespräch mit ihm einmal benannten. Er lebte in dieser Welt im Kleinen, und er hielt sie am Leben. Polo interessierte sich für die SendungsmacherInnen aus hundertundeins Ländern, ihre Sendungen in ebenso vielen Sprachen. Das LoRa vereint die Radiofreaks, die harte Politszene, die verschrobenen Existenzen mit ihren ausgefallenen Programmen, vor allem auch die MusikliebhaberInnen, die mit ihren Sammlungen und Kenntnissen das LoRa-Programm so einzigartig machen.

Die Grenzen des Radios

Seit 1991 arbeitete Polo beim LoRa mit, zuerst in der Betriebsgruppe und als Sendungsmacher, bald auch in den Gremien und Kommissionen, mit denen sich das LoRa selbst verwaltet. Er vermittelte in den unzähligen, sich oft überlagernden Konflikten – meist erfolgreich, weil alle wussten: Polo intrigiert nicht, er will und muss sich nicht selber profilieren, und er gehört auch zu keiner Politgruppe, die das LoRa auf Linie bringen will.

Polos Liebe galt auch dem Radio als Medium. Er testete dessen Grenzen aus, mit Spielereien und Irritationen, aber auch mit gekonnten Interviews und Gesprächen. Polo wollte es wissen: Wie frei kann ein Radio sein? Mit einigen FreundInnen schaffte sich Polo deshalb gar einen eigenen Sender an. Man versuchte sich eine Zeit lang als Stör- und Piratensender, nur um die Geräte dann in einen anderen Teil der Welt weiterzugeben, wo sie wirklich benötigt wurden. Das LoRa erwies sich als frei genug für die heutige Zeit.

Polos Grundhaltung, glaube ich, war die Solidarität. Die unbedingte Parteinahme für die Schwächeren. Das brachte ihn fast zwangsläufig zur Zürcher Arbeitsgemeinschaft für Jugendprobleme (ZAGJP), die in den achtziger und neunziger Jahren in Zürich die Gassenarbeit prägte – abseits von Paternalismus und 
Kontrolle.

Mit neuartigen Beratungs- und Auffangangeboten erreichte die ZAGJP die Schwächsten. Polo entwickelte ein solches Angebot mit: Herrmann, eine Beratungsstelle für männliche Prostituierte, also für Stricher vorab aus Osteuropa. Mitte der neunziger Jahre arbeitete Polo Magnaguagno auch eine Weile für die WOZ.

Ein weiteres, für die Schweiz neues Projekt baute Polo mit auf: die Fanarbeit in Zürich. Mit dem Fanprojekt bei den Grasshoppers begab er sich wieder in jene Gebiete der Stadt, die andere kaum vom Hörensagen kennen. Auch da wirkte er mit an den Rand gedrängten Jugendlichen, in einem Umfeld von Gewalt, Leidenschaft und Gemeinschaft. Ab 2001 arbeitete das Fanprojekt mit GC-Ultras, rabiaten Fussballfans, von der Mainstreamgesellschaft entweder als Hooligans verteufelt oder als Vollidioten abgestempelt, umworben vom rechtsextremen Milieu. Polo wurde zu ihrem Zuhörer und Vertrauten.

Polo war sich bewusst, in welch heiklem Gebiet er da unterwegs war, wie nahe in den Fussballstadien jugendliche Zerbrechlichkeit und Gewaltverherrlichung beieinanderliegen. Er wollte sicher sein, dass er keinen «Seich» mache, wie er sagte. Vorsorglich holte er mich deswegen in den Vereinsvorstand, quasi als seinen persönlichen Vertreter – einfach um nötigenfalls selbst eine Bezugsperson in die Pflicht nehmen zu können. Fanprojekte sind heute landesweit als Gewalt- und Faschismusprävention etabliert. Polos Zeit als Fanarbeiter endete nach vier Jahren hingegen mit einem Hausverbot im Hardturm, dem damaligen GC-Stadion. Seine Parteilichkeit war dann eben doch zu unbequem.

Als dauermüde getarnt

Mit sozialen und gesellschaftlichen Ansprüchen tat sich Polo schwer. Um sich ihnen zu entziehen, tarnte er sich als dauermüde und träge. Doch Polo war immer neugierig, war immer auf der Suche nach Schätzen und Trouvaillen. Er hörte so schräge wie schwermütige Musik, befreundete sich mit Appenzeller Aussenseiterkünstlern und kannte die gängigsten Schwünge, ohne am urbanen Hype fürs Schwingen mittun zu müssen. In den letzten Jahren arbeitete er in der Brockenhalle Tigel, inmitten von Trödel und Preziosen. Der Tigel ist auch so ein liebenswertes und kantiges Zürcher Kollektiv, das sich dem Zeitgeist verweigert. Es gelten Einheitslöhne, und einen Teil des Umsatzes spendet der Tigel alljährlich an soziale und politische Projekte.

Dazu arbeitete Polo einmal pro Woche in einem Kinderhort. Und zwar nicht in Wipkingen oder im Kreis 5, wo die Zürcher Szene heute zu Hause ist, sondern im Aussenquartier Schwamendingen, wo die Tschingge-Kinder von heute leben. Hier kümmerte er sich also wieder um die Schwächsten. Um jene mit den unmöglichen Nachnamen.