Nicki Minaj: Ponyhof im Herzen der Industrie

Nr. 35 –

Auf ihrem neuen Album «Queen» macht die Rapperin Nicki Minaj wieder auf Angriff – und schamlos auf Kommerz. Dass sie nicht die Feministin spielen will, kommt ihr nur zugute.

Nicki Minaj holt sich, was sie will. Nur die Männer machen schlapp. Mit Young Thug habe sie eine Weile was gehabt, bis sie ihn dabei erwischt habe, wie er Kleider aus ihrem Schrank stahl. Der Rapper aus Atlanta propagiert das Ende von Gendernormen und trägt auf dem Cover seines Mixtapes «Jeffery» einen hellblauen Rock. Und Drake? Der sitze zwar auf Millionen von Dollars und kaufe ihr schöne Dinge. Nur, fragt sie sich: Ist das sie, die so feucht ist dort unten, oder weint er schon wieder? So viel zu dem Mann, der die männliche Gefühlsduselei im Mainstream etabliert hat.

Allerdings haben wir es hier nicht mit wahren Geschichten zu tun. Young Thug und Drake sind, wie viele andere gerade angesagte Rapper, für Nicki Minaj nur lyrische Marionetten in ihrem Song «Barbie Dreams» auf ihrem aktuellen Album «Queen». Der Beat und das Motiv stammen aus «Just Playing (Dreams)» von Biggie Smalls aus dem Jahr 1994, in dem dieser verschiedene R-’n’-B-Sängerinnen aufzählt, mit denen er ins Bett will. «Barbie Dreams» ist gleichzeitig eine Hommage an einen legendären Rapper und eine Blossstellung von dessen Sexismus. Aber wieso macht sie sich dann gerade über diejenigen lustig, die das Rap-Patriarchat etwas aufweichen? Sie will eben auch nur spielen.

Alle Ohren auf sie

Am liebsten spielt sie Barbie, so auch im «Barbie Tingz»-Video. Darin sind Minajs Hände an Seilen befestigt und lassen sie tanzen wie eine Marionette. Aber halt mal, wer ist hier nun die Marionette? So viel ist klar: Minaj reklamiert für sich keine Position ausserhalb der Mechanismen der Unterhaltungsindustrie. Im Gegenteil, ihre liebste kritische Strategie ist die Überidentifikation: Sie verkörpert die Werte des Systems so inbrünstig, dass diese zur Farce werden.

Was nicht heisst, dass die Obsession mit Geld und Leistung, die sich thematisch durch «Queen» zieht, einfach eine Parodie wäre. Denn als schwarze Künstlerin dient ihr die Identifikation mit dem amerikanischen Aufsteigernarrativ auch zur Selbstermächtigung. Minaj, 1982 als Onika Tanya Maraj auf Trinidad geboren, versuchte sich in New York zunächst erfolglos als Schauspielerin und schlug sich als Kellnerin durch. Als der Rapper Lil Wayne sie auf seinem Label unter Vertrag nahm, ging es mit ihrer Karriere steil nach oben. Der zügellose Auftritt in Kanye Wests «Monster», bei dem Minaj mit ihrem messerscharfen Flow durch unzählige Register der Rapkunst rast, richtete alle Ohren auf sie.

Dass sie nun ganz oben angelangt ist, hören wir auf «Queen» ständig – auch in Form von Seitenhieben. Sie habe sich nie ausziehen müssen, um in die Poleposition zu gelangen, heisst es etwa in «Hard White». Und in «Sir» prahlt sie, dass sie gerade an Aretha Franklin vorbeigezogen sei – letztes Jahr hat sie deren Rekord der meisten Billboard-Top-100-Hits einer Künstlerin eingestellt. Der Song wurde sechs Tage vor Franklins Tod veröffentlicht.

Unreif und dämlich?

Von KritikerInnen werden ihr dieses Beharren auf der Hackordnung und die Auseinandersetzungen mit weiblichen Kontrahentinnen immer wieder angelastet. Erst kürzlich attackierte sie auf Twitter eine junge Frau, die es gewagt hatte, ihre Lyrics als unreif und dämlich zu bezeichnen. Und dann findet sich auf «Queen» auch noch ein Song mit dem jungen Rapper 6ix9ine, der angeklagt ist, Sexszenen mit einer Minderjährigen gedreht zu haben. Tatsächlich muss man bei Minaj nicht weit suchen, um auf feministische Gesten zu stossen – im Video zu «Anaconda» setzt sie genüsslich ihren voluminösen Hintern in Szene und macht sich über «skinny bitches» lustig, bevor sie eine Banane zerdrückt und angewidert wegwirft. Doch muss man deswegen von ihr erwarten, die feministische Ikone zu spielen?

Zum Glück nicht! Diese Rolle kann sie getrost einer wie Beyoncé überlassen, deren gewichtiges Pathos Minaj mit Humor und unbändigem Sprachwitz bricht. Ihrer Glaubwürdigkeit schadet es keineswegs, dass sie gar nicht versucht, eine gute Sache zu repräsentieren. Minaj macht keinen Hehl daraus, dass sie vor allem sehr viel Geld verdienen will. Ihre generischen R-’n’-B-Balladen, von denen es auf «Queen» wieder einige gibt, sind keine künstlerischen Misstritte, sondern kommerzielles Kalkül. Wenn sie mit Ariana Grande ein Duett singt, dann auch, um sich deren junge Fan-Base zu erschliessen.

Am besten ist Minaj immer dann, wenn sie, über einem einfachen, harten Beat, ihrem stupenden Flow freien Lauf lässt. Im Gegensatz zur murmelnden Dekonstruktion des Raps, die seit einigen Jahren um sich greift, ist sie dabei ganz old school: komplexe Reime und Metaphern, rhythmische Verschiebungen. In einem Song findet sie für sich selber ein passendes Bild: Chun-Li, eine Kämpferin aus dem Computerspiel «Street Fighter». Denn das macht Minaj so grossartig: Bei allem Kampf – auf dem Cover von «Queen» stellt sie sich als Kriegsgöttin dar – ist das Musikbusiness für sie vor allem ein riesiger Ponyhof. In der «Late Show» von Stephen Colbert dichtete sie über den Gastgeber aus dem Stand eine weitere Zeile zu «Barbie Dreams». Während er vor Scham errötet, kann sich jemand vor Entzücken kaum halten: sie selber.

Nicki Minaj: Queen. Universal, 2018