Putsch in Bolivien: Die Elite will ihre Macht zurück

Nr. 46 –

Man mag Evo Morales politische Fehler und Eitelkeiten vorwerfen. Etwa, dass er sich über ein Referendum hinweggesetzt hat, das ihm eine dritte Wiederwahl zum Präsidenten von Bolivien verboten hatte. Oder dass die mit seinen AnhängerInnen besetzte Wahlbehörde bei dieser Wahl nach Ansicht der BeobachterInnen der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) getrickst haben soll. Rechtfertigt dies einen Putsch? Immerhin hat Morales das Verdikt der OAS-BeobachterInnen akzeptiert und zu einer Wiederholung der Wahl vom 20. Oktober aufgerufen.

Es hat ihm nichts genützt. Nach heftigen Protesten auf der Strasse drohte ihm das Militär, Morales trat zurück und ging nach Mexiko ins Exil. Kein schöner Abgang, aber immerhin einer, der Blutvergiessen verhindert hat.

Dass linke lateinamerikanische Präsidenten von Daniel Ortega in Nicaragua über den verstorbenen Hugo Chávez in Venezuela bis hin zu Morales dazu neigen, sich für unersetzlich zu halten, ist nicht nur ein persönliches, es ist ein strukturelles Problem. Alle diese Männer haben ihre Wahlen mit Stimmen gewonnen, die auch von jenseits des linken Spektrums kamen. Sie haben das geschafft, indem sie die vielen unbefriedigten Bedürfnisse der Bevölkerungsmehrheit dieser sozial extrem ungleichen Länder ansprachen und mit ihrer Person verknüpften. Sie haben kein Programm, sie sind das Programm. Das macht es schwer, sie zu ersetzen. Morales hat es nicht einmal versucht. Aber auch das rechtfertigt keinen Putsch, und einen solchen hat es am vergangenen Wochenende in Bolivien ganz ohne Zweifel gegeben.

Sicher, es rollten keine Panzer durch die Strassen von La Paz, es wurden keine Radio- und Fernsehsender von Soldaten besetzt, es regiert keine Junta aus Generälen. Diese Art des Putsches ist Vergangenheit und fand zuletzt im Juni vor zehn Jahren in Honduras statt. Aber auch dort traten die Militärs wieder in den Hintergrund, nachdem sie den linken Präsidenten Manuel Zelaya entführt und die alte rechte Elite wieder an die Macht gebracht hatten.

Danach kamen die legalistisch getarnten Staatsstreiche mit der Amtsenthebung von Präsident Fernando Lugo 2012 in Paraguay und von Dilma Rousseff 2016 in Brasilien. Das Ergebnis war immer dasselbe: Die von der Linken verdrängte weisse reiche Oberschicht kam zurück an die Macht. Selbst in den blutigen Militärdiktaturen der siebziger und achtziger Jahre regierten die Generäle nicht oder nicht nur für sich selbst. Männer wie der chilenische Präsident Sebastián Piñera und der argentinische Staatschef Mauricio Macri wurden unter ihrem Schutz von Millionären zu Milliardären.

Genau darum geht es jetzt in Bolivien. Die dortige kleine, weisse und reiche Elite ist besonders rechts und besonders rassistisch. Sie hat es nie verwunden, dass ein Indigener, der als Kind Lamas gehütet hatte, Präsident eines Landes geworden ist, das sie als das ihre begreift. Sie hat es nie verwunden, dass Morales die Bodenschätze nationalisiert und mit den Gewinnen daraus Sozialprogramme für die arme indigene Bevölkerungsmehrheit aufgelegt hat. Sie will nicht akzeptieren, dass er die indigenen Sprachen, die indigene Kultur und die indigene Rechtsprechung gleichberechtigt neben die der Nachkommen der KolonialistInnen gestellt hat. Sie hat schon in den ersten Jahren von Evo Morales’ Präsidentschaft versucht, den Staat in ein reiches weisses Tiefland und ein armes indigenes Hochland zu spalten. Jetzt nutzt sie den Ärger über Morales für den Griff nach der Macht, und das Militär stellt sich für dieses schmutzige Spiel zur Verfügung.

Einzig das grösste Verdienst des Evo Morales kann dies noch verhindern: In den dreizehn Jahren seiner Präsidentschaft hat die vorher zum unterwürfigen Dienstbotendasein verurteilte indigene Bevölkerungsmehrheit Boliviens politisches Selbstbewusstsein gewonnen. Sie hat begriffen: Auch Indígenas können regieren, und sie können es wohl besser als die reichen Weissen. Wenn die Quechua und Aymara dieses Selbstbewusstsein auf die Strasse tragen, werden die Unruhen in Bolivien noch lange dauern.