Tiefsteuerkanton Luzern: Talfahrt im Spargebiet

Nr. 11 –

Der Kanton Luzern ist mit seiner Tiefsteuerstrategie grandios gescheitert. Regierung und Parlament beschönigen unbeirrt weiter – für ihr Versagen zahlen immer mehr Menschen.

Ein lichtdurchflutetes Büro in der Luzerner Innenstadt, geräumig, schlicht eingerichtet. Finanzminister Marcel Schwerzmann bittet freundlich an einen runden Tisch neben seinem säuberlich aufgeräumten Pult. Seit gestern ist der 54-jährige Regierungsrat wieder an der Arbeit im Finanzdepartement, zurück von der Fasnacht.

Der Parteilose ist Dienstältester in der fünfköpfigen Luzerner Exekutive, schon seit zwölf Jahren hat er sein Amt inne. Mit dem Etikett «Mister Tiefsteuerpolitik» hat er kein Problem. «So eine Steuerstrategie braucht schliesslich einen Kopf», sagt er.

Die Politik, die er damit verkörpert, bedeutete für den Kanton Luzern im vergangenen Jahrzehnt vor allem eins: Sparen. Von der Bildung über die Gesundheit, das Sozialwesen bis hin zur Kulturszene: Um im nationalen Steuerwettbewerb vorne mitmischen zu können, wurden mittlerweile die Ausgaben bei praktisch allen Staatsaufgaben gekürzt. Schon lange lässt sich nicht mehr schlüssig errechnen, wie gross der Sparbetrag insgesamt war, auf jeden Fall sind es viele Hunderte Millionen Franken. Zusammengesetzt aus unzähligen grösseren und kleineren Beträgen, wie etwa den 200 000 Franken, die 2017 bei «Koordinationsaufgaben im Bereich häusliche Gewalt» gestrichen wurden. Und allen Durchhalteparolen zum Trotz ist noch lange kein Ende in Sicht.

«Die Steuer- und Finanzstrategie ist ganz klar eine Erfolgsgeschichte», sagt Marcel Schwerzmann. Er redet langsam und gedämpft.

Luzern als «Steuerhölle»

Als Luzern sich Mitte der nuller Jahre schwungvoll in den Steuerwettbewerb warf, spielte Schwerzmann bereits eine prägende Rolle. Zunächst noch nicht als Politiker: Schwerzmann, der an der Hochschule St. Gallen Betriebswirtschaft studiert und danach unter anderem für die UBS gearbeitet hatte, war seit 2003 kantonaler Steuerverwalter. Weit über die Hälfte aller Kantone war damals dem Steuersenkungsfieber verfallen, und Luzern wollte insbesondere gegenüber der innerschweizerischen Nachbarschaft konkurrenzfähig werden. Denn schon länger zogen Zug, Nidwalden und Schwyz Firmen und reiche Privatpersonen an, derweil sich der Kanton Obwalden kurzzeitig sogar an degressiven Steuersätzen für Vermögende versuchte, bevor ihn das Bundesgericht 2007 wieder zurückpfiff.

Luzern hingegen lag bei der Besteuerung natürlicher Personen irgendwo im hinteren Mittelfeld, bei den Firmengewinnsteuern fand man sich noch knapp in den Top Ten. Unternehmen und vermögende Privatpersonen zogen weg, um sich in verglasten Bürogebäuden oder Villen in den Nachbarkantonen niederzulassen. Vor allem bürgerliche Politikerinnen und Kommentatoren waren alarmiert. Luzern sei eine «Steuerhölle», klagten sie.

So machte sich die damalige Kantonsregierung – bestehend aus zwei CVP-Vertretern, einem FDP- und einem SVP-Vertreter sowie einer SP-Vertreterin – ans Werk. Zwar nicht mittels «Befreiungsschlag» wie im Kanton Obwalden, wie der damalige SVP-Finanzdirektor Daniel Bühlmann bei einer Pressekonferenz im Dezember 2005 erklärte, sondern mit einer «Strategie der kleinen Schritte».

Der erste Schritt war eine Abschwächung der Progression für untere und mittlere Einkommen, eine Halbierung der Vermögens- sowie eine Reduktion der Firmengewinnsteuern um 25  Prozent. Der Kantonsrat machte mit, und auch die Bevölkerung liess sich überzeugen: Nachdem die Linken das Referendum ergriffen hatten, wurde die Steuergesetzrevision im März 2007 mit einer Dreiviertelmehrheit angenommen.

Zu diesem Zeitpunkt war Marcel Schwerzmann aber nicht mehr Steuerverwalter. Bühlmann hatte ihn wenige Monate zuvor freigestellt: auf Schwerzmanns eigenen Wunsch hin, wie es offiziell hiess, denn zwischen den beiden war es zum Zerwürfnis gekommen.

Doch ebendieser SVP-Mann Bühlmann, der schon damals in mehrere Skandälchen verwickelt war und seit vergangenem Januar wegen einer halben Million Franken privater Schulden vom Betreibungsamt gesucht wird, ebnete Schwerzmann unfreiwillig den Weg in die Politik. Knapp drei Wochen nach besagter Abstimmung verpasste Bühlmann seine Wiederwahl in den Regierungsrat deutlich, worauf seine Partei ihn für den zweiten Wahlgang zurückzog und durch einen unbekannten Alibikandidaten ersetzte.

Schwerzmann ergriff seine Chance: Er kandidierte als Parteiloser mit selbsterklärter Nähe zur FDP. Und gewann mit grossem Vorsprung vor dem Kandidaten der SVP und der Kandidatin der Grünen.

Rasch machte sich der Neupolitiker an die nächsten Schritte einer Steuerstrategie, die unter seiner Leitung noch wesentlich radikaler werden sollte. Die nächste Revision sah neben einer weiteren Entlastung mittlerer Einkommen eine Abflachung des Progressionsverlaufs bei hohen Einkommen vor. Und vor allem sollten ab 2012 die Firmengewinnsteuern nochmals halbiert werden – auf einen nationalen Rekordwert. Auch damit war der Kantonsrat einverstanden. Erneut ergriff die Linke das Referendum, doch im September 2009 stimmte die Bevölkerung auch dieser Vorlage zu, immerhin noch mit Zweidrittelmehrheit. Man wollte die Nummer eins sein. Firmen aus aller Welt sollten auf der Suche nach einem günstigen neuen Zuhause auf den hiesigen Standort stossen. «Eine geringere Senkung hätte nichts gebracht, weil der Kanton Luzern dann gar nicht aufgefallen wäre», sagt Schwerzmann.

Die Zahnarztpraxis als Aktiengesellschaft

Vereinzelt hatten damals selbst bürgerliche PolitikerInnen davor gewarnt, dass Luzern die Steuerausfälle nicht so einfach würde verkraften können. «Die Ausgangslage war für Luzern mit seinen rund 400 000 EinwohnerInnen schlicht anders als in den kleinräumigeren Nachbarkantonen», sagt Monique Frey, seit 2008 Kantonsrätin und seit 2012 Fraktionschefin der Grünen. Neben grossen ländlichen, strukturschwachen Regionen habe der Kanton mit der Stadt Luzern auch die Zentrumslasten der gesamten Zentralschweiz zu tragen, sagt sie, und deshalb seien die Kosten für öffentlichen Verkehr, Bildung, Gesundheit und Kultur naturgemäss höher als etwa in Zug oder Nidwalden. Schwerzmann beschwichtigte damals im Abstimmungskampf: «Der Sinn einer Steuersenkung ist es, dass man im Endeffekt mehr einnimmt», sagte er damals.

«Dazu stehe ich selbstverständlich weiterhin», sagt er heute. Über die Zahlen aber, mit denen seine Regierung den Erfolg belegen will, läuft ein Deutungskampf. Die Steuereinnahmen hätten bei den natürlichen Personen seit den Steuersenkungen stark zugenommen, sagt die Regierung; das entspreche in etwa dem Bevölkerungswachstum und der Teuerung im selben Zeitraum, sagen die KritikerInnen. 10 000 neue Arbeitsplätze seien geschaffen worden, wird verkündet; allein die Hälfte im öffentlichen Sektor, belegen die KritikerInnen. Man sei schweizweit die Nummer eins bei Firmenneuansiedlungen, heisst es; das komme vor allem daher, dass heute selbst ZahnärztInnen eine AG gründeten, um Steuern zu sparen, sagen die GegnerInnen.

Was hingegen niemand bestreitet: Bei den Firmengewinnsteuern wurde das Level von 2011 bis heute nicht wieder erreicht. 141  Millionen Franken hatte der Kanton damals abgeschöpft, wovon man weit entfernt bleibt. Gemäss aktuellem Aufgaben- und Finanzplan soll man dem 2021 mit prognostizierten 135  Millionen wieder nahekommen. Bloss lagen solche Dreijahresprognosen des Finanzdepartements seit 2012 aber praktisch immer um über zehn Millionen Franken zu hoch. Mit der Folge, dass im Parlament teils sehr kurzfristig Sparmassnahmen durchgepaukt wurden, um die kantonseigene Schuldenbremse einzuhalten.

Zwar fing die Regierung bald schon an, auch auf der Einnahmenseite Anpassungen vorzuschlagen. Dies aber im Wissen, dass solche im bürgerlich beherrschten Kantonsrat chancenlos waren. Gegen viele einschneidende Massnahmen stemmte sich die Ratslinke mit ihren rund zwanzig Prozent der Sitze vergebens: gegen Kürzungen bei sozialen Einrichtungen, im Asylwesen oder beim öffentlichen Verkehr, gegen wiederholten Stellenabbau in der Verwaltung, gegen Arbeitszeiterhöhungen oder eine Reduktion des Lohnzuwachses bei Staatsangestellten.

Das Sparklima verstetigte sich, aus Notmassnahmen wurde vielerorts Normalzustand. «Politik der knappen Kassen» nennen das die derzeitigen Regierungsräte. Er verstehe darunter «das Grundprinzip, dass es nicht Aufgabe des Staats ist, möglichst viel Geld zu haben, sondern seine ihm zugeteilten Aufgaben möglichst schlank zu erfüllen», sagt Schwerzmann.

Es ist ein Staatsverständnis, das die Aufgaben eines Kantons an seinen Einnahmen misst. Finanziert wird der Wettbewerb folglich auf der Ausgabenseite: Man spart bei allen, die öffentliche Dienstleistungen verrichten und deren Arbeitsbedingungen sich so Stück für Stück verschlechtern. Und bei jenen, die öffentliche Dienstleistungen in Anspruch nehmen.

Sparen beim Ersparten

Eine Wohnblocksiedlung in der Luzerner Agglomeration. Es ist ein sonniger Abend Ende Februar, draussen auf der Grasfläche zwischen den schmucklosen Betonbauten spielen Kinder, eine Frau wischt den Gehweg.

Das Ehepaar Christoph (46) und Nura Tobler* (44) sitzt am Esstisch seiner Parterrewohnung. Herr Tobler blättert in einem dicken Ordner, in dem er die Buchhaltung seiner fünfköpfigen Familie führt. Er nimmt ein altes Dokument hervor: eine Verfügung zur individuellen Prämienverbilligung für das Jahr 2006, die er und seine Frau kurz nach der Heirat von der Ausgleichskasse des Kantons zugesprochen erhielten. Rund 1400  Franken waren das, bei einer Gesamtprämie von 6400  Franken, die das noch kinderlose Paar in jenem Jahr bezahlt hatte. Und dann zeigt er die Verfügung vom vergangenen Jahr, gültig für 2017: 1566  Franken Prämienverbilligung für Toblers, mittlerweile mit drei Kindern. Doch in diesem Jahr zahlten sie insgesamt 11 600 Franken an die Krankenkasse.

Dass die Entlastung heute nur marginal grösser ausfällt als 2006, während die Krankenkassenprämien im selben Zeitraum stark anstiegen, liegt am Berechnungsschlüssel der Ausgleichskasse: Entsprach das «massgebende Einkommen» früher dem steuerbaren Einkommen, so werden mittlerweile etwa auch Zahlungen in die dritte Säule oder Kinderbetreuungsabzüge dazugerechnet.

Um die Prämienverbilligungen für das Jahr 2017 gab es in Luzern ein denkwürdiges Theater: Der Kanton hatte zu Jahresbeginn kein rechtsgültiges Budget, weil die SVP gegen eine geplante Steuerfusserhöhung das Referendum ergriffen hatte. Dennoch wurden die Prämienverbilligungen für neun Monate ausbezahlt. Weil das Referendum der SVP an der Urne dann erfolgreich war, musste ein neues Budget ohne Steuerfusserhöhung her – und als Sparmassnahme beschloss der Kantonsrat, bei Familien die Anspruchsgrenze für Prämienverbilligungen von zuvor 75 000 auf 54 000 Franken «massgebenden Einkommens» herunterzusetzen. Tausende Familien mussten in der Folge die bereits erhaltene Prämienverbilligung zurückzahlen.

Bei der Familie Tobler waren das etwa 1100  Franken. «Wir leben sparsam und halten unser Budget ein, deshalb konnten wir das auffangen», sagt Christoph Tobler. «Das heisst aber auch, dass der Kanton mit unseren Ersparnissen spart, die wir für die Zukunft von uns und unseren Kindern anlegen.» Letztlich erhielten Toblers für 2017 doch noch eine Prämienverbilligung, weil ihr Einkommen knapp unter der gesenkten Grenze lag. Solche Unsicherheiten erschwerten es aber, das Familienbudget zu planen. Christoph Tobler, der Vollzeit als Spengler arbeitet, rechnet vor: Von seinem Monatseinkommen, das etwas über 5000  Franken beträgt und seit Jahren fast gleich geblieben sei, gingen jeweils über 3000  Franken für Wohnung, Krankenkassenprämien und Auto drauf.

Nura Tobler, die erst mit dreissig Jahren in die Schweiz kam, macht neben der Haushalts- und Familienarbeit für etwa 600  Franken im Monat auch noch Hauswartarbeiten im Wohnblock. «Beim Essen und den Kleidern kann man zwar sparen», sagt sie. Viele elementare Dinge wie etwa die Abfallgebühr, Bustickets oder Parkplätze würden aber immer teurer. «Die Kosten steigen überall, wo sie nicht einkommensabhängig sind», sagt ihr Mann. Auch Ausflüge zu machen, werde immer teurer – während die Schulen Skilager und Schulreisen strichen. Die Idee, Wohneigentum zu kaufen, hätten sie schon lange aufgegeben. «Die Spekulation hat zu einer solchen Preisexplosion geführt, dass gar nicht mehr daran zu denken ist», sagt Christoph Tobler. Zum Glück sei ihre Genossenschaftswohnung sehr günstig. Aber bald stehe eine Sanierung an, und der Mietzins werde dann von 1100 auf etwa 1600  Franken ansteigen.

Das mit den Prämienverbilligungen sei «sicher nicht besonders elegant» gewesen, sagt Marcel Schwerzmann. Aber es sei das Parlament gewesen, das Anfang 2017 verlangt habe, die Prämienverbilligungen provisorisch auszuzahlen, entgegen der Haltung der Regierung. «Wir haben deshalb extra dazugeschrieben: Achtung, das könnte zu Rückforderungen führen.» Er sehe ein, dass Familien von solchen Sparmassnahmen hart getroffen würden. Und auch, dass ein Familienvater mit niedrigem Einkommen das Gefühl habe, es werde auf seine Kosten gespart. «In seiner Logik ist das sicher richtig», sagt Schwerzmann. «Aber im Gesamten ist es nicht die einzige Logik.» Ein Drittel der Bevölkerung beziehe mehr Leistungen vom Staat, als es an Steuern bezahle. «Diese sogenannten Transferleistungen muss der Staat erst einnehmen. Dazu brauchen wir Steuerzahler mit hohen Einkommen und Unternehmen.»

Mittlerweile hat das Bundesgericht dem Kanton Luzern in einem wegweisenden Urteil untersagt, bei den Prämienverbilligungen für Familien der unteren Mittelschicht zu sparen: Im Januar dieses Jahres hiess es eine von der kantonalen SP eingereichte Klage gut. Nun hat man rückwirkend die Einkommensuntergrenze auf 78 154 Franken angehoben. Schätzungsweise 25  Millionen Franken müssen an die Betroffenen zurückgezahlt werden. Gemäss SP-Kantonsrat Jörg Meyer, der bei den Regierungsratswahlen Ende März gegen Schwerzmann antritt, hat allein der zusätzliche administrative Aufwand für diese ganze Geschichte den Kanton wohl über eine halbe Million Franken gekostet. «In meinen Augen ist das symptomatisch», sagt Meyer. Die Sparaktionen würden mittlerweile unkoordiniert und kopflos verlaufen, in einigen Bereichen würden schiere Notaktionen gestartet, deren tatsächliche Spareffekte schon lange nicht mehr evaluiert würden. Mit teils absurden Effekten: wenn etwa im Behindertenbereich die Selbstständigkeit betroffener Menschen gefördert werden soll, Beiträge für Rollstuhltaxis aber gestrichen würden. Oder wenn bei der Kriminalpolizei der Personalnotstand so gross werde, dass man gegen Menschenhandel im Sexgewerbe nicht mehr ermitteln könne. «Wir müssen raus aus diesem Hamsterrad», sagt Meyer.

Laute Proteste und ein Roadmovie

Er könne nicht genau sagen, wie oft er in den letzten sieben Jahren vor dem Luzerner Regierungsgebäude von protestierenden Menschenmengen empfangen worden sei, sagt Marcel Schwerzmann. SchülerInnen und Lehrpersonen machten Lärm gegen das Wegfallen von Freifächern und gegen Zwangsferien, die ihnen auferlegt wurden. Menschen mit Behinderung demonstrierten mit Familien und BetreuerInnen gegen die erzwungene Streichung von Entlastungsangeboten. Leute aus der freien Kulturszene machten mit aufsehenerregenden Aktionen auf für sie existenzielle Beitragskürzungen aufmerksam.

Wenn drinnen im Ratssaal dann aber hitzig diskutiert wurde, dann weniger über geplante Sparmassnahmen, sondern über Korrekturen im Steuergesetz, die der bürgerliche Block meistens mehr oder weniger geschlossen verwarf. Allen Protesten von Linken, Gewerkschaften und Betroffenen zum Trotz legten die Bürgerlichen bei den Wahlen 2015 sogar noch zu: im Kantonsrat auf Kosten der Grünen, die zwei Sitze verloren. Und im Regierungsrat auf Kosten der SP, die nach 56  Jahren ihren einzigen Sitz in der Exekutive an die SVP abtreten musste. Seither wird der Kanton Luzern rein bürgerlich regiert – und rein männlich. Initiativen zur Erhöhung der Firmengewinnsteuer und zur Stärkung des Bildungs- und Gesundheitssektors sowie des öffentlichen Verkehrs wurden 2016 und 2018 allesamt deutlich abgelehnt. «Das Volk glaubt offensichtlich an die Steuer- und Finanzstrategie», sagt Schwerzmann.

«Auf dem Land ist linke Politik nach wie vor zu wenig greifbar», sagt Lorena Stocker, die 21-jährige Präsidentin der kantonalen Juso. Sie ist in Pfeffikon aufgewachsen, einem kleinen Dorf weit weg von der Stadt mit weniger als tausend EinwohnerInnen. Als ab 2012 SchülerInnenproteste gegen den Bildungsabbau stattfanden, sei man zwar auch auf dem Land auf offene Ohren gestossen. Zuletzt würden die meisten Leute aber aus Gewohnheit dennoch bürgerlich wählen. «Ich selbst gehöre ja auch zu denen, die sagen, es brauche mehr linke Politik auf dem Land – und dann doch auch von dort wegziehen», sagt Stocker.

Einzig die Stadt Luzern, wo die Linke 2016 entscheidende Sitzgewinne machte und das Stadtpräsidium errang, stimmte für eine Erhöhung der Firmengewinnsteuer. Wie so oft fiel sie dabei mit ihren rund 80 000 EinwohnerInnen aber zu wenig ins Gewicht, zumal die bürgerliche Dominanz bereits in den Agglomerationsgemeinden mit ihren nochmals 80 000 EinwohnerInnen deutlich spürbar ist.

Ein Kollektiv aus der Kulturszene machte es sich Ende 2017 zur Aufgabe, den umgekehrten Weg zu gehen: den Diskurs über Sinn und Unsinn der Luzerner Steuerpolitik aufs Land hinauszutragen. Per Crowdfunding trugen sie innert kürzester Zeit fast 140 000 Franken zusammen, um einen «unabhängig und professionell produzierten Dokumentarfilm» in Auftrag zu geben, der im Rahmen einer Roadshow möglichst viele Leute im Kanton erreichen sollte – und zwar noch vor den anstehenden Wahlen.

Der Basler Regisseur Reinhard Manz setzte die Idee in bloss neun Monaten in die Tat um: Herausgekommen ist ein Film über den Steuerwettbewerb auf der Welt und im Kanton Luzern. Viele der 680  SpenderInnen hätten sich wohl einen Film mit einer stärker linken Haltung erhofft oder einen, der mehr auf die Luzerner Politik fokussiert. Ziel sei es aber eben nicht gewesen, einen Propagandafilm zu produzieren, sondern Diskussionen anzuregen, halten die InitiantInnen dem entgegen.

Ideologisches Terrain

Ein Mehrzwecksaal im Luzerner Hinterland, heller Parkettboden, die Fenster sind mit schweren, dunklen Vorhängen verdeckt. Gegen hundert Leute haben sich an diesem Abend Ende Februar in Dagmersellen, einem Dorf mit 5300 EinwohnerInnen, «Kopf oder Zahl» angeschaut. Nach dem Abspann debattieren auf dem Podium die Luzerner SP-Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo und Fabian Peter, FDP-Kantonsrat und derzeit Regierungsratskandidat, über die Luzerner Steuerstrategie. Sie fände es schade, dass im Film keine Leute zu Wort kämen, die von den Sparmassnahmen betroffen seien, sagt Birrer-Heimo – und Peter findet, es hätte auch jemand darin vorkommen dürfen, «der aufgrund der Steuerentlastungen mehr hat und mehr konsumieren kann». Der Kanton sei im Wettbewerb zwar etwas gar weit gegangen, sagt der FDP-Politiker, 2016 habe deshalb auch er für eine moderate Steuererhöhung gestimmt. «Aber als Unternehmer weiss ich, dass man etwas wagen muss.»

Über 2000 ZuschauerInnen seien im ganzen Kanton zu den Vorstellungen gekommen, sagt Andreas Stäuble, Geschäftsführer des eigens für dieses Projekt gegründeten Vereins «Luzern – der Film», vor allem in Stadtnähe habe man kurzfristig mehrere Zusatzvorführungen organisieren müssen. An siebzehn Stationen machte die Roadshow schlussendlich halt, zehn davon in ländlichen Regionen. «Bei den Diskussionen zum Film habe ich festgestellt, dass nicht mehr alle Bürgerlichen die Steuerpolitik vehement verteidigen», sagt Stäuble. Einige hätten sogar gesagt, dass man sich im Sinne der Konkordanz wieder eine linke Vertretung im Regierungsrat wünsche.

In Dagmersellen meldet sich ein Lehrer aus dem Publikum: Er sehe bei sich und seinen BerufskollegInnen, wie unter dem Spardruck nicht nur die persönliche Belastung steige, sondern immer mehr auch die Bildungsqualität leide. Regierungsratskandidat Peter antwortet, dass er das ernst nehme, doch sei der Standard in Luzern nach wie vor hoch. «Bei meinen eigenen Kindern habe ich jedenfalls das Gefühl, dass sie viel lernen», sagt er.

Auch Philipp Bucher (FDP), der Gemeindepräsident von Dagmersellen und Kantonsrat, meldet sich aus dem Publikum: Zwar verstehe er, dass es für die LehrerInnen nicht einfach sei, plötzlich eine Lektion pro Woche mehr zu unterrichten. «Aber das läuft in der Privatwirtschaft auch so, man muss mit äusseren Einflüssen umgehen», sagt er.

Dass Staatsangestellte im Kanton seit der Arbeitszeiterhöhung jährlich rund eine Woche länger arbeiten als der Durchschnitt aller Erwerbstätigen, bleibt unerwähnt; Prisca Birrer-Heimo wirft aber ein, dass die Unternehmen von vielerlei Infrastruktur profitierten, die der Kanton bereitstelle, und sich deshalb auch angemessen an den Kosten beteiligen sollten. Worauf Regierungsratskandidat Peter meint, man dürfe nicht immer auf den Firmen herumhacken.

Selbstverständlich bewege man sich bei der Steuerpolitik auf ideologischem Terrain, erklärt Schwerzmann gegen Ende des Gesprächs, «das ist hochphilosophisch». Auch er sei ganz klar gegen eine Nullbesteuerung von Unternehmen, er befürworte einen Staat, der seine Versprechen einhalte. In seiner ruhigen und gedämpften Stimme fügt er aber hinzu: «Ich bin Betriebswirtschafter. Der Wettbewerb findet statt, ob Sie das gut finden oder nicht.» Als wäre der Steuerwettbewerb ein Naturgesetz, das gar keine IdeologInnen wie ihn bräuchte, um zu funktionieren.

* Namen von der Redaktion geändert.