Abstimmungen: Der Wind dreht sich

Nr. 21 –

Als Karin Keller-Sutter letzte Woche vor die Medien trat, war ihr Bundesratskollege Ueli Maurer gerade auf dem Sprung in die USA, wo ihn Präsident Donald Trump erwartete. Jener Präsident, der die Politik von Maurers SVP in ihrer Reinform praktiziert: die Dauerinszenierung eines Gefechts gegen Zuwanderung und fremde Mächte, um gleichzeitig hintenrum die soziale Umverteilung nach oben voranzutreiben – durch Steuersenkungen, die Aushebelung des Lohnschutzes und Kürzungen im Sozialbereich.

Keller-Sutter setzte derweil dazu an, den bürgerlichen Schulterschluss mit der SVP infrage zu stellen: Sie kündigte an, die Öffnung der Schweiz gegenüber der EU durch mehr soziale Gerechtigkeit verteidigen zu wollen. Insbesondere sollen ausgesteuerte Übersechzigjährige eine Überbrückungsrente bis zur Pension erhalten (vgl. «Wieder in der Spur» ).

Der Wind dreht sich nicht erst seit gestern in Richtung mehr soziale Gerechtigkeit. Zwei Jahre ist es her, dass Maurer an der Urne mit seiner mit Steuerprivilegien überfrachteten Unternehmenssteuerreform III krachend gescheitert ist. Der nachfolgende Steuer-AHV-Deal kam an diesem Wochenende nur durch, weil die SP zwei Forderungen im Parlament durchgesetzt hatte, womit sie auch ihr Ja zur Vorlage begründete: die Streichung von ein paar Steuerprivilegien sowie eine Zusatzfinanzierung der AHV mit zwei Milliarden Franken.

Zwar sind die Verbesserungen ungenügend. Die Reform geht zulasten anderer Länder, aus denen weiteres Steuersubstrat angelockt werden soll. Der Entscheid zeigt aber, dass die Bevölkerung nach sozialer Gerechtigkeit verlangt. Zudem wächst zumindest in einigen Kantonen der Widerstand gegen laufende Steuersenkungen: Nach Bern verwarf am Sonntag auch Solothurn einen entsprechenden Versuch. Weiter nahm Basel eine Juso-Initiative an, die TopverdienerInnen stärker belasten will (vgl. «Druck auf das eine Prozent» ). Und bereits hat die Juso eine weitere, nationale Steuerinitiative eingereicht.

Das Referendum der Grünen gegen den Steuer-AHV-Deal sowie SP-interner Widerstand gegen das Ja der Partei haben dem SP-Präsidenten Christian Levrat zudem abverlangt, noch am Abstimmungssonntag eine schon länger geplante Initiative gegen den kantonalen Steuerwettlauf zu verkünden. Levrat befürchtet wohl, dass gewisse SP-WählerInnen zu den Grünen überlaufen.

Das Ja zum Steuer-AHV-Deal sowie jüngste Umfragen zeigen weiter, dass die Bevölkerung die Altersvorsorge nicht über Kürzungen oder eine allgemeine Rentenaltererhöhung, sondern über höhere Beiträge stärken will. Der beschworene Generationenkonflikt ist Humbug: Die Jungen sollen nicht bloss höhere Beiträge bezahlen, um die jetzigen Alten abzusichern, sondern auch, damit dereinst ihre Rente durch ihre Kinder gesichert wird. Zustimmung findet lediglich die Rentenaltererhöhung für Frauen auf 65. Solange diese derart krass tiefere Löhne und Renten erhalten, gilt es, hier jedoch hart zu bleiben.

Eine Ohrfeige erhielt die SVP am Wochenende schliesslich auch in Bern. Während die Partei schweizweit Steuern zu senken versucht, wollte ihr Berner Regierungsrat Pierre-Alain Schnegg die Sozialhilfe um bis zu dreissig Prozent kürzen. Beschämend. Ein linkes Komitee setzte Schneggs Versuch einen Volksvorschlag entgegen, der die Sozialhilfe gar etwas ausbauen wollte. Dieser wurde abgelehnt. Doch schickte der tiefbürgerliche Kanton überraschend auch Schneggs Kahlschlagversuch bachab, mit dem die SVP ein Exempel für die übrige Schweiz statuieren wollte (vgl. «Ein Sieg mit Signalwirkung» ).

Die soziale Debatte verleitete Unternehmensberater und SVP-Nationalrat Thomas Aeschi auf der Suche nach etwas Popularität kürzlich zu einem lustigen Tweet, in dem er über die Privilegien des Steuer-AHV-Deals für «ausländische Multis» schimpfte, die zu Steuereinbrüchen führten. Dabei hat kaum jemand im Parlament mehr Privilegien in die Reform zu packen versucht als Aeschi – was ihn am Deal störte, war das Geld für die AHV. Doch man sollte PolitikerInnen beim Wort nehmen. Na denn: Wie schrieb Maurer doch in Trumps Gästebuch? «Togethe ahead!»