Auf allen Kanälen: Stuss von der Kanzel

Nr. 43 –

Von weit oben: Markus Somm und die neue Liebe der Rechten zu den «einfachen Leuten».

Markus Somm

Tote können sich nicht wehren, und die Geschichte widerspricht nicht. Kein Wunder, lässt sich mit ihnen besonders gut Politik machen. Oder Stimmung. Markus Somm, Chefredaktor der «Basler Zeitung», zieht es darum immer in die Vergangenheit, wenn er die Gegenwart meint. Das schwierige Verhältnis etwa zwischen der EU und der Schweiz, die weiterhin in Europa Trittbrett fahren soll – mit einer spärlich dokumentierten Schlacht in der Nähe von Mailand 1515 lässt sich das alles passgerecht (v)erklären.

Nun hat Markus Somm wieder in die Geschichte geblickt und in seiner traditionellen Samstagspredigt über den «Zustand unserer politischen Kultur» sinniert («BaZ» vom 15. Oktober). Diesmal ging die Zeitreise in die eigene Vergangenheit. In jungen Jahren, er sei damals in einer linken Phase gewesen, habe er oft in der muffigen Genossenschaftswohnung des Zürcher Buchhändlers und Kommunisten Theo Pinkus (1909–1991) gesessen, um mit ihm über Geschichte zu diskutieren, über Revolution, an die er, Somm, allerdings nie geglaubt habe. Das muss etwa zu der Zeit gewesen sein, da Somms Vater zum Chef der ABB wurde.

Der Chef auf Knien

Auch Somm ist heute Chef. Seine auf den Knien verfasste Blocher-Biografie («Der konservative Revolutionär») hat ihm der SVP-Guru mit der Implementierung in die «Basler Zeitung» verdankt. Unter dem neuen Kapitän geriet das Blatt schnell in Schieflage (scharf rechts). Ein Drittel der AbonnentInnen sprangen ab, doch unsichtbare Geldströme aus von Basel aus süd-östlicher Richtung stopfen die Löcher in der Kasse.

Komfortabel gebettet lässt sichs gut sinnieren. Zur Not auch mal über einen toten Kommunisten. Politisch habe sich Pinkus in fast allen Fragen geirrt, in einem aber sei er Vorbild gewesen, so Somm. In seiner gelebten Bescheidenheit nämlich und seiner Begeisterung für «den einfachen Mann, die einfache Frau». Die Liebe zum einfachen Volk steht bei der gut betuchten äusseren Rechten dieser Tage hoch im Kurs. Auch Gölä schwärmt von den einfachen Leuten, fällt ihm gerade nichts ein zu Schwan, Pferd oder Indianer. Hauptsache, man hockt nicht mit der Bierdose in der Hand vor dem Denner oder kann aus gesundheitlichen Gründen nicht zur Arbeit einstempeln; dann verliert man die Liebe des Büezermillionärs.

Die «Liebe zum Menschen» – bei Pinkus sei sie, anders als bei heutigen Linken, spürbar gewesen, erklärt Somm voller Wehmut. Nie hätte dieser die «Arbeiter und kleinen Angestellten als Sexisten und Rassisten» beschimpft. Anders als Hillary Clinton, die verächtlich über Teile des Trump-Lagers spreche. Was, fragt man sich, hat Hillary Clinton zu tun mit Pinkus? Oder die Partei Alternative für Deutschland (AfD), die Brexit-BefürworterInnen, die nach Villiger-Kiel riechenden SVP-Mannen oder der polternde Wutbürger – sie alle dienen Somm als Gewährsleute für einen Kampf der «einfachen Leute» gegen die «Elite» (zu der er sich, hier darf gelacht werden, nicht zählt).

Gemeingemacht

Theo Pinkus würde sich die Augen reiben. Als hätte sich der Kommunist, wie Somm insinuiert, mit der SVP, der völkischen AfD oder Sexisten und Rassistinnen ins gleiche Bett gelegt. Im Gegenteil. Pinkus hätte genau hingehört, wenn einer von oben herab andere als «einfache Leute» tituliert. Einer wie Somm übrigens, der das Erbe derjenigen rechtsbürgerlichen Kräfte angetreten hat, die einen wie Pinkus über Jahrzehnte haben bespitzeln lassen. Was will Markus Somm erreichen mit ätzendem Gerede von einem Gegensatz zwischen (linken) «Eliten» und «einfachen Leuten», die in der Tat oft rechts stehen? Wem wollen er oder Gölä einflüstern, die Rechtsbürgerlichen würden ihre Interessen vertreten?

Es waren nicht die «einfachen Leute», für die Theo Pinkus sich interessierte. Es waren die, denen die Rechte auch heute noch den Teppich unter den Füssen wegzieht, wenn Löhne und Renten gekürzt werden. Die, die damals wie heute vor Krieg und Armut fliehen und hier keinen oder nur unzureichenden Schutz finden. Die von der politischen Teilhabe Ausgeschlossenen, weil ihnen Stimm- und Wahlrecht vorenthalten bleiben. Es waren und sind die, deren Probleme vielfältig, deren Interessen oft gegensätzlich sind. Nicht «einfach» sind sie, sondern «schwach», besser gesagt: geschwächt.

Einfach – das sind nur die Reden derer, die sich mit «einfachen Leuten» gemeinmachen, um die Schwachen auszuschliessen.

Der Historiker Erich Keller arbeitet an einer neuen Pinkus-Biografie.