Wichtig zu wissen: Gopferrahmdeckeli!

Nr. 44 –

Ruedi Widmer über Kaffeerahm und Triebabfuhr

Die Nation ereiferte sich letzte Woche über ein Kaffeerahmdeckeli, auf dem eine alte Zigarrenetikette mit Hitlers Konterfei abgebildet ist. Das Deckeli war, neben anderen Zigarrenetikettensujets, in diversen Migros-Betrieben abgegeben worden. Die Migros kündigte in voreiligem Gehorsam sofort die Zusammenarbeit mit der Kaffeerahmdeckelifirma. Der Inhaber zuckte nur mit den Schultern und verstand die Aufregung nicht. 

Der Mann ist vermutlich sauber. Ich glaube keine Sekunde, dass dieses Hitler-Bild als provozierende Hipness-Sache oder gar als Verehrung Hitlers gedacht war. Diese Firma hat das einfach getan, ohne sich bewusst zu sein, wie das in der codegetrimmten Kommunikationswelt wirkt. Die Kaffeerahmdeckeliindustrie ist ohnehin weit weg von solcherlei Bewusstsein. Eine Serie über «Solarenergie» läuft gerade in den Coop-Restaurants. Da sind beispielsweise nichtssagende Betontransformatorenhäuschen abgebildet. Man bekommt sofort Lust, nichts mit Solarenergie zu tun zu haben. 

Kaffeerahmdeckeliaussendienstler mit schlecht sitzenden Anzügen klopfen bei Verbänden und Firmen an: Ihr zahlt, wir bringen «die Werbebotschaft» unters Volk. Viertklassige Gestalter platzieren dann drittklassiges Bildmaterial auf die Deckeli, und ab in die Produktion. Das ist die KMU-Realität. Da ist es dann nicht so wichtig, ob Schloss Chillon, Blumensorten, Leichtathletikmeeting, Hitler-Zigarre, Familienwappen, historische Traktoren.

Hitler, das ist heute der böse Mann aus Guido Knopps Fernsehserien, ähnlich fern wie der römische Kaiser Nero. Und der Holocaust etwas Ähnliches wie die Zerstörung Pompejisdurch den Ausbruch des Vesuvs; etwas mit Feuer, Tod und herumliegenden Körpern. Der Postkartenmaler Hitler ist selber zur Postkarte geworden, zum Schwarzen Mann, der alles Schlechte auf sich vereinigt und es so auch aufsaugt.

Und auch deshalb werden faschistische Strukturen in der heutigen Parteipolitik in Abrede gestellt; weil Rechtsradikalismus etwas von «früher» ist und für viele Wähler allenfalls bei Mord beginnt statt schon bei Ausgrenzung, Propaganda, Sprachduktus oder der Verhöhnung demokratischer Institutionen. 

Auch Ecopop zeigt den Zustand der aktuellen Demokratie als Wunschkonzert und sofortige Triebabfuhr. In einem Land, in dem schon früher gerne der Nachbar schuld war (Vorhangbeobachtung), kommt «Umweltschutz» ohne eigenen Beitrag natürlich besonders gut an. Wirksamer Umweltschutz mit Verzicht, wie ihn die Grünen seit Jahrzehnten fordern, ist politisch fast nicht durchsetzbar.

Ich selber darf ohnehin nicht für Ecopop sein. Ich fahre zwar mit dem Velo zur Arbeit und achte beim Essen auf Herkunft und Produktion, brauche aber zu viel Platz zum Wohnen, besitze ein Auto, trage asiatische Kleider und brauche viele stromfressende Geräte zur Kommunikation. Ich fliege kaum, aber ich liebe es zu fliegen. Ich esse auch oft und zu viel (grosse Portionen). Ich bin Bewohner der reichen Schweiz und damit systembedingt ein Umwelt-Hitler.

Ruedi Widmer ist ein 
Durchschnittsschweizer 
aus Winterthur.