Einheitssteuer im Kanton Schwyz: Steuerhölle für Normalsterbliche

Nr. 37 –

Die SchwyzerInnen entscheiden am 25. September über die Einführung einer Einheitssteuer, der Flat Rate Tax, die die Steuerlast nach unten auf die Mittelschicht verschieben soll. Andere Kantone könnten unter Druck geraten.

Bei den BefürworterInnen wie bei den GegnerInnen liegen die Nerven blank. Selten wurde im Kanton Schwyz so heftig über eine Abstimmungsvorlage gestritten. Bei der Abstimmung über die Revision des Steuergesetzes am 25. September geht es zwar auch um höhere Vermögens- und Grundstückgewinnsteuern, doch zu reden gibt vor allem der Systemwechsel zur Einheitssteuer. «Es geht um das Umkrempeln des Staats zugunsten der obersten Einkommensschichten und zulasten des sozialen Ausgleichs», sagt Otto Kümin, SP-Ortsparteipräsident von Freienbach.

Reiche bevorzugt

Der Systemwechsel hat es in sich. Denn die geplante Einheitssteuer von 5,1 Prozent bei den Kantons- und Gemeindesteuern belastet alle Steuerpflichtigen gleichmässig, die bisherige Steuerprogression fällt weg: Alle müssten denselben Tarif bezahlen, egal ob sie 80 000, 150 000 oder eine Million Franken verdienen. «Als Folge davon müssten kleinere und mittlere Einkommen bis zu dreissig Prozent mehr bezahlen, während obere Einkommen von einer Million und mehr deutlich weniger bezahlen müssten», sagt Leo Camenzind, Vizepräsident der SP des Kantons Schwyz. «Wir wehren uns gegen eine solche Bevorzugung der reichsten Bevölkerungsschicht.»

Kurt Schmidheiny von der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Basel bestätigt diesen Mechanismus der Einheitssteuer. «Eine Flat Rate Tax führt auch mit Sozialabzügen zwangsläufig zu einer Mehrbelastung des Mittelstands. Es kommt zu weniger Umverteilung von oben zur Mitte. Betroffen sind vor allem Familien.» Schmidheiny präzisiert, die vorgeschlagene Flat Rate Tax folge einfach der Logik des Steuerwettbewerbs: «Man entlastet die hochmobilen Steuerzahler, die durch tiefe Steuern angezogen werden können. Also zum Beispiel einkommensstarke Haushalte und Haushalte ohne Kinder. Und man belastet diejenigen Steuerzahler, die weniger mobil sind und deshalb auch bei höheren Steuern den Kanton nicht verlassen. Also zum Beispiel den Mittelstand und Familien mit Kindern.» Mit der Einheitssteuer würde Schwyz künftig rund 130 Millionen Franken mehr einnehmen als heute. Dabei sollen die untersten Einkommensschichten mit hohen Sozialabzügen entlastet werden, doch gleichzeitig würde neu eine Kopfsteuer von hundert Franken eingeführt, die alle, von Lehrlingen und Studentinnen bis zu AHV- und IV-Rentnern, bezahlen müssten.

Neben der SP, den Grünen, dem Mieterverband und den GewerkschafterInnen kämpft auch ein bürgerliches Komitee unter Führung der CVP gegen die Einheitssteuer. CVP-Kantonsrätin Irène May sagt, die Konsequenzen der Einheitssteuer seien für den Mittelstand inakzeptabel. «Wir müssen stattdessen eine Lösung auf dem bewährten System der progressiven Besteuerung entwickeln.» Davon will das Befürworterkomitee nichts wissen. Ihm gehört die rechtsbürgerliche Prominenz des Kantons an, unter anderem die schweizerische FDP-Präsidentin Petra Gössi, viele UnternehmerInnen sowie diverse Treuhandfirmen. Sie argumentieren, mit der Einheitssteuer könne «die steuerliche Attraktivität des Kantons erhalten werden», und sie schaffe «eine super Position im Steuerwettbewerb». Man darf das so verstehen: Die Wirtschaftselite denkt bereits an die zukünftige Klientelbewirtschaftung. Auch der Schwyzer Finanzdirektor Kaspar Michel (FDP), wichtiger Mitautor der Einheitssteuer, sieht nur Vorteile: «Die Einheitssteuer ist geeignet, den Staatshaushalt zu sanieren, und der Kanton bleibt damit für alle Steuersegmente attraktiv.» Es stimme zwar, dass die Einheitssteuer zu Mehrbelastungen führe, «doch alle müssen mehr bezahlen».

Mit der Einheitssteuer suchen die SVP und die FDP den Befreiungsschlag. Denn Schwyz muss ständig mehr in den Nationalen Finanzausgleich (NFA) einzahlen – im laufenden Jahr sind es rund 180 Millionen Franken. Die Ursache ist bekannt: Die massive Zuwanderung von Vermögenden vor allem in die Gemeinden Freienbach, Wollerau und Feusisberg steigert das Ressourcenpotenzial (Einkommen, Gewinne und Vermögen) des Kantons, der schöpft es aber nicht ab. So gewährte der Kanton jahrelang Rabatte auf die Dividendenbesteuerung von 75 Prozent. «Das war für den Kanton bei den NFA-Zahlungen ein Verlustgeschäft», sagt SP-Kantonsrätin Karin Schwiter. «Wir haben draufgelegt, die Steuerrabatte finanzierte die Allgemeinheit.» Seit 2015 sind die Rabatte auf 50 Prozent gekürzt worden, und auch die Vermögenssteuern wurden angehoben. Dennoch bleibt Schwyz für die untersten Einkommensschichten eine «Steuerhölle», wie Leo Camenzind sagt. «Bei uns müssen schon Einkommen ab 4681 Franken versteuert werden.» Kurt Schmidheiny sagt dazu: «Schwyz will mit seiner Steuerpolitik den Kanton für Geringverdienende unattraktiv machen.»

Auch die Sparrunden der letzten Jahre gingen vor allem zulasten der unteren und mittleren Einkommen. Gespart wird etwa bei den Prämienverbilligungen oder beim Case Manager. Dieser hatte schwächere SchulabgängerInnen beim Eintritt in die Berufswelt oder bei Lehrabbrüchen unterstützt. Zudem verschlechtere sich wegen der aggressiven Wachstums- und Zuwanderungsstrategie die Situation auch für Familien, sagt Leo Camenzind. «Die Wohnkosten steigen überdurchschnittlich, und die Belastungen mit höheren Gebühren wachsen.»

Die Flat Rate Tax wurde bisher nur in den kleinen Kantonen Uri und Obwalden eingeführt. Obwalden ist es gelungen, Reiche anzulocken. Die Regierung sagt bei jeder Gelegenheit, die Einheitssteuer sei eine Erfolgsstory. Das ärgert Guido Cotter, Kopräsident der SP Obwalden: «Uns stört, dass die Regierung nur vom Erfolg spricht. Dass die Bodenpreise und damit die Mieten steigen, erwähnt sie nicht. Und auch die massive Verkehrszunahme bleibt unerwähnt.» Ganz anders ist die Situation im Kanton Uri. Hier ging es nicht vordringlich darum, Reiche anzulocken, sondern darum, die Abwanderung zu stoppen. So verbindet Uri die Einheitssteuer mit sehr hohen Sozialabzügen für Familien mit Kindern. Das funktioniert, Uri verzeichnet wieder eine Zu- statt eine Abwanderung. Neben den kleineren Kantonen wäre Schwyz nun aber der erste grosse Kanton, der die Einheitssteuer einführt. Die SP Schwyz befürchtet, dass damit ein «race to the bottom» losgetreten wird, der andere Kantone unter Druck setzt, mit der Einheitssteuer nachzuziehen. Den Argwohn weckte schon im Frühling ein Inserat der lokalen Treuhandfirma Convisa, die mit zwei Personen im Kopräsidium des Befürworterkomitees vertreten ist. Convisa schrieb, die Einführung der Einheitssteuer habe eine «Signalwirkung für andere Kantone» und eine «Signalwirkung eventuell auch beim Bund». Gemeint ist die direkte Bundessteuer, die mit sehr hoher Progression eine echte «Reichensteuer» sei.

Aggressiver Steuerwettbewerb

Ob das Beispiel von Schwyz Schule macht und andere Kantone unter Druck setzt, ist offen. Auf nationaler Ebene hatte die FDP schon einmal die Einheitssteuer gefordert, doch sie scheiterte am Widerstand der SP, der Grünen und der CVP. Kurt Schmidheiny stellt fest, dass der aktuelle Trend in den Kantonen in Richtung Entlastung der oberen Einkommen und Mehrbelastung der Mittelschicht geht. Dies sei die Folge des sich verstärkenden Steuerwettbewerbs zwischen den Kantonen. «Dabei müsste der Trend in die andere Richtung gehen, denn die Mittelschicht wird durch die Digitalisierung in der Arbeitswelt unter Druck geraten.» Otto Kümin, SP-Ortspräsident, ist überzeugt: «Die Einheitssteuer ist ein ideologisches Projekt der Bürgerlichen, bei dem es knallhart um die Umverteilung geht. Der Kanton wird wie eine Steueroptimierungsfirma geführt. Von einer gesamtgesellschaftlichen und sozialen Sichtweise sind wir meilenweit entfernt.»