«Bunte Revolution» in Mazedonien: «Aber die Strasse gehört uns»

Nr. 27 –

Seit Monaten demonstrieren Zehntausende junger MazedonierInnen gegen die nationalkonservative Regierung. Ihre Wut gilt der Machtfülle einer selbstgefälligen Elite.

Attacken gegen die Symbole der Parteiherrschaft: RegierungsgegnerInnen verzieren am 20. Juni das mazedonische Justizministerium in Skopje mit roter Farbe. Foto: Tomislav Georgiev

Skopje ist bunt. Vor dem Regierungsgebäude errichten junge DemonstrantInnen ein kleines Katapult. Eine vermummte Frau steckt einen Farbbeutel in die Vorrichtung, zieht sie mit ihrem Körpergewicht nach hinten und lässt los. Eine Ladung blauer Farbe klatscht an die neoklassizistische Fassade.

Die Protestierenden haben die «bunte Revolution» ausgerufen. Ihre Farbattacken richten sich gegen die pseudoantiken Bauten und die Skulpturen von Alexander dem Grossen, die in Mazedoniens Hauptstadt seit sechs Jahren überall errichtet werden. Die Monumente entstanden im Rahmen von «Skopje 2014», einem Prestigeprojekt der nationalkonservativen Regierung. Es soll den mazedonischen Anspruch auf das Erbe der antiken Makedonier zementieren. Die Kosten des Projekts wurden ursprünglich auf achtzig Millionen Euro beziffert, mittlerweile sind sie auf das Siebenfache angestiegen. Den DemonstrantInnen gilt «Skopje 2014» als Symbol für den Grössenwahn der Regierung.

Gegen die regierende Demokratische Partei für Mazedonische Nationale Einheit (VMRO) erheben die Protestierenden schwere Vorwürfe – von Wahlbetrug über illegale Geschäfte bis hin zu Bestechung. Sie glauben auch, dass die Regierung kritische JournalistInnen ins Gefängnis werfen liess. Und sie soll versucht haben, den Mord an einem jungen Mann zu vertuschen: Der 21-jährige VMRO-Anhänger Martin Neskovski war 2011 von Sicherheitskräften zu Tode geprügelt worden, als er versucht hatte, dem damaligen Ministerpräsidenten Nikola Gruevski persönlich zu dessen Wahlsieg zu gratulieren. Vor rund einem Jahr gelangten Gespräche zwischen MinisterInnen an die Medien, aus denen hervorgeht, dass die Tat verheimlicht werden sollte. Gruevski ist inzwischen zwar zurückgetreten, übt aber noch immer Einfluss auf Justiz und Medien aus (vgl. «Unerfüllte Versprechen» im Anschluss an diesen Text). Seit Monaten gehen deshalb Zehntausende MazedonierInnen auf die Strasse, bewerfen die Statuen und Denkmäler der Parteiherrschaft mit Farbe.

Die «Soros-Army» kommt

Demijan Haji-Angelovski trägt einen Button auf seinem Rucksack, auf dem das durchgestrichene Konterfei von Nikola Gruevski zu sehen ist. «Er ist fertig», steht darunter. Es ist das Motto, mit dem vor siebzehn Jahren bereits das Milosevic-Regime im Nachbarland Serbien gestürzt worden war. Auch Mihaela Ivanova hat sich optisch auf die Demonstration vorbereitet: Noch trägt sie ein schwarzes Top, wird später aber – wie viele ihrer KameradInnen – ein T-Shirt mit der Aufschrift «Soros-Army» anziehen. Es ist ihr Umgang mit der Behauptung der Regierung, der milliardenschwere US-Investor George Soros finanziere die Proteste.

Zusammen mit den anderen RegierungsgegnerInnen planen die beiden jungen Leute ihre Guerillaaktionen im Izlet-Café, unweit des Stadtzentrums. An der Wand hängt ein grosses Porträt von Black-Panther-AktivistInnen aus den siebziger Jahren. Die Behörden besuchen den Ort regelmässig, begutachten jedes Detail. Vermutlich wird nach einem Vorwand gesucht, um den Treffpunkt der DemonstrantInnen zu schliessen.

Die 23-jährige Ivanova hat jedes Vertrauen in die VMRO verloren: «Wenn du einen Job willst, brauchst du eine Empfehlung der Partei. Die Justiz funktioniert per Telefon – jemand ruft den Richter an und gibt ihm vor, welches Urteil er fällen soll», sagt die Jurastudentin. Ähnlich klingt Medizinstudent Haji-Angelovski. «Wir sind markiert. In einem staatlichen Spital bekomme ich ganz sicher keine Arbeit.» Die Regierung kenne ihre Namen, wisse um ihre Teilnahme an der «bunten Revolution», glaubt der junge Mann. So versuche sie, die Bevölkerung gefügig zu machen: «Wenn du beim Staat angestellt bist und demonstrieren gehst, verlierst du deine Arbeit.» Manchmal würden Menschen gezwungen, für die Regierung auf die Strasse zu gehen, erzählt Haji-Angelovski weiter. «Wenn du dich weigerst, verlierst du deine Arbeit.»

Seit der Unabhängigkeit 1991 haben Hunderttausende das Land verlassen – Mazedonien ist ein Auswanderungsland. Auch Haji-Angelovski und Ivanova werden oft gefragt, warum sie bleiben. «Meine Familie und meine Freunde sind hier. Ich lasse mich doch nicht von denen aus meinem Land schmeissen», antwortet die junge Frau in solchen Fällen.

Einmal hatte Ivanova zwar mit der Staatsgewalt zu tun: Nach einer Kundgebung habe die Polizei ihre Personalien aufgenommen und gedroht, sie bald zu Hause abzuholen und ins Gefängnis zu stecken. Auch Freunde von ihr seien schon unter fadenscheinigen Gründen unter Hausarrest gestellt oder in Untersuchungshaft gesteckt worden, erzählt die Aktivistin. «Wenn du gegen uns bist, wirst du bestraft», so laute die Message der Regierung. Davon lässt sich Ivanova aber nicht einschüchtern: «Sie haben ihre Methoden, aber die Strasse gehört uns», sagt sie kampfeslustig. Haji-Angelovski ist derweil pessimistischer: «Ich will nicht gehen, aber wenn Gruevski bei den geplanten Neuwahlen gewinnt, wird Mazedonien zu einer Diktatur.» In einem solchen Land wolle er nicht leben, fügt er hinzu.

«Jedes Jahr ein kriminelles Treffen»

Die RegierungsgegnerInnen in Mazedonien sind zahlreich. Doch auch die VMRO vermag zu mobilisieren. Zum Parteitag Mitte Juni liess sie AnhängerInnen aus dem ganzen Land in Bussen nach Skopje karren. An diesem Tag feierte die Partei auch ihren 26. Geburtstag – in einem Monumentalbau, 2011 mit Geldern aus der Staatskasse errichtet. In der Menschenmenge werden an diesem Tag mazedonische Flaggen in die Höhe gehalten, und trotz Temperaturen von über dreissig Grad tragen manche einen VMRO-Fanschal um den Hals. Von der Bühne ertönt pathetische Musik, die klingt, als stünde ein Gladiatorenkampf bevor. «Die Opposition wird von fremden Mächten aus dem Ausland bezahlt», beschwört Nikola Gruevski sein Publikum von der Bühne aus. «Sie können mit allen Mitteln kämpfen, aber sie werden uns nicht besiegen!» Der ehemalige Ministerpräsident streckt die Faust in die Höhe, seine AnhängerInnen jubeln.

Nach der Rede ist die Party in vollem Gang, da machen sich die RegierungsgegnerInnen bemerkbar. Es kommt zu einem Tumult, AktivistInnen entrollen auf einer Brücke ein Banner: «Jedes Jahr ein kriminelles Treffen – wir fordern die Trennung von Partei und Hellseherin» steht darauf. Es ist eine Anspielung auf eine politische Beraterin Gruevskis, die Wahrsagerin Katerina Najednova. Manche MazedonierInnen scherzen bereits, ihr Land sei zu einer Astrokratie verkommen. Die Sicherheitskräfte gehen auf einen Aktivisten los, prügeln ihn zu Boden und nehmen ihn fest.

Auf dem Weg in die Diktatur?

Einen Vorgeschmack auf das, was kommen könnte, wenn die VMRO an der Macht bleibt, musste Zdravko Saveski am eigenen Leib erfahren. Der Politikwissenschaftler war im April festgenommen worden, als er gegen einen Beschluss von Präsident Gjorge Ivanov demonstrierte. Ivanov hatte eine Amnestie verhängen lassen, wollte laufende Strafverfahren gegen führende PolitikerInnen – unter ihnen auch Gruevski – einstellen lassen. Auf internationalen Druck wurde die Amnestie zurückgenommen. Die damaligen Proteste waren der Startschuss der «bunten Revolution».

Vor wenigen Wochen noch stand Saveski vorübergehend unter Hausarrest. Mehrmals täglich kam die Polizei unangemeldet vorbei und prüfte, ob er zu Hause war. Hätten die BeamtInnen ihn dort nicht angetroffen, wäre er ins Gefängnis gekommen. Nun spaziert er durch Skopje und geniesst seine Freiheit. Die Sonne brennt auf die Stadt nieder, das Thermometer erreicht an diesem Tag 39 Grad. Saveski passiert den Triumphbogen, der von den bunten Aktionen der DemonstrantInnen gezeichnet ist. Im Vorbeigehen deutet er mit dem Zeigefinger auf die riesigen Gebäude, die den Flusslauf der Vardar säumen. «Schau dir diese hässlichen Gebäude an: Die Menschen in Mazedonien wissen nicht, wovon sie leben sollen, und das Regime baut solchen Kitsch und steckt sich noch Geld in die eigene Tasche.»

Trotz der Drohungen und des Hausarrests will der junge Mann nicht aufhören, gegen die Regierung zu demonstrieren. «Keine Seite darf diesen Kampf aufgeben. Wenn Gruevski und seine Leute verlieren, landen sie im Gefängnis. Wenn wir aufgeben, verlieren wir unser Land – und leben bald in einer Diktatur», erklärt er.

Von der Diktatur sprechen die jungen DemonstrantInnen in Mazedonien oft in diesen Tagen. Gegen diese protestieren sie – mit Farbbeuteln, nicht mit Steinen. Das Erscheinungsbild Skopjes haben sie damit bereits verändert. Jetzt wollen sie die Zustände im ganzen Land ändern.

Unerfüllte Versprechen

Im Juni 2015 reiste EU-Kommissar Johannes Hahn nach Skopje, um zwischen Ministerpräsident Nikola Gruevski und der Opposition zu vermitteln. Ergebnis war das Przino-Abkommen, das freie und faire Wahlen vorsieht. Formell hielt Gruevski alle Termine ein und trat im Januar sogar offiziell als Ministerpräsident zurück, um einer Übergangsregierung die Organisation von Neuwahlen zu ermöglichen. Aber seine Versprechen blieben bisher unerfüllt: Noch immer gibt es kein neues Wählerverzeichnis, kontrollieren seine Gefolgsleute die Medien, lassen sich Partei und Staatsapparat nicht auseinanderhalten. Hahn warf am Ende das Handtuch. Inzwischen hat der deutsche Diplomat Johannes Haindl die Verhandlungen übernommen.

Von der EU fordern die DemonstrantInnen, dass sie Sanktionen gegen den Gruevski-Clan verhängt – doch das ist illusorisch: Mehrere EU-Staaten, allen voran Ungarn, würden aller Wahrscheinlichkeit nach ein Veto einlegen. Ungarn etwa verbittet sich generell eine Einmischung in die Innenpolitik der EU-Beitrittskandidaten. Zudem will Brüssel die Zusammenarbeit mit Mazedonien in der Flüchtlingsfrage nicht gefährden.