Durch den Monat mit Kafi Freitag (Teil 1): «Liebe Frau Freitag, funktionieren offene Beziehungen?»

Nr. 18 –

Wer nicht mehr weiterweiss, fragt Bloggerin Kafi Freitag. Die verlässt sich beim Antworten auf ihren ungeraden Lebenslauf und staunt, wie sich junge Leute den Kopf zerbrechen. Dabei könnten sie einfach mal drauflosprobieren.

Antwortbloggerin Kafi Freitag: «Sorry, wir haben nun mal keine Scheuklappen an.»

WOZ: Liebe Frau Freitag, Sie beantworten in Ihrem Blog jede Woche drei Fragen von Menschen, die sie nicht kennen. Hier meine persönliche Frage: Was halten Sie von offenen Beziehungen?
Kafi Freitag: Das ist etwas, das nicht funktioniert. Im Prinzip finde ich ein ehrliches, offenes System gut. Viele Pärchen spielen sich gegenseitig vor, es könnte sie niemand anderes interessieren – aber sorry, wir haben nun mal keine Scheuklappen an. Ich kenne aber niemanden, bei dem eine offene Beziehung über längere Zeit funktioniert hat. Es nähme mich mega wunder, von jemandem zu hören, bei dem das klappt. Unsere Idee von «bis dass der Tod uns scheidet» ist überholt. Diese Zeitspanne bis zum Tod ist einfach wahnsinnig lang, im Gegensatz zu vor 200 Jahren. Aber was dann? Wir wissen es nicht, wir haben kein neues Konzept, das dem gerecht wird.

Was fragen Sie die Leute am meisten?
Am häufigsten beantworte ich – wie bei Ihnen – Fragen zu Beziehungen. So Liebessachen: «Er hat gesagt, dann hab ich gesagt, dann hat er gesagt – und jetzt ruft er nicht mehr an. Warum?» Und dann schreib ich halt so: «Vielleicht findet er dich doof?»

Warum so viele Fragen zu Beziehungen?
Weil da die Unsicherheit am grössten ist. Das weiss ich auch von mir: Ich bin in keinem Lebensbereich so unsicher wie in Liebessachen. Dort sind wir am verletzlichsten. Es berührt den tiefsten Kern der Identität.

Ihre Antworten sind locker, direkt und offen, wenn Sie etwa schreiben, wie Sie VIP-Pässe gefälscht haben oder warum Sie flirten wichtig finden. Damit geben Sie viel Persönliches von sich preis. Wie fühlt sich das an?
Zu 99 Prozent gut. Und dann gibt es das eine Prozent: Etwa alle vier bis sechs Monate passiert es mir, dass ich wegen irgendwas nachts wach liege und denke: Oh mein Gott, was die Leute alles über mich wissen! Wenn einer alles gelesen hat! Zum Beispiel mein Lektor und mein Verleger. Wenn ich in diesen Momenten einen Buzzer neben mir hätte, mit dem ich alles im Internet über mich löschen könnte, dann würde ich den drücken. Aber am nächsten Tag ist es dann wieder gut.

Sie haben schon über 600 Fragen beantwortet. Eine Auswahl ist jetzt als Buch erschienen. Woher nehmen Sie all die Weisheiten?
Das ist ein Mix aus der eigenen Lebenserfahrung und aus meiner Erfahrung als Coach. Da werde ich mit vielen Problemen konfrontiert. Und dann kommt schliesslich gesunder Menschenverstand dazu.

Sie haben als Ghostwriterin gearbeitet, als Lehrassistentin an einer heilpädagogischen Schule, bei der UBS. Sie bezeichnen das selber als einen «ungeraden Lebenslauf». Hilft das?
Ja. Ich bin an Orten gelandet, wo ich mich fragte: Wie bin ich jetzt bloss wieder hierhergekommen? So lernt man verschiedene Dinge kennen, mehr, als wenn man sich immer im gleichen Milieu bewegt. Dazu kommt: Ich habe ein Kind, ich bin verheiratet, ich bin geschieden – das ist alles ein bisschen ungerade. Aber Umwege erhöhen die Ortskenntnis.

Das raten Sie auch den Leuten, die nicht wissen, was sie im Leben wollen: «Stürz dich ins Leben! Probiers mal aus!» Sind wir zu brav?
Absolut. Ich staune, dass das oft Junge sind. Wenn sich jemand Anfang zwanzig mega den Kopf darüber zerbricht, was aus ihm werden soll, denke ich mir schon: Du hast noch kein Kind, du bist nur für dich verantwortlich, du kannst ausprobieren und darfst dabei auch Fehler machen. Man sollte viel mehr wagen. Was kann schon passieren? Gerade in der Schweiz.

Sind nicht auch in der Schweiz Existenzängste weit verbreitet?
Das hat damit zu tun, dass wir sehr viel besitzen. Je mehr Kohle du hast, desto mehr willst du bewahren und schauen, dass es nicht weniger wird. Und desto grösser ist die Gefahr, dass du ängstlicher wirst.

Sie selbst haben den Schritt in die Selbstständigkeit als Coach gewagt.
Mit der Geburt meines Sohnes hat sich mein Wertesystem verändert. Für mich war klar, dass ich nicht zurück zur UBS konnte. Dass ich mich generell nicht mehr in den Sold einer Bank stellen konnte. Also habe ich mich selbstständig gemacht. So kann ich meine Zeit freier planen, das kommt auch meinem Sohn zugute.

Finden Sie es nicht schwierig, die Arbeitszeit völlig frei einzuteilen?
Doch, ich bin ja ein fauler «Siech», habe null Disziplin. Beim Coaching ist das anders, weil ich da in die Praxis gehe. Aber schreiben, das tue ich zu Hause. Dort könnte ich immer auch noch die Fenster putzen, ein bisschen aufs Sofa liegen, «Bachelor» schauen … Lustigerweise bin ich doch drangeblieben. Wenn es mir nicht so viel Freude machen würde, hätte ich wohl nach drei Wochen den Biss verloren.

Wollen Sie eigentlich nie wissen, wie es nach einer Frage weitergeht?
Ich frage mich schon: Hat der jetzt diese Freundin aus der Wohnung gekickt, die keine Miete zahlen will? Hat meine Antwort geholfen? Aber dass mir nochmals jemand schreibt, ist mega, mega selten.

Kafi Freitag (40) heisst wirklich so. Eine Version, wie es dazu kam: Ihr Vater soll den Geburtssaal mit der kurzen Erklärung «Kafi!» verlassen haben, just als die Hebamme das Formular ausfüllte.