TV-Serie «Narcos»: Die Wiedergänger des Kalten Kriegs

Nr. 39 –

James Bond ist heute weiter: Die Netflix-Serie «Narcos» inszeniert das Leben des legendären kolumbianischen Drogenbarons Pablo Escobar als scheinbar dokumentarische, antikommunistische Saga.

US-Antidrogenagenten, die so gut sind, dass sie nur foltern lassen, wenns unbedingt nötig ist: Javier Peña (Pedro Pascal) und Steve Murphy (Boyd Holbrook) in «Narcos». Foto: Daniel Daza, Netflix

So ist das also gewesen: Chile war Anfang der siebziger Jahre unter dem sozialistischen Präsidenten Salvador Allende zum internationalen Zentrum der Kokainproduktion geworden, weshalb der damalige US-Präsident Richard Nixon mithelfen musste, General Augusto Pinochet an die Macht zu bringen. Der hat dann im chilenischen Dschungel 33 Drogenlabore ausheben und 346 dabei gefasste Kokainköche erschiessen lassen.

Das wissen wir nach den ersten zehn, mit historischem Filmmaterial unterlegten Minuten der neuen Netflix-Serie «Narcos». Und wir ahnen, dass uns ein reaktionäres Machwerk im Gewand einer Dokusoap erwartet. Wer einfach so nebenbei einen blutigen Militärdiktator reinwäscht, und mit dokumentarisch getarnten Lügen dazu, der kann nur Böses im Schilde führen. Nur so viel zum Kokain unter Allende: In Chile gibt es keinen Dschungel, wo sich Drogenlabore verstecken liessen. Die tropische Region im Norden des Landes ist die trockenste Wüste der Welt.

Für den folgenden Plot ist dieses Vorspiel völlig bedeutungslos. Es ist letztlich egal, ob es der einzige Überlebende eines erfundenen Pinochet-Massakers war oder irgendwer sonst, der Pablo Escobar zum ersten Mal das weisse Pulver in die Hand schüttete. Er wird ohnehin bald sterben. Aber immerhin konnte man damit sagen: Hätte Pinochet noch gründlicher gemordet, wäre der Welt das Kokain erspart geblieben und Pablo Escobar nie zum grössten Drogenhändler seiner Zeit aufgestiegen. Eine so krude Sicht auf die Geschichte kann sich nicht einmal Donald Trump im derzeitigen republikanischen Vorwahlkampf um die Kandidatur für die US-Präsidentschaft zusammenfantasieren.

Rammelnde Heissblüter

Vordergründig geht es in «Narcos» um Leben und Werk des Pablo Escobar (dargestellt vom brasilianischen Schauspieler Wagner Moura), um dessen Aufstieg vom einfachen Schmuggler zum grössten Drogenbaron der kolumbianischen Geschichte. Und es geht darum, wie zwei Agenten der US-Drogenbehörde DEA das zu verhindern versuchen und ihn – davon ist auszugehen – schliesslich zur Strecke bringen. Der eine ist der ständig im Off plappernde Steve Murphy (Boyd Holbrook), ein blonder Familienvater mit blonder Frau und blondem Baby, der so gut ist, dass er nur foltern und morden lässt, wenn es unbedingt nötig ist. Sein Partner Javier Peña (Pedro Pascal) ist halber Latino und deshalb dunkelhaarig und nicht so zimperlich.

Nebenbei wird ein echt Trump’sches Bild von den Menschen südlich des Río Grande ausgebreitet: Kolumbianer sind heissblütig und rammeln wie die Karnickel. Sie erschiessen ihre Feinde und, wenn es sein muss, auch ihre Freunde, gelegentlich auch völlig Unbeteiligte, einfach so, aus Spass. Wenn sie weder rammeln noch schiessen, dann sind sie mindestens korrupt bis über beide Ohren. Kolumbianerinnen sind schön und entweder Huren oder aufopfernde Ehefrauen, die ihren Männern mit traurigem Dackelblick in die Augen schauen und sagen: «Was immer auch geschieht, ich werde an deiner Seite sein.»

In dieser einfachen Welt hat Pablo Escobar die Idee, den Gringos Kokain vor die Nase zu legen, zuerst kilo- und dann tonnenweise. Die kannten vorher nur Marihuana. Das rauchten die Hippies, und die waren friedlich. Mit dem Kokain aber kam die Gewalt zuerst nach Miami, dann in die ganzen USA. Da muss man sich doch wehren! Escobar ist ein Finsterling wie aus einem James-Bond-Film; nur strebt er nicht die Weltherrschaft an, sondern will – um den dokumentarischen Charakter der Serie zu unterstreichen – nur Präsident von Kolumbien werden. Im Geheimen ist er das ohnehin: Er schmiert Politiker, Polizei und Armee. Selbst die linke Guerilla, die SandinistInnen in Nicaragua und die befreiungstheologischen Priester kämpfen nur vorgeblich für mehr Gerechtigkeit und arbeiten eigentlich in seinen Diensten.

Der wahre Pate: Ronald Reagan

Der reale Pablo Escobar sympathisierte tatsächlich mit linken Gedanken. Er kam aus dem Volk und hat das auch als schwerreicher Chef eines Drogensyndikats nicht vergessen. Für viele in Kolumbien ist er noch heute ein Volksheld, was gar nicht so verstörend ist, wie es zunächst erscheinen mag.

Denn Gewalt gibt es in diesem Land schon viel länger als Kokain. Grossgrundbesitzer hielten sich schon vorher paramilitärische Einheiten, um die Landbevölkerung zu ermorden und zu vertreiben – mit dem Wissen, der Billigung und der aktiven Hilfe von Regierung und Armee. Subventionierte Lebensmittel aus den USA haben schon vorher kleinbäuerliche Landwirtschaft in den Ruin getrieben. Wer einzig mit dem Anbau von Kokasträuchern überleben kann, baut Kokasträucher an. Wer es nicht tut, flieht vom Land in die Armenviertel der grossen Städte (wo Escobar dann ein paar Häuser, Sportplätze und Schulen bauen liess). Gegen solche Zustände haben sich die kolumbianischen Guerillas erhoben.

Hätten die USA Escobar ruhig seinen Geschäften nachgehen lassen und sich stattdessen auf Drogenprävention im eigenen Land konzentriert, wäre das Blutbad ausgeblieben. Aber sie haben DEA-Agenten geschickt, Militärberater und Waffen für viele Milliarden Dollar. In Kolumbien weiss man das, und eben deshalb kann der Verbrecher Escobar bis heute gleichzeitig ein Volksheld sein – er hat sich gegen die USA gewehrt.

Die Netflix-Serie will das gar nicht wissen. Sonst könnten ja Zweifel aufkommen daran, dass die USA ganz allgemein und die DEA im Speziellen auf der Seite des Guten stehen. 25 Jahre nach dem Ende der Präsidentschaft von Ronald Reagan pflegt Netflix noch immer dessen antikommunistisches Weltbild und lässt ihn in dokumentarischen Schnipseln gelegentlich als Gewährsmann auftreten. Dass Reagan selbst über seinen Sicherheitsberater Oliver North im grossen Stil mit Drogen handeln liess, um die antisandinistische Contra zu finanzieren – was solls?

Die DEA-Agenten Murphy und Peña sind Wiedergänger von James Bond, wie er in den tiefsten Zeiten des Kalten Kriegs war; nur eben aufgespalten in zwei Personen: Der Blonde steht für das US-Ideal der Kleinfamilie; der Dunkelhaarige ist der Macho, der jede Frau, die er kriegen kann, ins Bett zerrt. Das personifizierte Böse ist Pablo Escobar. Da ist James Bond heute weiter. Die krude Mischung aus Kommunisten und Drogenhändlern ist für ihn längst erledigt. Und er braucht auch nicht die Tarnkappe des Dokumentarischen, er ist ehrliche Fiktion.

Die erste Staffel von «Narcos» 
(Regie: José Padilha) läuft auf Netflix.

Schwer fassbarer Regisseur

Er hat bei der ersten Staffel von «Narcos» Regie geführt und ist auch einer der Produzenten: José Padilha (48). Schon der erste Spielfilm des Brasilianers wirkte einst wie eine ideologisch vergiftete Streubombe. Das war «Tropa de Elite» (2007), ein hektischer Reisser über eine paramilitärische Spezialeinheit der Polizei im Kampf gegen die Drogenmafia. In der Hauptrolle schon damals: Wagner Moura, in «Narcos» jetzt als Pablo Escobar zu sehen. Der Kritiker der Branchenzeitschrift «Variety» verglich das Machwerk damals mit einem «Rekrutierungsfilm für faschistische Schläger». Die Jury der Berlinale dagegen, präsidiert von Constantin Costa-Gavras, adelte den Film zur allgemeinen Konsternation mit dem Goldenen Bären.

José Padilha bleibt schwer fassbar: Im Kino war letztes Jahr sein Remake von Paul Verhoevens «Robocop» zu sehen, ein Blockbuster über das Geschäft mit Angst und Sicherheit im Zeitalter von militärischen Robotern.

Florian Keller